Thema: Philatelie in der Presse - Auktionen (Sammelbeitrag)
Richard Am: 20.11.2008 14:48:59 Gelesen: 133366# 20@  
Der Quadratzentimeter kann tausend Franken kosten

Von Walter Jäggi

Tagesanzeiger.ch (19.11.08) - Flüchten in der Finanzkrise alle ins Briefmarken-Sammeln? An Auktionen werden mit den entwerteten Wertzeichen Millionenumsätze gemacht.

Wenn nächste Woche im Auktionshaus Rapp in Wil SG die diesjährige Briefmarkenversteigerung stattfindet, werden jeden Tag ein paar hundert fachkundige Philatelisten aus dem In- und Ausland im Saal sein. 15 Millionen Franken Umsatz liegen drin. Wer nicht zu den Insidern zählt und an sein vergilbtes Markenalbum aus Bubenzeiten denkt, wundert sich. Doch schnell wird klar: Es gibt zwei Briefmarken-Welten, eine kommerzielle Profiszene und das Vereinsleben der Liebhaber.

Bei der grossen Auktion geht es um Raritäten, vielfach aus dem 19. Jahrhundert, für die Sammler bereit sind, Geld auszugeben. Zum Beispiel um eine Basler Taube im Schätzwert von bis zu 100’000 Franken, eine Rayon I, die auf 100’000 bis 150’000 Franken geschätzt wird, einen der 50 Briefe, die mit Apollo 13 auf dem Mond waren, oder ganze Sammlungen.

Der Preis pro Quadratzentimeter kann in die Tausende von Franken gehen. Als blosse Finanzinvestition oder gar zu Spekulationszwecken sollte man Briefmarken aber nicht sehen, rät Auktionator Peter Rapp, man müsse die Marken schon mögen. Zudem muss man sich auskennen in der Bewertung, die zwischen optimistischem Katalogwert, vorsichtiger Expertenschätzung und effektiv erzieltem Preis heftig schwanken kann.

Ob wertvolle Briefmarken angesichts des Scherbenhaufens auf dem Aktienmarkt nun als sichere Werte gesucht sind, wird sich bei der Auktion weisen. Marianne Rapp Ohmann, im Unternehmen ihres Vaters für die kaufmännischen Belange zuständig, weist darauf hin, dass die Markenpreise den Wirtschaftsboom der letzten Jahre nicht mitgemacht haben und deshalb auch kein Absturz zu erwarten sei. Einen solchen kennt allerdings auch die Briefmarkenbranche, er liegt aber 25 Jahre zurück.

Die Motivation, Geld in winzige Papierchen zu investieren, die man nicht einmal in einem Rahmen im Salon präsentieren kann, sei die Begeisterung dafür, etwas Einzigartiges oder zumindest sehr Seltenes zu besitzen und die Freude an der Schönheit. «Philatelisten sind Ästheten», sagt Marianne Rapp. Was und wie man sammelt, ist verschieden, oft gilt die Liebe einem (Heimat-)Land oder dann dem abgebildeten Sujet, einem Stempel mit besonderem Ort und Datum, einem ausgefallenen Transportweg (mit dem Ballon über den Nordpol) oder einem prominenten Adressaten und damit auch dessen Geschichte. «Unsere Kunden sind kein Altherrenclub, auch Dreissigjährige zählen dazu», betont Peter Rapp.

Die Schweiz ist mit einem halben Dutzend Auktionshäusern eine internationale Drehscheibe des Briefmarkengeschäfts. Günstige gesetzliche Rahmenbedingungen, Sorgfalt und Diskretion seien die Ursachen, meint Peter Rapp. Um die Einlieferungen kümmern sich Leute mit grosser Erfahrung, das wichtigste sei dabei «ein fotografisches Gedächtnis», sagt Marianne Rapp. Manchmal lassen die Anbieter mehrere Auktionatoren Konkurrenzofferten machen. Häufig übernimmt der Auktionator Nachlässe, wenn die Erben mit einer Sammlung nichts anfangen können. «Wenn ein Sammler gedenkt aufzuhören, rate ich ihm, er soll selber noch verkaufen», sagt Peter Rapp. Dass in Schweizer Wohnungen Markensammlungen im Millionenwert schlummern, ist sicher – aber nicht jedes laienhaft geführte Album bringt das grosse Geld. «Entscheidend ist der Zustand», betont Peter Rapp, schon geringste Schäden reduzieren den Wert massiv, und Restaurationen sind, im Gegensatz zu Gemälden, bei Marken verpönt.

Doch dann gibt es auch die andere Philatelistenwelt: Eine Briefmarkensammlung fehlte früher in keinem Kinderzimmer – vorausgesetzt, das Kind war männlichen Geschlechts. Mit der harmlosen Frage, ob man die Markensammlung zeigen dürfe, pflegten junge Männer junge Damen anzulocken – jedenfalls, wenn man einem einstmals beliebten Witzszenario glauben will.

An der Basis fehlt der Nachwuchs

Heute ruhen die mit viel Liebe, Mühe und Zeitopfern aufgebauten Sammlungen in Kellern, Winden oder Wandschränken. Nachwuchs muss man mit der Lupe suchen. In der letzten «Schweizer Briefmarkenzeitung» ist das Editorial von Chefredaktor Hans Schwarz mit «Nachwuchssorgen» überschrieben. Ein Artikel in der offiziellen Verbandszeitschrift geht der Frage nach «Was geschieht einmal mit meiner Sammlung?». Und ein weiterer fragt: «Sterben die Briefmarkensammler aus?» Laut Jahresbericht der Post hat die Zahl der Abonnenten der neuen Marken zwischen 2005 und 2007 rapide von 57’000 auf 50’000 abgenommen.

Ein bisschen herrscht Katzenjammerstimmung in der Vereinswelt. Man zerbricht sich den Kopf, wie man junge Leute gewinnen könnte und registriert wie Hans Schwarz, «dass wir uns in Zukunft an kleinere Vereine gewöhnen müssen». Auch beim 50-Jahre-Jubiläum des Philatelisten-Clubs Swissair – einer der letzten Institutionen mit dem stolzen Firmennamen – war im Frühling dieses Jahres Wehmut zu spüren, dass die Zeiten vorbei sind, als der Klub Hunderte von Mitgliedern hatte und Zehntausende von Sonderkuverts für Erstflüge produzierte.

Wenn heute eine Marke erscheint, ist sie in einer Riesenauflage präsent, für Raritätensammler uninteressant. Aber Marianne Rapp wirft keine Marke weg, irgendwann wird sie vielleicht sammelwürdig sein. Und schön sind sie ja. Wer einem Brief ein besonderes Aussehen geben will, nimmt nach wie vor eine gut gewählte Marke. Mit dem Sujet Roger Federer habe man Korrespondenzpartnern in der halben Welt eine besondere Freude gemacht, hat Marianne Rapp festgestellt. Auch wenn es Federer punkto Katalogwert vorläufig nicht mit der Basler Taube aufnehmen kann.

(Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Der-Quadratzentimeter-kann-tausend-Franken-kosten/story/28414340)



Peter Rapp und Tochter Marianne erwarten von ihrer Briefmarken-Versteigerung einen Millionenumsatz (Bild: Beat Marti).
 
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