Thema: Sudetenland boomt
sudetenphilatelie Am: 13.03.2008 22:19:58 Gelesen: 18099# 1@  
Auch die 332. Auktion von Heinrich Köhler vom 10. - 15.3.2008 in Wiesbaden bestätigte eindrucksvoll die starke Nachfrage nach Sudetenland-Briefmarken.

Dieses renommierte Auktionshaus hatte von diesem seltenen Gebiet 3 Lose im Angebot:

Los-Nr. 4355 Karlsbad-Block 1K, Ausruf 800,-- Euro, Zuschlag 2.900,-- Euro. Inkl. Auktionskosten kommt der Block auf über 3.600,-- Euro, obwohl der Block leichte Anhaftspuren aufweist.

Los-Nr. 4356 Niklasdorf 116 auf Blanko-Brief, Ausruf 400,--, Zuschlag 1.000,--Euro. Inkl. Auktionskosten kommt der Brief auf ca. 1.250,-- Euro und belegt mit 62 % Michel einmal mehr, dass für das Sudetenland Briefnotierungen nicht nur für echt gelaufene Stücke, sondern bereits für Sammlerbelege bezahlt werden (Blanko-Umschlag).

Los-Nr. 4357 Niklasdorf 117 ZF, Ausruf 80,-- Euro, Zuschlag 230,-- Euro. Inkl. Auktionskosten sind ca. 288,-- Euro zu bezahlen, obwohl diese Marke Zähnungsmängel aufweist.

Alle Sudetenland-Lose haben ein mehrfaches ihres Ausrufpreises erzielt. Für Insider kommen diese beachtlichen Zuschläge jedoch nicht überraschend, schließlich gehören amtliche Sudetenland-Briefmarken zu den größten Raritäten der Philatelie.

Wenn dieser Boom so weitergeht, besteht die Gefahr, dass die Mitte April erscheinenden neuen Michelpreise bereits vor Erscheinen des Kataloges von der Marktentwicklung überholt werden.

Für alle Interessierte ist nachfolgend eine kurze Einführung in dieses hochaktuelle und lange Jahre vernachlässigte Gebiet aufgeführt:


Sudeten-Philatelie - amtliche Briefmarken des Sudetenlandes

Diese Postwertzeichen gehören zu den größten Raritäten der Philatelie, da diese Marken nur wenige Tage frankaturgültig waren und aus der Not heraus nur wenige tschechische Urmarken amtlich überdruckt wurden.

Sudetenlandkrise

Die Wurzel dieser Krise gehen bis 1918 zurück. Mit Ende des I. Weltkrieges und Auflösung des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn schloss sich das deutschsprachige Sudetengebiet der neu gegründeten Republik Deutsch-Österreich an. Die Besetzung dieses Gebietes durch tschechische Truppen – vor Beginn der Pariser Friedenskonferenz - verhinderte die volle Etablierung der deutsch-österreichischen Verwaltung. Es wurden vollendete Tatsachen geschaffen, die dazu führten, dass durch den Friedensvertrag von Saint-Germain dieses Gebiet im Sept. 1919 der neu gegründeten Tschechoslowakei zugeschlagen wurde. Dies geschah gegen den Willen der deutschsprachigen Bevölkerung. Auch wurde eine Volksabstimmung nach den Grundsätzen von US-Präsident Wilson über das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ verweigert. Die folgende Tschechisierung (u.a. Bodenreform, Sprachengesetz) machte ein friedliches Zusammenleben immer schwieriger. Deutschsprachige Städte mit ausschließlich tschechischen Beamten, das konnte nicht gut gehen.

Dies förderte die nationale Sammlungsbewegung um Konrad Henlein. Die Sudetendeutsche Partei (SdP) ging aus den Parlamentswahlen 1935 als stimmenstärkste Partei hervor. Als Henlein erkannte, dass die SdP politisch dennoch nichts bewegen konnte, orientierte sich die SdP zunehmend an Hitler und der erstarkenden NSDAP.

Für Hitlers Absicht der territorialen Expansion im Osten war es von zentraler Bedeutung, die Tschechoslowakei unter Kontrolle zu bringen. Die ständigen Nationalitätenkonflikte und Benachteiligungen der Sudetendeutschen nutzte Hitler geschickt für seine eigenen Pläne. Hitler forderte Henlein auf, Prag mit unerfüllbaren Forderungen zu konfrontieren und die innenpolitische Krise anzuheizen. Die Zuspitzung der Krise nahm Hitler zum Anlass, die Abtretung des Sudetengebietes an das Deutsche Reich zu fordern. Der Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker sollte den legalen Anstrich geben.

Nach der Rede Hitlers auf dem Reichsparteitag in Nürnberg am 12.9.38, in der er ankündigte, dass er eine weitere Unterdrückung der Sudetendeutschen nicht dulden werde, kam es in zahlreichen Städten Böhmens zu Freudenkundgebungen und Zwischenfällen. Die Verhängung des Standrechts in 13 sudetendeutschen Bezirken und das Verbot der SdP waren die Folge. Am 27.9.38 befahl Hitler die Mobilisierung der Westdivision. Am gleichen Tag beschlagnahmten die Tschechen in den Sudetengebieten alle Rundfunkempfänger, 20.000 Sudetendeutsche wurden als Geiseln festgenommen, über 200 Brücken zerstört, Eisenbahnstrecken unbefahrbar gemacht, Tunnel gesprengt und weitere Verteidigungsstellungen gebaut. In Erwartung eines Krieges sind viele Sudetendeutsche über die Grenze geflohen.

Um den drohenden Krieg zu verhindern, traten am 29.9.38 Chamberlein, Daladier, Mussolini und Hitler in München (Münchener Abkommen) zusammen. Bereits zuvor, willigte Prag auf drängen von Chamberlein und dem französischen Außenminister Daladier der Abtretung aller Gebiete mit mehr als 50% deutscher Bevölkerung ein. Im Münchener Abkommen wurden nur noch die Modalitäten der Durchführung verhandelt. Demnach sollte am 1. Okt. die Übergabe etappenweise beginnen und bis 10. Okt. abgeschlossen sein.

Erwähnenswert ist, dass die grenznahen Gebiete um Asch und der Rumburger Bezirk bereits am 21.9.38 – mit mehr oder weniger nachhelfender Gewalt – von den tschechischen Beamten geräumt wurde. Auch hier wurden Fakten geschaffen, dieses mal vom Freikorps der SdP. Dieser Zustand wurde erst nachträglich durch das Münchener Abkommen am 29.9.38 legalisiert. Obwohl Hitler sich später als Befreier feiern lies, hatte er selbst das Münchener Abkommen als Niederlage empfunden. Er suchte einen Vorwand zum Einstieg in den Krieg.

Entstehung der amtlichen Postwertzeichen

Mit Abzug der tschechischen Behörden wurden alle Wertgegenstände, Briefmarken, teilweise auch Stempel mitgenommen. Deutsche Marken konnten noch nicht eingesetzt werden, da die Reichspost nach dem Münchener Abkommen noch nicht zuständig war. Die SdP übernahm als Exekutive und einziger Hoheitsträger die Initiative. Eiligst wurden Markenrestbestände zusammengetragen und mit Befreiungsüberdrucken versehen. In diesen Befreiungsüberdrucken kam die überschwängliche Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck, dass die Krise friedlich und ohne großes Blutvergiese beendet wurde. Aus Sicht der Sudetendeutschen in 1938 können diese Überdrucke durchaus als Friedensüberdrucke angesehen werden. Ist es verwunderlich, dass in dieser Situation die Stimmung der Bevölkerung von einem Extrem ins andere schwankte? Vielleicht ist dies die grundlegende Antwort auf die Frage, wo die seinerzeitige Hitler-Manie herkam. Wohin jedoch das Ganze führte, wissen wir inzwischen.

Amtliche Ausgaben

Es gibt nur sechs amtliche Ausgaben des Sudetenlandes: Asch, Karlsbad, Konstantinsbad, Niklasdorf, Reichenberg-Maffersdorf und Rumburg. Streng genommen sind Reichenberg und Maffersdorf unterschiedliche Ausgaben mit gleichartigen Befreiungsüberdrucken. Diese Handstempel wurden vom gleichen Hersteller gefertigt und nur wenige Spezialisten können diese bei ungebrauchten Marken unterscheiden.

Bei gebrauchten Marken ist die Zuordnung durch den Poststempel problemlos möglich. Da die Auflagen von Reichenberg und Maffersdorf teilweise gravierend abweichen, ist diese Unterscheidung von erheblicher Bedeutung.

Alle amtlichen Ausgaben haben folgendes gemeinsam: Sie wurden entweder direkt durch die SdP als Souveränitätsträger (mit Handstempeln) oder im Auftrag der SdP (im Buchdruck) hergestellt und an Jedermann am Postschalter verkauft. Mit Runderlaß der OPD Dresden vom 19.Okt. 1938 wurden diese amtlichen Ausgaben außer Kraft gesetzt.

Die in anderen Orten überdruckten Marken waren von der SdP als Staatssouverän nicht autorisiert. Deshalb sind diese Ausgaben nur sogenannte „private Erinnerungsdrucke“ ohne postalische Bedeutung.

Gelegentlich werden auch die Begriffe „Lokalausgaben“ oder „Provisorien“ verwendet. Beide Begriffe treffen nicht den Kern. Mit Abzug der tschechischen Verwaltung war das Sudetenland völkerrechtlich sogenanntes Niemandsland und staatsrechtlich ein autonomes Staatengebilde. Auch von der Gebietsfläche und der Einwohnerzahl her, kann man nicht von Lokalausgaben sprechen, sonst müsste man auch Liechtenstein, San Marino, Monaco oder den Vatikanstaat als Lokalausgabe bezeichnen.

Die Bezeichnung „Provisorien“ ist ebenfalls irreführend, da Provisorien immer endgültige Ausgaben folgen und dies war im Sudetenland nicht der Fall.

Exponate und weiterführende Informationen finden Sie auf der Homepage: http://sudetenphilatelie.piranho.com

Vielleicht steckt die eine oder andere Rarität noch unentdeckt in Ihrer Sammlung?
 


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