Thema: Philatelie in der Presse
Richard Am: 08.10.2008 23:53:19 Gelesen: 1328029# 138@  
Postgeschäfte über die Türschwelle: Unterwegs mit dem Hausservice der Post

Jungfrau-Zeitung, Lütschental (06.10.08) - Seit diesem Sommer ist die Poststelle Zweilütschinen geschlossen und wird durch den Hausservice der Post ersetzt. In der Nachbargemeinde Lütschental besteht dieses Modell schon seit sechs Jahren. Ein Rundgang mit dem Briefträger zeigt, dass das Modell gut funktioniert, aber eine eigene Poststelle nicht ersetzt.

«Hausservice» ist ein vielversprechendes Wort. Die Dienstleistung, die sich dahinter versteckt, ist denn auch gut durchdacht und funktioniert. Trotzdem ist sie nicht besonders beliebt. Denn der Hausservice ist ein Ablöse-Modell der Post, wenn in einem Ort die Poststelle aufgehoben worden ist. Einer eigenen Poststelle trauern viele Dorfbewohner nach. Hausservice bedeutet, dass der Briefträger auf seiner Tour durch die Ortschaft nicht nur Post verteilt, sondern auch Briefe und Pakete entgegen nimmt, die jemand aufgeben möchte. Auch andere Geschäfte, die früher auf einer Poststelle getätigt wurden, erledigt beim Hausservice der Briefträger, etwa Einzahlungen entgegen nehmen oder Briefmarken verkaufen.

Schildchen raus, Briefträger klingelt

An diesem Morgen in Lütschental, wo die Poststelle bereits seit sechs Jahren geschlossen ist und die Kunden im Hausservice bedient werden, will niemand ein grösseres Postgeschäft tätigen. Auf einigen Briefkästen steht ein fertig frankierter Brief bereit, den Hans-Peter Hirschi mitnimmt. An einem Ort wartet ein Paket auf den Pöstler und an einem anderen Briefkasten ist ein gelbes Schild angebracht. Es weist darauf hin, dass jemand die Dienste in Anspruch nehmen will. «Hier liegt ein Brief zum Mitnehmen im Kasten», sagt Hirschi. «Manchmal muss ich auch an der Türe läuten, weil jemand eine Einzahlung machen möchte oder sonst ein Geschäft erledigen.» Im Restaurant Stalden sitzt Hans-Peter Hirschi für eine kurze Pause ab. Der Wirt Peter Kaufmann gesellt sich zu ihm. Er sei sehr zufrieden mit dem Hausservice, sagt Kaufmann. Für ihn sei die Lösung praktisch. Hans-Peter Hirschi schätzt es, dass seine Arbeit aufgewertet wird durch die neuen Aufgaben. 370 Haushaltungen bedient Hans-Peter Hirschi auf seiner Tour durch Gündlischwand, Lütschental und Burglauenen. Die Zustellung für die drei Ortschaften erfolgt von der Post Grindelwald aus. Um 5.45 Uhr am Morgen beginnt Hans-Peter Hirschis Dienst mit dem Sortieren der Post in Grindelwald. Dafür hat er früher Feierabend als andere Arbeitstätige. Doch der Job ist kein Zuckerschlecken, vor allem im Winter nicht, wenn die engen, steilen Strässchen, die er mit seinem Auto befährt, verschneit sind.

Mehr als Post vertragen

Hans-Peter Hirschi ist nicht irgendein Briefträger. Er kam mit seiner Frau, die ebenfalls auf der Post arbeitet, vor 18 Jahren nach Gündlischwand als Posthalter. Nach all diesen Jahren kennen die Hirschis die Anliegen ihrer Kundschaft bestens. Ihr haben sie so manchen Dienst erwiesen, der über die eigentlichen Aufgaben eines Posthalters hinausgeht. Das gilt auch mit dem neuen Modell. In einem Haus in Lütschental öffnet Hans-Peter Hirschi die Wohnungstür, betritt mit einem freundlichen Gruss den Raum und legt die Post auf den Küchentisch. Hier wohne eine ältere Frau, erklärt er, deshalb schaue er kurz hinein, ob alles in Ordnung sei. Man glaubt es dem Briefträger sofort, wenn er sagt: «Meine Frau und ich, wir haben uns immer mit Herzblut für die Post eingesetzt.» Gerade leicht waren die vielen Veränderungen auch für ihn nicht. Zu schaffen macht dem Ehepaar Hirschi derzeit vor allem, dass sie ein Haus mit Poststelle gebaut haben, als sie 1990 nach Gündlischwand kamen. Jetzt ist die Nutzung dieser Räume unsicher. Über eine mögliche Lösung mit der Gemeinde soll nächstens entschieden werden.

Flexible Lösungen sind gefragt

Nicht nur für die einstigen Posthalter ist es schwierig, ohne Poststelle zurecht zu kommen. Eine eigene Post im Dorf war mehr als nur Dienstleistung. Man hat sich getroffen, konnte sich austauschen und fühlte sich ernst genommen. Hinzu kommt, dass die Schliessung einer Poststelle auch eine hoch emotionale Angelegenheit ist, müssen doch die Bewohner kleiner Dörfer ohnehin ein immer kleineres Angebot vor Ort hinnehmen. Peter Ritschard, Leiter der Briefzustellregion Interlaken, zu der auch Gündlischwand und Lütschental gehören, weiss um diesen Sachverhalt. Trotzdem erhält er in seiner Funktion fast kein Echo auf die neuen Postmodelle. «Für die älteren Personen ist der Hausservice ganz praktisch», sagt er. «Jüngere Kunden nutzen im Zeitalter von Internet und E-Banking die Dienstleistungen der Poststellen nicht mehr gleich rege.» Briefträger Hirschi versucht zudem, mit flexiblen Lösungen, seinen Kunden entgegen zu kommen. Wenn er weiss, dass Postkunden talauswärts arbeiten und er einen eingeschriebenen Brief melden muss, dann sorgt er dafür, dass der Kunde die Sendung auf der Post Wilderswil abholen kann und nicht nach Grindelwald fahren muss. Damit kann er einige Sympathien derjenigen wieder zurückholen, die der eigenen Poststelle nachtrauern.

(Quelle: http://www.jungfrau-zeitung.ch/artikel/?cq_*b1e2e6cf=ivxPU=87987xjb)

Wenn dieses gelbe Täfelchen auf dem Briefkasten steht, weiss Briefträger Hans-Peter Hirschi, dass jemand seinen Dienst im Hausservice in Anspruch nehmen will.

Foto: Annette Marti


 
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