Thema: Ganzsachen mit privaten Zudrucken
wuerttemberger Am: 19.08.2017 14:20:40 Gelesen: 161773# 263@  
@ Cantus [#262]

Hui, da muß ich mal wieder etwas ausführlicher antworten, obwohl ich das schon in etlichen anderen Threads getan habe. Verabschiede Dich erst einmal vom Begriff "Deutsches Reich" als postalischem Begriff, denn bis 31.03.1920 gab es drei Postverwaltungen auf dem Gebiet des Deutschen Reiches. Es waren die bayerische, die württembergische und die Reichspostverwaltung. Jede Postverwaltung regelte ihren inneren Verkehr selbstständig. Der Wechselverkehr zwischen den Postverwaltungen wurde einvernehmlich gestaltet.

Der Irrtum, dass die württembergische Postverwaltung am 1.4.1902 in der Reichspostverwaltung aufgegangen sei, kann man einfach nicht ausmerzen. Die historische Wahrheit ist, dass Württemberg und die Reichspost 1901 einen Vertrag geschlossen haben zur Herausgabe gemeinsamer Freimarken. Würde das so im Michel stehen könnten es auch mehr Leute verstehen. Es steht aber geschrieben, dass Württemberg auf die Ausgabe eigener Freimarken verzichtet habe. Das ist nicht falsch, aber viele Sammler implizieren damit, dass Württemberg auch kein eigenes Postregal mehr hatte. Das ist nachweislich falsch. Du bist diesem Irrtum auch aufgesessen und befindest Dich in guter Gesellschaft mit Ron Alexander, der das in einem seiner Videos (immer noch ?) verbreitet.

Die Herausgabe gemeinsamer Freimarken kann man auch an solchen Äußerlichkeiten, wie der Änderung der Inschrift von Reichspost in Deutsches Reich festmachen, denn zur Reichspost gehörte Württemberg ja nachweislich noch nicht. Es gab auch den Versuch die Bayern daran zu beteiligen, aber das scheiterte an deren Widerstand - was nicht wirklich überrascht: Mia san mia.

Die Freimarken und Ganzsachen wurden tatsächlich in der Reichsdruckerei gedruckt. Auch die auf private Bestellung bedruckten Postkarten, Briefumschläge, Streifbänder etc. wurden in der Reichsdruckerei hergestellt. Stuttgart hatte meiner Kenntnis nach keinen Germaniawertstempel zur Verfügung. Zufälligerweise wurden auch zum 1.4.1902 die Hausauftragsnummern, kurz HAN, eingeführt.

Da das mit der Posthoheit und den gemeinsamen Freimarken geklärt ist fällt Deine weitere Argumentation in sich zusammen.

Württemberg hatte im inneren Verkehr alle Freiheiten in der Tarifgestaltung. So auch im Orts-, Nachbarorts- und Oberamtsverkehr. Die 3 Pfennig Postkarte war nach der Tariferhöhung am 1.4.1908 genau dafür vorgesehen. Bei der Einführung der Reichsabgabe am 1.8.1916 erhöhte sich der Tarif auf 5,5 Pfennige. Das war im Gebiet der Reichspost niemals eine Portostufe, wurde dort auch niemals verkauft und taucht auch nie in den Jahresberichten der Reichspostverwaltung auf. Nichtsdestotrotz waren die Ganzsachen natürlich im Gebiet der Reichspost verwendbar. Eine Ausnahme gibt es, siehe vorletzten Absatz. Solche Verwendungen würden mich brennend interessieren. Das gilt nicht für den Aufbrauch dieser Ganzsachen nach den Portoerhöhungen ab 1918, da kann man sie immer mal wieder finden.

Besonders schön kann man Württemberg als Herausgeber bei den Postanweisungsumschlägen belegen. Es steht nämlich drauf, dass sie nur innerhalb Württembergs verwendbar waren. Weshalb sollte die Reichspost Ganzsachen herausgeben, die auf ihrem Gebiet nicht gültig waren? Einen Postanweisungsumschlag ins Reichpostgebiet oder nach Bayern gelaufen habe ich noch nie gesehen. Die Versuche gab es zwar, aber die Umschläge wurden angehalten und auf eine Postanweisungskarte übertragen.

Meine Empfehlung ist, im Michelkatalog die entsprechende Textstelle zu streichen und durch meine Formulierung zu ersetzen. Das bewahrt einen davor falsche Schlüsse zu ziehen.

Gruß

wuerttemberger
 
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