Thema: (?) (687/689) Air Mail / Luftpost - Aufkleber, Labels, Eindrucke, Vermerke
saintex Am: 01.01.2013 22:05:46 Gelesen: 787155# 98@  
Hallo Forum,

bevor wir morgen wieder alle in die Hände spucken, um das Bruttosozialprodukt zu steigern und den von unserer Kanzlerin prognostizierten harten Zeiten entgegen zu gehen, hier noch ein Luftpostbrief, der seine harten Zeiten bereits hinter sich hat.

Der Lp.brief wurde am 9.7.1941 von Frau La Roche-Santo im idyllischen Schramberg im Schwarzwald aufgegeben. Adressiert war der Brief an die Eheleute Santo in New York, offensichtlich Verwandte der Absenderin. Der Lp.brief ist mit 0.95 RM portogerecht frankiert: 0.25 RM Auslandsporto, 0.30 RM R-Gebühr und 0.40 RM Luftpostzuschlag pro 5 Gramm für die Luftpostbeförderung nach New York.

Wahrscheinlich um dem Empfänger eine Freude zu machen frankierte die Absenderin den Brief mit Sondermarken, hier aus D.R. Mi. 773 bis 778, wenn ich das richtig sehe. Ein schwerer Fehler, wie sich noch herausstellen sollte.

Auf die Frage von Frau La Roche-Santo, wann mit dem Eingang ihres Luftpostbriefes in New York zu rechen sei, antwortete der freundliche Postbeamte nach Einblick in die aktuelle Luftpostliste (Stand: 5.5.1941), dass die Laufzeit eines Luftpostbriefes nach New York 5-7 Tage betrage. Da hatten allerdings der Postbeamte und Frau La Roche-Santo die Rechnung ohne den Wirt, d.h. hier die britische Zensur gemacht.

Zunächst durchlief der Luftpostbrief allerdings problemlos die deutsche Zensur in Frankfurt am Main (Kennbuchstabe "e" im deutschen Zensurstempel) und wurde an einem der folgenden Werktage von der Lufthansa auf der werktäglich beflogenen Strecke Stuttgart nach Lissabon befördert: ab Stuttgart 10.30 Uhr, an Lissabon 20.00 Uhr. Dort wartete bereits ein Clipper-Flugboot der Pan Am, um den Luftpostbrief von Frau La Roche-Santo über Horta auf den Azoren und die Bermuda-Inseln nach New York zu befördern.

Dem stand jedoch auf den Bermuda-Inseln die britische Zensur in Person des britischen Zensors Nr. 6048 entgegen. Obwohl die Vereinigten Staaten im Juli 1941 noch neutral waren, beanspruchten die Briten für sich das Recht, aus Europa eintreffende Luftpost in Bermuda zu zensieren. Von der britischen Zensur wurde auch der Luftpostbrief von Frau La Roche-Santo erfasst und beschlagnahmt. Nachdem es sich um einen Postaustausch unter Privatpersonen handelte, hatte die Beschlagnahme ihren Grund nach meiner Ansicht in der Sondermarkenfrankatur, da die Briten hierin einen Transfer finanzieller Mittel aus einem Feindstaat sahen. Begründung: Der Empfänger konnte die Sondermarken durch Verkauf wieder zu Geld machen.

Nach Kriegsende wurde der Luftpostbrief von Frau La Roche-Santo im Februar 1946 von den britischen Behörden wieder freigegeben und erreichte ausweislich der auf der Rückseite angebrachten Ankunftsstempel New York am 5.3.1946. Dort konnte er den Empfängern jedoch nicht mehr zugestellt werden, da diese zwischenzeitlich unbekannt verzogen waren.

Deshalb erhielt der Luftpostbrief auf der Vorderseite einen entsprechenden RETURN TO SENDER Stempel. Allerdings traf der Brief erst zwei Jahre später mit Schiffspost in Deutschland wieder ein und erhielt hier zunächst den Ankunftsstempel von Bremen und schließlich, am 22.4.1948 den Ankunftsstempel von Schramberg. Nachdem die Absenderin am nächsten Tag vom Postboten benachrichtigt worden war, konnte der Brief seine fast 7-jährige Reise beenden.

Fazit: Hätte Frau La Roche-Santo mal lieber normale Freimarken verklebt. ;)

Literatur

Peter A. Flynn, Intercepted in Bermuda - The censorship of Transatlantic Mail during the Second World War, Chicago/USA 2006
Karl-Heinz Riemer, Die Überwachung des Auslandsbriefverkehrs während des II. Weltkriegs, Düsseldorf 1979
Horst Landsmann, Die Zensur von Zivilpost in Deutschland im 2. Weltkrieg, Gröbenzell 2008
Edward. B. Proud, Intercontinental Airmails, Vol. 1: Transatlantic and Pacific, Heathfield/GB 2008
Luftpostliste Stand: 5.5.1941, herausg. vom Reichspostministerium

saintex


 
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