Thema: Philatelie in der Presse
Richard Am: 21.10.2009 08:32:53 Gelesen: 1304446# 301@  
Der Brief, der aus dem KZ kam

Von Urs Wüthrich

Basler Zeitung (09.10.09) - Georges Schild entdeckt in Paris in einer Kiste mit alten Ansichtskarten und Kuverts einen Brief mit dem Stempelaufdruck «KL.W.». Und er weiss sofort, dass es sich dabei um ein extrem seltenes Dokument handelt.

In Georges Schilds Arbeitszimmer stehen, dicht gedrängt in Regalen, Hunderte von Sammelbänden. In den Alben befinden sich Tausende von Briefen, Kuverts, Umschlägen, Postkarten und anderen schriftliche Dokumenten. Und jedes dieser historischen Schriftstücke hat seine besondere Geschichte – oft eine tragische. Georges Schild, Fürsprecher und Sammler dieser Dokumente, nimmt behutsam einen Briefumschlag zur Hand und zeigt auf den Stempelaufdruck unten links: «Geprüft: KL.W.» steht da geschrieben. «‹KL.W.› heisst nichts anderes als ‹Konzentrationslager› Warschau, dieser Brief wurde aus dem KZ geschrieben», erklärt Schild. Adressiert ist der Umschlag an einen Empfänger im französischen Amiens. Der Poststempel, welcher sich auf der Briefmarke mit Hitlers Konterfei befindet, ist datiert vom 10.3.1944.

Georges Schild ist das passiert, wovon andere Sammler ein Leben lang träumen. «Ich habe dieses Kuvert bei einem Händler in Paris gefunden, es lag in einer Kiste mit unzähligen anderen alten Sachen.» Er habe umgerechnet 30 Franken ausgegeben. «Ich hätte auch das Hundertfache bezahlt, aber der Händler fand bereits die 30 Franken überrissen.» Der Verkäufer habe nicht gewusst, was dieses «KL.W.» bedeutet. Sammler Schild hingegen erkannte sofort, dass er etwas ganz Aussergewönliches entdeckt hatte. «Aus dem KZ Warschau sind bisher weltweit nur vier Briefe bekannt geworden», sagt Schild, der einen davon besitzt. Bei den Dokumenten handelt es sich allerdings «nur» um die Kuverts, die Briefe selbst sind verschollen. Schild besitzt allerdings Umschläge mitsamt Briefinhalt aus anderen Konzentrationslagern. Aus Gründen der Pietät habe er diese aber nicht gelesen. «Da habe ich zu grossen Respekt vor den Personen», sagt er.

Buchenwald–Warschau

Beim Brief aus dem KZ Warschau müsse es sich um ein Schreiben eines französischen Gefangenen gehandelt haben. «Die Juden selbst durften ja keine Briefe schreiben, aber zur damaligen Zeit befanden sich auch etwa dreihundert französische Häftlinge im KZ Warschau, welche vom Konzentrationslager Buchenwald nach Polen deportiert wurden», erklärt Georges Schild. Das KZ Warschau sei 1943 auf den Ruinen des Warschauer Ghettos errichtet worden.

Urkunde aus Auschwitz

Als 8-jähriger Bub habe er zuerst mit dem Sammeln von Briefmarken begonnen, erzählt der heute 75-jährige Schild. Doch allein die Postwertzeichen interessierten ihn bald nicht mehr. Er spezialisierte sich auf sogenannte Ganzsachen. So lautet der Fachjargon für eben jene Dokumente, die er – und mit ihm etwa achtzig weitere Sammler aus dem In- und Ausland – an der Ausstellung Gabra präsentiert (siehe Kasten). Darunter sind auch Briefe von Mitgliedern der polnischen Armee, aus berüchtigten Zuchthäusern des Naziregimes, Dokumente zur Einweisung in die KZ. Und eine Todesurkunde aus Auschwitz: Da wird Angehörigen mitgeteilt, dass der polnische Korbflechter X.Y. gestorben ist. Dass er ermordet wurde, steht nirgends geschrieben.



Georges Schild, Briefdokumente aus dem Warschauer Ghetto 2. Weltkrieg (Foto: Urs Baumann)

(Quelle: http://bazonline.ch/panorama/vermischtes/Der-Brief-der-aus-dem-KZ-kam/story/15136711)
 
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