Thema: Altdeutschland Bayern: Briefe erklären
bayern klassisch Am: 30.12.2021 11:47:16 Gelesen: 142932# 772@  
Liebe Freunde,

wie gut, dass es Briefe gibt/gab, an denen man sich ein wenig die Zähne ausbeißen kann - so wie dieser hier aus Nürnberg vom 25.8.1829 an Herrn August Seidel in Neustadt an der Orla, Thurn und Taxis. Die bayer. Strecke bis Hof betrug 113 km, also 15 Meilen, somit hätten wir bei einem einfachen Brief 6x (x = Kreuzer) Porto, bei einem schweren 9x Porto, aber Nürnberg hatte 10x Porto notiert (links neben "Neustadt"), die ich so nicht nachvollziehen kann.



Taxis strich die bayer. Forderung von 10x ab mit Rötel, reduzierte diese in 2 1/2 Gutegroschen (Ggr.) oben links und addierte für sich einen halben Ggr. hinzu, so dass die Abgabepost in Neustadt/Orla mit 3 Ggr. belastet wurde. Doch da hatte man die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der gute Aug. Seidel zahlte nicht (siegelseitig: "Wird unfrankirt nicht angenommen", Stempel Neustadt.Orla".

Die Verweigerung der Zahlung eines Portos kam der Annahmeverweigerung juristisch gleich, so dass dergleichen Briefe wieder mit Porto belastet der Aufgabepost zuzuleiten waren.

Jemand (wer?) notierte nun in roter Tinte vorne quer "pro 11x retour", wollte also 11x für den Brief haben. Nun sind 11x aber das Äquivalent von 3 Silbergroschen (Sgr.), der nur 3,5x wert war und bei 3 Sgr. wurde auf 11x aufgerundet. 3 Gutegroschen waren aber 12x wert - aber so hat man wohl nicht gerechnet.

Nachdem der Brief zurück gelaufen war, galt es den Absender festzustellen, der ja, siehe vorne, 11x zahlen sollte. Allerdings lesen wir hinten "Georg Hilpert. 10x P(or)to". Das dürfte Nürnberg geschrieben haben, wobei sie weder 12x, noch 11x ansetzten, sondern nur die einst falsch errechneten 10x für die bayer. Strecke.

Die Feststellung des Absenders dürfte von außen nicht möglich gewesen sein, da das Trockensiegel kaum etwas hergibt. Ergo müsste man ihn nach Aushängens in der Vitrine für Retourbriefe in Nürnberg nach einigen Wochen der Retourbriefcommission vorgelegt haben zur Eröffnung, damit der Absender festgestellt würde. Aber in diesem Fall hätte man zwar mit roter Tinte den Absender siegelseitig notieren müssen und auch das zu zahlende Porto, aber das wären sicher keine 10x gewesen, denn Taxis wollte ja auch Geld für seine Beförderungsleistung sehen. Des weiteren waren diese geöffneten Briefe mit Wachs (später einem Wäppchen) zu verchließen, damit der Absender sehen konnte, dass der Brief von den doppelt vereidigten Beamten der Retourbriefcommission geöffnet worden war. Aber das 2. Siegel fehlt - es gibt nur das einstige Originalsiegel des Absenders - undefinierbar.

Inhalt: "Herrn August Seidel, Neustadt an der Orla, Nürnberg den 20. Aug. 1829 (wohlgemerkt 5 Tage vor der Postaufgabe!!).

Durch ein Attest vom hiesigen Kreis- und Stadtgericht bin ich beauftragt, die ausständigen Posten des Herrn J. F. Pfahler einzutreiben.

F(lorin) 76. 46 (Kreuzer) restieren Sie noch laut den Büchern. Sie wollen daher längstens in 4 Wochen anzeigen, wie und auf welche Weise Sie diesen Gegenstand am schnellsten ordnen wollen, da im Gegentheil ich genöthigt bin, nur durch strenge Maasregeln diese Sache zu ordnen. Ich empfehle mich Ihnen Ergebenst Georg Hilpert".

Liebe Grüsse von byern klassisch
 
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