Thema: Altdeutschland Bayern: Briefe erklären
bayern klassisch Am: 13.09.2017 12:55:15 Gelesen: 309540# 184@  
Liebe Freunde,

heute zeige ich einen Franko - Zettel (FZ) aus Frankenthal in der Pfalz nach Le Havre vom 9.5.1860. Was war ein FZ? Nun, wenn ein Absender etwas postalisches zu erledigen hatte, aber auch die Post sich nicht sicher war, welche Kosten insgesamt zu zahlen waren, aber dem Empfänger die Sendung garantiert ohne Kosten zugestellt werden sollte, dann konnte er mit seiner Postsendung (in der Regel Fahrpost) einen behördlichen FZ mit abgehen lassen, in welchem alle Postverwaltungen ihre Auslagen zu notieren hatten und der dann nach Übergabe des Poststücks an seinen Empfänger wieder zurück geschickt wurde, wo er im Austausch zu dem ausgegebenen Postschein dem Absender gegen Bezahlung aller Kosten ausgehändigt wurde.



Absender war hier das Bürgermeisteramt in Lambsheim bei Frankenthal. Verschickt wurde eine Rolle (Geld) an das bayerische Konsulat in (Le) Havre mit 120 Franken. Die Rechnung für diesen Wertversand sehen wir rechts notiert:
Porto für Bayern 19 Kreuzer, bis Paris 56 Kreuzer und nach Le Havre 56 Kreuzer = 2 Gulden 6 Kreuzer.

Da der Absender eine bayerische Behörde war, hatte man regelmäßig vor der Absendung der Sendung von einen Depositum abgesehen; hätte ein Privater das gleiche Verfahren gewählt, hätte die Aufgabepost einen Betrag, der ihr angemessen erschien, von ihm als Depositum einbehalten und den Rest, so es einen gab, bei Abgabe des FZ wieder erstattet. Die Höhe des Depostiums war auf dem Postschein der Fahrpost selbst zu vermerken.

Der Grund der Hinsendung von 120 Franken (1 Franken war 28,5 Kreuzer wert, also eine Sendung im Wert von 2.850 Kreuzern = 57 Gulden (plus Auslagen von 2 Gulden 6 Kr.) dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darin zu suchen sein, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Gemeinden für ihre Bürger verantwortlich waren, wenn diese in Not gerieten.

Offenbar war ein Auswanderungswilliger Mensch aus Lambsheim im Rahmen seiner Reise nach Le Havre finanziell notleidend geworden und benötigte dringend für seine weitere Reise die übermachten 120 Franken, da Mittellose niemals auswandern konnten (auch wenn sich in Laienkreisen genau diese Variante immer wieder verfolgen läßt).

Nach Rücklauf des FZ dürfte die Gemeinde Lambsheim dann von den Angehörigen des Auswandernden den Betrag von 59 Gulden und 6 Kr. zurück gefordert haben, auch wenn das sicher kein leichtes Unterfangen war, denn viele Auswanderer schieden nicht eben unter den angenehmsten Verhältnissen von ihren Angehörigen und in der Regel kamen diese auch nie wieder in die Heimat zurück, so dass man in solchen Fällen getrost den Betrag, den man auslegte, abschreiben konnte.

Aus der Pfalz kenne ich eine Handvoll FZ nach Frankreich (alle nach Le Havre). Ich freue mich sehr, endlich selbst einen besitzen zu dürfen, zumal das Thema Auswanderung, auch wenn es belegseitig nicht intoniert ist, eines der interessantesten ist, welches die (Post-)Geschichte zu bieten hat.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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