Thema: (?) (2894) Altdeutschland Bayern: Schöne Belege
bayern klassisch Am: 18.04.2016 08:23:08 Gelesen: 972792# 762@  
@ Gernesammler [#761]

Hallo Rainer,

dein völlig richtig beschriebener Brief zeigt den aptierten Zweizeiler von Eichstätt, der von 1823 bis 1835 regelmässig, danach noch provisorisch in der Mitte der 1840er Jahre verwendet wurde.

Weil diese Rayonstempel auf Wunsch, oder sollte man besser sagen auf Befehlt, Frankreichs 1802 hergestellt wurden, denn Frankreich und Bayern waren gegenseitig in Rayons, als Gebietsstreifen, eingeteilt worden, nach dem Ende der Ära Naopleons aber diese Rayonierung obsolet geworden war, wurden peu à peu etliche dieser Rayonstempel um eben diesen Vorsatz vor dem Ort gekürzt, was sie dann wieder passend machte für den aktuellen Postverkehr. Es gab aber auch faule Postexpeditoren, die haben munter mit den alten Rayonstempeln weiter gearbeitet, obwohl die Rayons schon Jahrzehnte verschwunden waren und sich nur noch die Alten bei der Post ihrer erinnerten.

Abgelöst wurden diese Stempel durch bayerische Einzeiler, bzw. die Halbkreisstempel, die sich als sehr lange haltbar erwiesen, wenn man mit ihnen schonend umzugehen verstand.

Bei dem hier gezeigten Brief weiß man gar nicht, wo man anfangen soll, so krumm ist er und doch auch wieder menschlich erklärbar.



Er wurde lediglich mit der Adresse "An Herrn Posthalter C. Ritter zu Frankenstein" versehen bei der Post aufgegeben. Kein Franko - Vermerk, keine Franchise, keine Expeditionsnummer, kein Absender, kein gar nichts.

Hinten völlig blank und ohne Franko oder weitere Vermerke.

Klappt man das versiegelte Papier auf, kommt einem eine Mahnung entgegen. Dort steht zu lesen: " te Mahnung Herrn Posthalter Ritter zu Frankenstein. Ich bemerke so eben daß Sie noch mit 3 f 19x (3 Gulden 19 Kreuzer) Grenz Vermarkungs Kosten in Ausstand figuriren und bitte Sie diesen kleinen Betrag mir doch gefalligst recht bald zugehen lassen zu wollen. Gegenwärtige Mahnung zur Vermeidung der Kosten ertheilt Neustadt (an der Haardt) den 18. Novembris 1846 das Königlich bayerische Rentamt - gez. Unterschrift".

Oha - ein Rentamt (Finanzamt würden wir heute dazu sagen) schickt einem Postexpeditor eine Mahnung wegen Grenzvermarkungskosten und gibt diese mit Diagonalstrich versehen bei seiner Postexpedition in Neustadt ab, wo man nichts besseres zu tun hatte, als sie abzustempeln und kostenfrei nach Frankenstein zu übermitteln.

Der siegelseitige Stempel von Kaiserslautern weist den Weg hin zum nahem Frankenstein (bei Hochspeyer). Jetzt wird es aber interessant:

Zum 15.5.1816 war in Frankenstein nach der Postbesitznahme Bayerns Adolf Ritter als Posthalter bestätigt worden und es gab dort sowohl eine reitende, wie auch eine fahrende Post (Brief- und Fahrpost also). Jedoch war das Aufkommen äußerst gering, denn von Mai 1816 bis Oktober 1817, also fast 1,5 Jahre, wurden nur 14 Gulden und 5 Kreuzer vereinnahmt! Adolf Ritter beantragte daher die Aufhebung seiner Expedition beim Postamt Speyer und diesem Ersuchen wurde zum 1.4.1818 stattgegeben.

Nur der Poststall (Pferde und Kutsche) blieb bestehen und ging am 1.10.1818 an Adolf Ritters Sohn, unseren hier genannten Karl Ritter, über. Frankenstein erhielt erst zum 1.1.1864 wieder eine eigene Postexpedition und auch dann war deren Aufkommen noch sehr gering.

Man kann sich in Anbetracht dieser Hintergrundinformationen (s. Englram S. 106) nur zu gut vorstellen, dass unser armer Karl Ritter die schuldigen 3 Gulden 19 Kreuzer kaum aufbringen konnte und er nur mittels einer Mahnung (wenn überhaupt) dazu bewegt werden konnte, seine Schulden zu begleichen.

Man sieht also, dass auch simpel anmuntende Briefe ihre eigene, kleine Postgeschichte haben können, die sehr interesant ist, in eine längst vergangene Zeit führt und Platz lässt für potentiell weitere Erkenntnisgewinne, die in so manchem Inhalt anderer alter Briefe schlummern ...

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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