Thema: Kleiner Katechismus über bayerische Bischofsbriefe
Erdinger Am: 21.07.2009 14:33:19 Gelesen: 23925# 1@  
Wer sich für Bayern-Philatelie interessiert, stößt spätestens dann auf sie, wenn er den ersten einschlägigen Auktionskatalog durchblättert: Bischofsbriefe. Ihnen haftet seit jeher der Nimbus des Besonderen an - warum eigentlich? Die Frage zu stellen ist einfacher als sie zu beantworten. „Wat is ene Bischofsbrief? Da stellen wir uns einmal janz dumm ...“

Was hat man sich unter einem Bischofsbrief vorzustellen?

Die Bezeichnung führt etwas in die Irre. Es sind nämlich keine Briefe, die ein Bischof geschrieben hat, sondern solche, die an einen Bischof geschickt wurden, genau genommen an den Erzbischof von München-Freising.

Aus welchem Zeitraum liegen sie vor?

Man kann dafür die Jahre 1821 (Errichtung des Erzbistums München-Freising) bis 1909 ansetzen, also die Zeit der ersten sechs Amtsinhaber:
Lothar Anselm von Gebsattel (1821–1846)
Karl August von Reisach (1846–1855)
Gregor von Scherr (1856–1877)
Antonius von Steichele (1878–1889)
Antonius von Thoma (1889–1897)
Franz Josef von Stein (1897–1909)

Bekam der Oberhirte diese Briefe tatsächlich zu sehen?

Der erste Erzbischof Lothar Anselm von Gebsattel regelte zu Beginn seiner Amtszeit in einem Erlass an den Klerus (30.10.1821), in welcher Form die Priester seiner Kirchenprovinz mit ihm korrespondieren sollten:



Ein weiterer Erlass vom 12.11.1821



Der Wunsch, den Großteil der Schriftstücke persönlich an sich adressiert zu wissen, scheint begreiflich angesichts der Tatsache, dass die Diözese Freising 18 Jahre lang führungslos gewesen war und nach der Ausschaltung des bisherigen Primas (in Salzburg) die Strukturen der neu geschaffenen Kirchenprovinz erst wieder aufgebaut werden mussten.

In der Praxis dürfte die Korrespondenz zunächst in der dem Erzbischof direkt unterstellten kirchlichen Behörde (Ordinariat) eingelaufen sein, an die alle Schreiben - kenntlich an dem kleinen Beisatz links unten – zu versenden waren.

Aufgrund einer Regierungsverordnung vom Januar 1822 wurden die Erzbischöfe in den Kreis derer aufgenommen, denen der Titel „Excellenz“ zukam, was sich auch in der Adresse der Bischofsbriefe niederschlug.

Wer konnte einen solchen Brief schreiben? In welchen Angelegenheiten?

Ausschließlich Priester, die dem Bistum angehörten, bei begründeten Ausnahmen auch solche aus anderen Kirchenprovinzen (etwa, weil sie von einem Bistum ins andere wechseln wollten). Für ihre Anliegen waren innerhalb des Ordinariats im Wesentlichen zwei Abteilungen zuständig: Allgemeiner Geistlicher Rat und Generalvikariat. (Für die Korrespondenz mit Consistorium, Metropoliticum und Diözesan-Emeriten-Anstalt mussten Briefschreiber nicht die Form des Bischofsbriefes wahren.)



Weltliche Korrespondenten (Behörden, Gemeinde- und Stadträte) adressierten ihren Schriftverkehr übrigens unter Verzicht auf ausführliche Titulaturen direkt an das Generalvikariat.



Kein Bischofsbrief: Dienstbrief des Landgerichts Erding mit Behördenstempel „K.L. ERDING“ an das Generalvikariat in Freising (1816), das während der bischofslosen Zeit (1803–1821) die Bistumsgeschäfte führte.

Wir sprechen bisher nur vom Bistum München-Freising, dessen Bischof zugleich Erzbischof ist. Gibt es Bischofsbriefe auch aus anderen Bistümern?

Man kennt einige an die Bischöfe der Suffraganbistümer (dem Erzbischof unterstellt) Regensburg und Passau, die aber üblicherweise auf die Ergebenheitsadresse verzichten. Noch seltener sind solche an den zweiten Erzbischof in Bayern, den von Bamberg. Bei der Masse (wenn man von Masse sprechen kann) der verfügbaren Bischofsbriefe handelt es sich um ein oberbayerisches Phänomen, also um Briefe aus der Kirchenprovinz München-Freising.



Pflicht: Handschriftlicher Bischofsbrief (Dienstsache) des Pfarrers von Isen (ca. 1825), aufgegeben in der nächstgelegenen Postexpedition Hohenlinden ...

Wie kamen diese Briefe in den Handel?

Ursprünglich lagen sie in der Registratur bzw. im Archiv des Ordinariats. Üblicherweise sind von Bischofsbriefen lediglich Briefhüllen im Umlauf, was darauf schließen lässt, dass der „archivwürdige“ Teil mit dem eigentlichen Inhalt im Rahmen von Bestandsbereinigungen abgetrennt und weiterhin in den Akten verwahrt wurde. Bischofsbriefe sind in Sammlerkreisen seit den 1920er-/1930er-Jahren bekannt.

Dass das Material aus München-Freising überwiegt, könnte daran liegen, dass Philatelisten in München eher auf verwandte Seelen trafen als anderswo oder dass die Altpapierhändler nicht alles einstampfen ließen, was man ihnen zu diesem Zweck anvertraute. Das Ordinariat dieser Kirchenprovinz trennte sich offensichtlich leichter von als „überflüssig“ erachteten Teilen seiner archivierten Korrespondenz als andere Bistümer (wie Regensburg oder Passau).

Sind Bischofsbriefe etwas Besonderes?

Kommt darauf an. Kaum eine größere Sammlung scheint ohne sie auszukommen. Die auf Bayern spezialisierten Auktionshäuser widmen ihnen meist sogar ein eigenes Kapitel im Katalog. Die Ausrufpreise (und Zuschläge) können dabei deutlich über dem liegen, was man für philatelistisch vergleichbare, aber eben „normale“ Briefe ansetzen würde.



... und Kür: Handschriftlicher Franko-Bischofsbrief mit kalligraphischer, unvorschriftsmäßig verkürzter Titulatur und leuchtend rotem Aufgabestempel von Erding (1845)

Bischofsbriefe wurden je nach Betreff als Dienstsachen oder franko verschickt (bei unfreiem Versand wäre die Annahme verweigert worden) - so betrachtet sind sie also nicht besser als ihre Geschwister aus profaner Behördenpost oder dem „Bedarf“. Es gibt natürlich auch unter ihnen welche, die besondere Laufwege, Markenfrankaturen, Stempel oder qualifizierte Leistungen aufweisen und damit auch dem Postgeschichtler etwas geben. Solche Stücke sind allerdings dünn gesät.

Bischofsbriefe sind aber sicher selten?

Nicht unbedingt. Speziell für meine Heimatsammlung hätte ich, wenn ich das Angebot vieler Auktionen im letzten Jahrzehnt zugrunde lege, aus dem Zeitraum bis 1875 mehr Bischofsbriefe kaufen können als qualitativ hochwertige „gewöhnliche“! Verallgemeinern darf man das zwar nicht. Etwas Geduld, Marktbeobachtung und Sammlerglück vorausgesetzt, ist aber für fast jeden Geldbeutel etwas zu bekommen. Markenbriefe der Pfennigzeit werden etwas seltener angeboten als solche aus der Kreuzerepoche, diese wiederum sind rarer als markenlose Exemplare. Briefe aus der Zeit der ersten drei Erzbischöfe sind häufiger auf dem Markt als solche an die folgenden drei Würdenträger.

Rarer als Bischofsbriefe sind sicherlich Postscheine für Bischofsbriefe. Anfang Januar 2009 tauchte ein solches Stück für einen gegen Ende der Vormarkenzeit in Moosburg aufgegebenen Brief bei eBay auf, das nach kurzem, aber heftigem Bietergefecht einen neuen Besitzer fand. Falls dieser schon einen passenden Brief sein Eigen nennt, ist ihm eine schöne Seite für die Ausstellungssammlung sicher.



Ebenmäßig: Handschriftlicher Bischofsbrief (Dienstsache), 1846 aufgegeben in Velden/Vils. Ortsangaben („Vom K. Pfarramte Moosen“) sind für Heimatsammler interessant - und nicht auf jedem Bischofsbrief zu finden.

Was muss man für einen Bischofsbrief ausgeben?

Was er einem wert ist! Generell gilt das Gleiche wie für „weltliche“ Stücke: Markenlose Dienstbriefe sind deutlich günstiger als „markirte“. Handschriftliche Briefe scheinen mir etwas billiger zu sein. Setzt man hier 20–25 Euro als Basis an, wird man je nach Abschlagsqualität oder Seltenheit des Stempels, des äußeren Erscheinungsbildes etc. in höhere Preisregionen kommen. Bei Markenbriefen können eine seltene oder Farbenfrankatur, womöglich kombiniert mit perfekter Optik, den Preis in eine ordentlich drei- bis vierstellige Höhe treiben. Offenbar gibt es aber auch nach oben Grenzen: Ein Bischofsbrief aus Taufkirchen/Vils von 1862 mit einer diagonal halbierten 4 II blieb zuletzt 2007 bei Corinphila mit einem Ausruf von 20.000 SFr liegen.

Wenn es postgeschichtliche Bedeutung und Seltenheit nicht sind, was macht dann den besonderen Reiz aus?

Der optische Eindruck. Bischofsbriefe gelten als Blickfang. Viele von ihnen sind vorzüglich erhalten, „aktenfrisch“, wie man so schön sagt. Es gibt Stücke, die auch nach anderthalb Jahrhunderten aussehen, als wären sie gestern geschrieben worden. Dann die Adressierung: eine Litanei von hochtrabenden Titeln, die in unterwürfigem Ton aufgezählt werden.

Manche Briefschreiber zogen alle Register: Es gibt wunderschöne Exemplare in makelloser Kalligraphie. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl von lithographierten oder im Buchdruck hergestellten Vordrucken in unterschiedlichsten Schriftbildern, die sich auf einer Skala von meisterhaft bis geschmacksverirrt einordnen lassen.

Spezialsammler unterscheiden diverse Typen von Vordrucken.

Wer lieferte diese Vordrucke?

Sie wurden ab 1839 zentral vom Ordinariat beschafft, wohl um den Schreibaufwand zu verringern und Abweichungen bei der Titulatur zu vermeiden. Zunächst handelte es sich um Formulare, die mit der Hand geschrieben und dann als Lithographie oder in einem frühen Umdruckverfahren vervielfältigt wurden (vergleichbares kennt man von staatlichen Behörden seit den 1820er-Jahren).



Standardisiert: Der häufigste, von 1839 bis 1843 einzige Vordruck, bis 1846 belegbar (hier aus dem Jahr 1843)

Bis ins Jahr 1851 konnten diese bereits im Kanzleiformat beschnittenen „Kopf- und Titulaturbögen“ bei der erzbischöflichen Kanzlei bezogen werden, das „Buch“ (21 Bögen) zu 21 Kreuzern, das Stück zu 1 Kreuzer. Ab dem Schematismus für das Jahr 1852 fehlt dieser Hinweis, offenbar endete die zentrale Beschaffung in diesem Jahr, und die Pfarrämter konnten die Vordrucke möglicherweise direkt beim bisherigen Lieferanten bestellen.

Die schon bisher auftretenden Variationen im äußeren Erscheinungsbild vervielfachen sich nun, was darauf schließen lässt, dass auch andere Drucker als der vormalige (unbekannte) Monopolist ins Geschäft kamen. Einige Vordruckarten sind nur aus wenigen Orten bekannt, was nahelegt, dass die betreffenden Pfarrämter auf Angebote regional tätiger, sogar örtlicher Lieferanten zurückgriffen. Vordrucke aus Freising bzw. dem Raum Rosenheim/Wasserburg ab etwa 1856 brechen mit der Tradition des kalligraphischen Erscheinungsbilds und gehen zum Typensatz über.

Offensichtlich reformierte Antonius von Steichele die umfangreichen Adressformeln; gegen Ende seiner Amtszeit verschwinden die Worte „Meinem gnädigsten Herrn“.



Selten: Von den vorgedruckten Briefenbögen an Antonius von Steichele ist dies der „häufigere“ Typ, in einer späten Verwendung aus Dorfen von 1889, wenige Monate vor dem Tod des Erzbischofs.

Gibt es Literatur?

Als gedruckte Quellen liegen nur das amtliche Jahrbuch des Erzbistums, der sogenannte „Schematismus“, und die fünfbändige „Generaliensammlung“, in der alle erzbischöflichen Erlasse von 1821 bis 1890 gesammelt sind, vor. Abgesehen von Beiträgen verschiedener Autoren in den Mitteilungsblättern der einschlägigen Arbeitsgemeinschaften hat sich besonders der bekannte Bayern-Philatelist Dr. Oskar Menzinger dieser Thematik angenommen. Er veröffentlichte 1988 eine 56seitige Broschüre, in der er verschiedene Vordrucktypen katalogisierte, die unter vier Erzbischöfen zwischen 1839 und 1889 nachweisbar sind. Dass er das Gebiet damit noch nicht abschließend beschrieben hatte, zeigt das 1998 von ihm vorgelegte 28seitige Supplement, das nun sogar Vordrucke an zwei weitere Erzbischöfe (Antonius von Thoma und Franz Josef von Stein) belegen konnte.

Subjektives Fazit: Braucht man Bischofsbriefe?

Nein! Aber das gilt im Grunde für alles philatelistische Altpapier. In meiner Heimatsammlung belegen Bischofsbriefe dasselbe wie alle anderen Stücke - u. a. Orte ohne eigene Expedition, die ihre Post jenseits der politischen Grenzen des Erdinger Lands aufgaben, besondere Abstempelungen oder Stempelfarben (bisher kenne ich z.B. rote Stempelabschläge aus Erding nur im Zusammenhang mit Korrespondenz in kirchlichen Belangen, 1843–1853).



Ich weiß nicht, was uns dieser Herr raten würde. Meine Empfehlung lautet, solche Stücke nur dann mitzunehmen, wenn sie gut aussehen und wirklich günstig zu haben sind. Manche Stücke in meiner Sammlung würde ich zwar wieder kaufen, aber nicht mehr zu dem Preis, den ich zu Beginn meiner Sammlerkarriere bezahlt habe. Das Weihrauchfass schwenkt man besser für andere, auf den ersten Blick vielleicht unscheinbarere Stücke. Die Wahrscheinlichkeit, mehr für weniger zu bekommen, ist in diesem Fall größer.

Aber alles Sammeln bleibt letztlich subjektiv, und wer sich vertieft diesem Thema zuwenden will, findet über die genannte Literatur (und vielleicht auch in diesem Thread) einige Hintergrundinformationen.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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