Thema: Gedanken zur Zukunft der organisierten Philatelie
Cantus Am: 21.04.2017 11:13:45 Gelesen: 6608# 1@  
Als ich einmal begonnen hatte, mich für Briefmarken zu interessieren, war ich ein kleiner Junge von vielleicht acht Jahren, der seinem Vater beim Briefmarkenablösen über die Schulter schaute und es spannend fand, sich mit Briefmarken aus Ungarn, Israel oder Somalia zu beschäftigen, da das alles damals für mich ferne und unbekannte Länder waren. Und so wie mir ging das auch ganz vielen Anderen aus meiner Altersgruppe, was zur Folge hatte, dass fast jeder in meiner Schulklasse Briefmarken sammelte.

Es gab damals aber keine Handys, keine Computer, keine CDs, keine Stereoanlagen, keinen sonstigen elektrischen oder elektronischen Schnickschnack in der Wohnung meiner Eltern und auch keinen Fernseher und als ganz große technische Errungenschaft ein eigenes Telefon für unsere Familie, sodass wir nicht mehr für jedes Telefonat unsere Wohnung im dritten Stock verlassen mussten, um hundert Meter entfernt in der öffentlichen Telefonzelle telefonieren zu können. Es gab auch noch keinen Kühlschrank, dafür wurden regelmäßig große Eisblöcke angeliefert, die meine Eltern dann in einem spezielle Schrank für die Kühlung von Lebensmitteln verwendeten. Und es gab selbstverständlich damals nur sehr geringe Möglichketen, einen privaten PKW zu erwerben, was für meine Eltern, beide Lehrer im öffentlichen Dienst, lange Zeit finanziell nicht möglich war. Statt dessen war man auf die Nutzung von Straßenbahn, Bus oder die eigenen Füße angewiesen, was naturgemäß den Radius der persönlichen Aktivitäten sehr einschränkte.

Was es gab, waren Bücher, Landkarten, Radios, Schallplattenspieler, Gespräche mit den und Erzählungen der Älteren und allerlei Freiluftaktivitäten. Vor diesem Hintergrund war das Sammeln von Briefmarken eine willkommene und sinnvolle Ergänzung.

Und heute? Selbst mir als immer noch engagiertem Sammler fällt es angesichts der vielfältigen Freizeitangebote schwer, mich in eigentlich erforderlichem Umfang um meine Sammlungen zu kümmern. Wenn aber selbst ich Probleme damit habe, bestimmte Zeit für dieses Hobby regelmäßig zu reservieren, wie geht das dann erst jungen oder jüngeren Leuten, die mit und in einer elektronisch gesteuerten oder zumindest beeinflussten Umgebung leben oder aufwachsen? Die per Knopfdruck Informationen über so gut wie jede Region der Erde, über Sitten und Gebräuche, über fremde Sprachen oder heimische Denkweisen oder Besonderheiten ohne spürbare zeitliche Verzögerung abrufen können. Was verbindet diese Mitmenschen noch mit unserem Hobby der Philatelie, seien es nun Briefmarken, Ganzsachen, Stempel oder z.B Ansichtskarten?

Die wenigen, die heute den Weg zur Philatelie finden und auch dabeibleiben, sind vor allem in der Gruppe derer zu finden die ihre Berufsausbildung hinter sich haben, im Beruf stehen, Familie besitzen oder zumindest in einem Alter sind, wo man sich in dieser Richtung orientieren kann, und die aus verschiedenen Gründen nach einer sinnvollen Freizeitergänzung suchen. Der Altersdurchschnitt derer, die unsere Reihen ergänzen, dürfte daher eher in den Vierzigern zu suchen sein und nicht mehr so wie früher im Kindesalter.

Und wo pflegt man heute den Gedankenaustausch zum eigenen Hobby? Mit Sicherheit nicht mehr in der Schulklasse oder in der Kneipe an der Ecke, sondern wohl eher im Internet oder zumindest in Sammlerorganisationen, die sich nicht mehr am Wohnort des Sammlers, sondern an den Schwerpunkten seines Sammelns orientieren. Aus meiner Sicht ist damit die Existenz von Ortsvereinen mit Blick auf die Zukunft der Philatelie weitgehend überflüssig geworden, während gleichzetig die Menge der ARGEn wohl zunehmen wird. Sicherlich werden sich die älteren Sammler auch noch weiterhin mit Gleichgesinnten in ihren angestammten Ortsvereinen treffen und austauschen wollen, das ist aber ein aussterbender Mitgliederbereich, der in zwanzig bis dreißig Jahren altersbedingt mit Sicherheit keine wesentliche Rolle mehr spielen wird.

Wo aber Ortsvereine ihre Daseinsberechtigung verlieren, da machen auch Landesverbände keinen Sinn mehr. Diese beiden Organisationsformen heute noch zu fördern oder zu verteidigen macht aus meiner Sicht keinen Sinn mehr, zeugt aber mindestens von Realitätsverlust, wenn man den Blick nicht auf die Gegenwart, sondern auf die weitere Zukunft richtet. Natürlich verlieren dadurch einige Leute ihre Leitungsfunktion, die ihnen zum Teil wohl sehr viel bedeutet, aber das ist nun mal der Gang der Geschichte und mit Sicherheit nicht mehr zu vermeiden.

Der Sammler der Gegenwart oder Zukunft wird sich vorrangig drei verschiedenen Kontaktmöglichkeiten zuwenden:

Variante 1 = Kontakt über’s Internet, z.B. über Sammlerforen wie die Philaseiten

Variante 2 = Kontakt zu einer ARGE oder einem überregionalen Verein, wo dieselben Sammungsschwerpunkte gepflegt werden wie in der eigenen Sammlung oder wo bestimmte außergewöhnliche Aktvitäten gepflegt werden wie z.B. beim Deutschen Altbriefsammlerverein das Projekt mit den Postverträgen, wo man mit dem Vereinsbeitrag dieses Projekt fördern möchte. Oder als Gnzsachensammler bietet sich vorrangig die Mitgliedschaft in einem Ganzsachensammlerverein an, wobei der Münchner Ganzsachensammlerverein verantwortlich zeichnet für die Michel-Ganzsachen-Kataloge, der Berliner Ganzsachensammlerverein für die Ausgaben der NGK-Kataloge, also die Ganzsachenkataloge der besonderen deutschen Ausgaben oder zu Themen außerhalb von Europa. Während es aber in Deutschland immerhinn noch diese beiden Vereine sowie zwei weitere überregionale Organisatinen gibt, die sich mit Ganzsachen beschäftigen, gibt es z.B. in Österreich keinen einzigen Verein mehr, der noch den Namen eines Ganzsachensammlervereins verdient.

Variante 3 = Direktmitgliedschaft im BDPh

Damit der BDPh in Zukunft in ausreichendem Maße seinen Aufgaben als überregionaler Interessensverband nachkommen kann, muss der Umfang seines aktiven Verwaltungsbereiches erheblich erweitert werden, damit die Aufgaben, die heute zum Teil von den Landesverbänden wahrgenommen werden, zukünftig im Interesse der Sammler, aber auch abstrakt im Interesse der zukünftigen Philatelie rechtzeitig und allseits interessenwahrend erledigt werden können.

Viele Grüße
Ingo
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/10225
https://www.philaseiten.de/beitrag/150654