Thema: Motiv Motorräder
volkimal Am: 14.06.2019 14:53:03 Gelesen: 38839# 68@  
Hallo zusammen,

Hans Grade ist vielen Philatelisten dadurch bekannt, dass er der erste deutsche Flieger war und mit den Grade-Fliegern die erste deutsche Luftpost befördert wurde. Weniger bekannt ist, dass er vorher auch Motorräder gebaut hat.

Hans Grade stammt aus Köslin in Pommern. Während seines Studiums – er wollte Ingenieur werden – begann er im Jahre 1900 schon mit dem Bau eines Motors, den er in ein Fahrradgestell einbaute. In der Werkstatt von Meister Dobenzig in Köslin sah mein Urgroßvater Oswald Hentschel [1] dieses selbst gebaute Motorrad.

In dem Buch schreibt Karl-Dieter Seifert [2] darüber:

Im Spätherbst 1902 baut Hans wieder in der Werkstatt von Meister Dobenzig an seinem Motorzweirad. Ein Kunde des Meisters sieht es und zeigt Interesse. Der Ingenieur Oswald Hentschel aus Magdeburg weilt des öfteren beruflich in Köslin. »Wer baut denn das? « fragt er Dobenzig. »Meinen Sie, dass es etwas taugt? « Der alte Meister nickt. »Der Motor läuft großartig. Den hat der junge Mann allein gebaut. « »Wie heißt er, wie kann ich ihn erreichen?« fragt Hentschel höchst interessiert. »Hans Grade. Er müsste eigentlich bald hier sein. «

»Ein Ingenieurstudent, der hier in Köslin zu Hause ist«, antwortet der. Hentschel ist erstaunt. Einen Zweitakter, noch dazu in einem solchen Fahrzeug, hat er hier nicht erwartet. Außer dem Motor von Söhnlein kennt er keinen mit Kompression. Und der ist als stationärer Antrieb gedacht. Dieser Fahrzeugmotor ist eine eigenwillige Konstruktion, die auf einen ideenreichen Konstrukteur schließen lässt.



Nachdem Hans Grade in die Werkstatt gekommen ist, stellt sich Urgroßvater vor und beobachtet ihn anschließend bei der Arbeit. Urgroßvater verabredet sich mit Hans Grade am nächsten Abend im Ratskeller. Nach einem langen Gespräch bietet er Hans Grade an, dass er ihm nach dem Studium eine Stelle verschafft, die seinen Neigungen und Interesse entspricht. Voraussetzung ist, dass das Motorzweirad am Ende des Studiums seine Kinderkrankheiten abgestreift hat. Über die Zeit nach dem Abschluss des Studiums schreibt Karl-Dieter Seifert:

Kurz nach der Heimkehr erhält der junge Ingenieur in Köslin erneut eine Einladung von Hentschel, mit dem er die ganze Zeit über in Verbindung steht. Dieses Mal geht Hans im Ratskeller sofort in das Kleine Zimmer, in dem er neben dem Direktor einen zweiten Herrn vorfindet, einen in der Stadt bekannten Rechtsanwalt.

»Ich nehme an, Herr Grade, Sie haben keine Einwände, wenn wir heute Abend gleich einen Vertrag vorbereiten«, begründet Hentschel dessen Anwesenheit. »Ich biete Ihnen eine leitende Stelle in einer kleinen Kösliner Motorenwerkstatt. « Dann entwickelt er sein Projekt. Hentschel ist mit Meister Dobenzig übereingekommen, die Werkstatt zu kaufen. Er will das notwendige Anfangskapital zur Verfügung stellen, notwendige Maschinen anschaffen und die Zahl der Mitarbeiter vergrößern. Gebaut werden sollen Einzylinder-Zweitaktmotoren vor allem für eine stationäre Verwendung. Der Direktor bietet dem jungen Ingenieur als Gegenleistung für dessen Motorenkonstruktionen eine Beteiligung an der Werkstatt an, dazu ein entsprechendes Gehalt.

Hans schlägt Urgroßvater vor, auch Motorradmotoren zu fertigen. Der stimmt zu. Im Jahre 1905 wird ein Grade-Motorzweirad auf der Automobil-Ausstellung gezeigt. Die Burckhardtia Motorradbau AG in Magdeburg entschließt sie sich, den Zweitakter Grades als Standardantrieb ihrer leichten Motorräder zu wählen.



Mitte des Jahres 1902 meldet Hans Grade sein erstes Patent an: „Verfahren zum Betriebe von Zweitaktverbrennungskraftmaschinen“. Sein Motor wird am 10. September 1902 patentiert.

Ein zweites Patent aus demselben Jahr geht um die „Steuerung von Verbundverbrennungskraftmaschinen“. Es folgen eine Reihe weiterer Patente

Karl-Dieter Seifert schreibt weiter:

Hans arbeitet in der Folge angestrengt an der Konstruktion des stationären Motors, bereitet die Zeichnungen für den Bau vor. Er prüft, welche Maschinen erforderlich sind, welche Ausbildung die Mitarbeiter haben müssen. Bald kommen die neuen Maschinen. Nun fährt der Ingenieur Grade jeden Tag mit seinem Motorrad, das den Namen »Pronti« (»Bereit«) erhalten hatte, in die Werkstatt nahe dem Bahnhof. »Dobenzig Nachfolger« steht hier an der Tür.

Der zeitliche Druck ist groß, denn in zwei Monaten muss der Motor bereits auf einigen Gewerbeausstellungen gezeigt werden. Nur sein Verkauf sichert eine Zukunft für den kleinen Betrieb…. Der Zweitakter findet seine Kunden. Die Werkstatt erhält zunehmend Aufträge und ist ausgelastet. Bis zu 15 Mann werden in dieser Zeit beschäftigt.

Diese Foto-Ansichtskarte eines Grade-Motorrads habe ich erst kürzlich erworben. Wer auf dem Motorrad sitzt ist und wo bzw. wann die Aufnahme entstanden ist, ist leider nicht vermerkt.



Hans schlägt Urgroßvater vor, auch Motorradmotoren zu fertigen. Der stimmt zu. Im Jahre 1905 wird ein Grade-Motorzweirad auf der 8. Fahrrad- und Automobil-Ausstellung gezeigt. Die Burckhardtia Motorradbau AG in Magdeburg entschließt sich, den Zweitakter Grades als Standardantrieb ihrer leichten Motorräder zu wählen. Die vielen Aufträge überschreiten bald die Kapazität der kleinen Firma in Köslin. Urgroßvater schlägt vor, die Produktion nach Magdeburg zu verlegen.

1905 werden die Grade-Motorenwerke in Magdeburg gegründet. Die Firma entwickelt sich und es werden mehrere Patente angemeldet. Um seine Motorräder bekannter zu machen, beginnt Hans Grade in der folgenden Zeit damit, Motoradrennen zu fahren. Die vielen Aufgaben wachsen Hans Grade über den Kopf. Im Mai 1906 übernehmen der Ingenieur Hans Mittermayr und Urgroßvater die Geschäftsführung der Grade-Werke.



Dieses sind ein Brief meines Urgroßvaters auf einem Briefkopf der Grade-Motorwerke 1908 sowie ein Briefumschlag aus dem Jahr 1910. Im Text geht es um Automobil-Motoren.

Wie man an dieser Postkarte aus Bosnien Herzegowina an die Grade-Motorwerke Magdeburg sieht, werden Grade-Motoren nicht nur in Deutschland verkauft. Auf der Karte heißt es:



In mein Motorrad möchte ich einen stärkeren Motor von 6 bis 8 HP einbauen. Wollen Sie mir bitte diesbzgl. Offerte und Skizze mit Maahsangaben einsenden, damit ich sehe ob der Einbau möglich ist.
Hochachtend
Rolant Henning
Dervent (Bosnien)

Die Angabe „HP“ bedeutet vermutlich „Horse-Power“ - die englische Bezeichnung für Pferdestärke.

Wer mehr über Hans Grade erfahren möchte, kann dieses im Band 194 der Poststempelgilde lesen [3].

Viele Grüße
Volkmar

[1] https://www.philaseiten.de/cgi-bin/index.pl?ME=103779#M107 Beiträge 107 bis 130
[2] Seifert, Karl-Dieter, Hans Grade Ingenieur – Flugpionier – Autobauer; Ein Leben in stürmischen Zeiten, Magdeburg 2008
[3] Poststempelgilde Band 194, Volkmar Werdermann: Der Flugpionier Hans Grade - ein philatelistischer Lebenslauf, Soest 2016
 
Quelle: www.philaseiten.de
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