Thema: Philatelie in der Presse
Richard Am: 12.11.2009 08:06:45 Gelesen: 1303685# 314@  
Reformation en miniature - Ein philatelistischer Streifzug zum Reformationstag

Sonntagsblatt Bayern (08.11.09) - Briefmarken - für die einen sind sie alltäglicher Gebrauchsgegenstand, abgeleckt, aufgeklebt und trotz Zeiten der elektronischen Post noch immer tausendfach verschickt. Für andere sind die kleinen Bildchen faszinierende und begehrenswerte Sammelobjekte. Und sie erzählen die Geschichte der Reformation auf ganz eigene Weise.

Vorzugsweise zu Jahrestagen und runden Jubiläen ergreifen die Postverwaltungen weltweit gerne die Gelegenheit, philatelistische Schlaglichter auf historische Ereignisse und Personen zu werfen. Die Reformation mit ihren Gestalten und Geschehnissen bietet dafür zahlreiche Anknüpfungspunkte.

Das Jahr 2009 geht dabei als besonders »reformationslastiger« Briefmarken-Jahrgang ein. Nicht nur stehen im Calvin-Jahr einige neue Marken mit dem Gesicht des Genfer Reformators zu Buche, sondern auch eine neue Sondermarke, die an die jüngst zum »Weltkulturerbe der UNESCO« erhobenen Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg erinnert.

Kleine Propagandabilder

Abgebildet sind darauf (von links) das Geburtshaus Luthers in Eisleben, das »Lutherhaus« in Wittenberg, der Eingang zur Schlosskirche in Wittenberg, an dem der Reformator am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen angeschlagen hat (oder haben soll); danach das Melanchthonhaus in Wittenberg und schließlich das Sterbehaus Luthers in Eisleben.

Wie in jeder Briefmarkensammlung wird auch in einer kleinen Zusammenschau solcher mit der Reformation verbundenen Briefmarken vor allem ein Stück in den Alltag hineinragende Geistes- und Kulturgeschichte sichtbar: Was war zu einer bestimmten Zeit an welchen historischen Gestalten oder Orten wichtig? Welche Form der grafischen Gestaltung wählte man - und welche weiteren Botschaften transportieren die tausendfach in die Welt verschickten kleinen Bilder?

Schon immer sind Briefmarken auch Propagandainstrumente gewesen: kleine Bildprogramme, die fast jeden Haushalt erreichen. Zur Zeit der deutschen Teilung ließ es sich die bundesrepublikanische Postverwaltung zum Ärger der DDR nicht nehmen, auch Motive zu drucken, die im anderen deutschen Staat angesiedelt waren. Und die DDR projizierte mit ihren Marken eine bunte und erfolgreiche sozialistische Welt - ein Versprechen, das sie in der Wirklichkeit nie einlösen konnte.

Welche Schwierigkeiten die DDR mit Luther und der Wittenberger Reformation hatte, lässt sich auch an ihren Briefmarken ablesen. Im Heimatland der Wittenberger Reformation hatte zunächst Thomas Müntzer (1489-1525) den unumstrittenen Rang des »Theologen der Revolution« inne. Für die DDR mit ihrem dezidiert atheistischen Selbstverständnis waren an der Reformationsgeschichte vor allem deren frührevolutionäre Aspekte interessant. 1975 erinnerte eine DDR-Marke an die Bauernkriege vor 450 Jahren - bei denen Luther bekanntlich eine eher unrühmliche Rolle spielte. Und noch 1989 erschien eine große Müntzer-Markenserie zum monumentalen Bauernkriegspanorama, das der Maler Werner Tübke auf dem Kyffhäuser geschaffen hatte. Doch schon beim Reformationsjubiläum 1967 feierte man Luthers Thesenanschlag von 1517 mit - der Beginn einer vorsichtigen Neubewertung des Reformators, die ihren Höhepunkt im großen Lutherjahr 1983 fand.

Dass sich in Briefmarken die Lutherbilder ihrer Zeit spiegeln, ist also eine eine Binsenweisheit: Das Luther-Jubiläumsjahr 1933 (450. Geburtstag) war auch philatelistisch von anderen Ereignissen in Deutschland überdeckt. Beim nächsten Lutherjubiläum 1946 (400. Todestag) war den Deutschen noch nicht so recht danach zumute, wieder zu feiern. Und auch international hatte man wenig Lust, den Reformator eines Landes zu feiern, das kurz zuvor von der Heimat der »Dichter und Denker« zur Brutstätte der »Richter und Henker« mutiert war.

Große und kleinere Jubiläen

1952, zur 2. Vollversammlung des Lutherischen Weltbunds in Hannover, taucht Martin Luther erstmals wieder auf einer deutschen Briefmarke auf. Als ab 1961 die Post ihre Serie »Bedeutende Deutsche« auflegt, gehört Luther mit 15 Pfennigen schlicht und selbstverständlich zum Standardrepertoire deutscher Geschichte.

1967, das Jubiläumsjahr des Thesenanschlags 1517, markiert weltweit einen ersten Höhepunkt im philatelistischen Reformationsgedenken: Beide deutsche Staaten geben dazu Briefmarken heraus, aber auch Finnland, Österreich und Südafrika.

»Kleinere« Jubiläen folgten, an denen sich der Verlauf der Reformation ablesen lässt: 1971 (1521) - Luther vor dem Reichstag in Worms, oder 1972 - der 500. Geburtstag von Lucas Cranach dem Älteren, der als Maler und als Freund der Familie Luther gewissermaßen zum Bildberichterstatter der Reformation wurde.

Wie sehr die Reformation ein Ereignis von europäischem Rang war, lässt sich gleichfalls an Briefmarken ablesen: Dänemark erinnerte 1936 und 1986 an »seinen« Reformator Hans Tausen (oder Tavsen) (1494-1561), der 1523 nach Wittenberg gekommen war.

1952 erinnerte man in Schweden an den 400. Todestag von Olavus Petri (oder Olav Petterson, 1493-1552), der zur Zeit des Thesenanschlags Luthers, also 1517, Student in Wittenberg war und die Reformation nach Schweden trug. Und mitten im Zweiten Weltkrieg, 1941, hatte man dort Petris Bibelübersetzung ins Schwedische gefeiert. Ein Wittenberger Reformations-Student der zweiten oder dritten Generation war der Finne Mikael Agricola (eigentlich Mikael Olavinpoika, 1509-1557). Zu seinem 450. Todestag wurde er 2007 in seiner Heimat nicht nur als Theologe, sondern auch als Vater der finnischen Literatursprache gefeiert und mit einer neuen Marke geehrt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Slowenen Primož Trubar (eingedeutscht auch Primus Truber, 1508-1586), auch wenn der nur mittelbar mit der Wittenberger Reformation in Kontakt kam. Wegen seiner evangelischen Überzeugungen in seiner Heimat verfolgt, schlüpfte Truber bei dem Luther-Vertrauten und Nürnberger Sebaldus-Prediger Veit Dietrich (1506-1549) unter. Der hatte in Wittenberg studiert und den Reformator auf die Veste Coburg begleitet. Dietrich vermittelte dem Theologen aus der Krain eine Predigerstelle in Rothenburg, wo er einen evangelischen »Catechismus in der Windischenn Sprach« verfasste. Mit diesem ersten Buch schuf er die slowenische Schriftsprache und wurde dafür 2008 in Slowenien groß gefeiert. Sein Konterfei ziert zudem die Rückseite der slowenischen Ein-Euro-Münze.

Freilich: Mit der seit Jahrtausenden geschätzten Propagandawirkung von Münzen können es die kleinen Papierbildchen nicht aufnehmen. Und doch ist ihre »Werbewirksamkeit« nicht zu unterschätzen. Die Tourismusmanager der Luthergedenkstätten in Mitteldeutschland dürften über die neue Unesco-Marke jedenfalls gejubelt haben.

BUCHTIPP: Dietrich Hellmund, Martin Luther - die Welt der Reformation auf den Briefmarken der Welt. Claudius Verlag, München / Pattloch Verlag, Aschaffenburg, 1983, 116 Seiten, ISBN 3-532-62012-X (nur antiquarisch erhältlich)



Lutherstätten auf der Marke (von links): das Geburtshaus Luthers in Eisleben, das »Lutherhaus« in Wittenberg, der Eingang zur Schlosskirche in Wittenberg, an dem der Reformator am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen angeschlagen hat (oder haben soll); danach das Melanchthonhaus in Wittenberg und schließlich das Sterbehaus Luthers in Eisleben. (Foto: sob)

(Quelle: http://www.sonntagsblatt-bayern.de/news/aktuell/2009_44_28_01.htm)
 
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