Thema: Belege Schweiz -> Altdeutsche Staaten
bayern klassisch Am: 16.08.2015 08:54:12 Gelesen: 89758# 101@  
Liebe Freunde,

besondere Briefe erfordern besondere Maßnahmen, könnte man sagen. Jedenfalls war mir beim Anblick dieses Geschosses klar (ohne die Rückseite gesehen zu haben), was damals falsch lief und so konnte ich ihn meiner Bayern - Österreich und Bayern - Schweiz - Sammlung einverleiben.



Geschrieben und zur Post gebracht wurde er im schönen Basel am 23.1.1855. Als ursprüngliche Adresse stand J. J. Voigt Steyr da, aber dem traute man nicht. Da er unfrei auf seine Reise gehen sollte, dachte man in Basel wohl an des bedeutendere Speyer in der bayerischen Pfalz und notierte unter "Steyr" "vermutlich Speyer". Oft ist mitgedacht gut, aber halt nicht immer ...

Der Brief wurde folglich mit 3 Kr. Rötel (ganz links sehr groß von Basel notiert) für die Schweizer Strecke taxiert und Baden übergeben, wie alle andere Korrespondenz in die Pfalz auch.



Ausweislich der Siegelseite erkennen wir den badischen Bahnpoststempel E. B. 24.1.1855 Kurs II. Da der Brief mit 3 Kr. belastet Baden angedient worden war, die Baden von Bayern wieder haben wollte, musste man ihn mit 9 Kr. für Baden (Haltingen wurde Vereinsaufgabepost) taxieren und tat dies unten in schwarzer Tinte der Bahnpost. Dieser Kurs lief vom 5.11.1854 bis zum 30.4.1855 von Haltingen (nah bei Basel) nach Heidelberg, wobei er um 6.57 Uhr in Haltingen abfuhr und um 13.41 Uhr in Heidelberg war, aber so weit war unser Brief nicht gelaufen, denn er wurde in Mannheim zuvor ausgeladen und von 2 Packern aus Ludwigshafen über die Rheinbrücke nach Ludwigshafen gebracht, wo er weiter nach Speyer gefahren wurde (schon mit der Bahn!).

In Speyer kam er am 25.1.1855 an und wurde mit groß 12 Kr. links taxiert, indem man die 9 Kr. von und für Baden strich und korrekt die Summe bildete aus 3 Kr. für die Schweiz und 9 Kr. für Baden. Alsbald wurde er dem Briefträger zur Bestellung übergeben. Da es aber keinen J. J. Voigt in Speyer gab, musste dieser den unanbringlichen Brief mit einem klärenden Vermerk versehen, damit man später sehen konnte, warum er nicht zugestellt werden konnte. Dies tat er mit den Worten "Unbekannt in Speyer - gez. Unterschrift, Bft (Briefträger).

Bis dahin war die Sache noch vergleichsweise einfach gewesen und alles im Stand mittlerer Routine zu sehen. Aber jetzt wurde ein Retourbrief daraus und Retourbriefe waren damals nicht einfach zu verrechnen, wie wir gleich sehen werden.

Speyer als gedachte Abgabepost war von Baden mit 12 Kr. belastet worden, die mangels geeignetem Empfänger nicht kassiert werden konnten. Bei der Rücksendung nach Baden musste sich Speyer (Bayern) somit von diesen 12 Kr. entlasten. Der Brief war bei der Rückleitung nach Mannheim summarisch mit 12 Kr. "Retourporto" in der entsprechenden Spalte der mitlaufenden Briefkarte zu notieren.

Mit der Akzeptanz dieser Rechnungsstellung (und Baden hatte sie akzeptiert, weil sie richtig war), lag nun der Schwarze Peter bei Baden, die ihre eigenen Forderung von 9 Kr. unbefriedigt sahen und ja noch mit 3 Kr. von der Schweiz belastet worden waren.

Am 28.1.1855 lief er folglich mit der Badischen Eisenbahn (E.B.) Curs III mit Punkt (also südlich gerichtet) ursprünglich von Heidelberg (Abfahrt 15.20 Uhr, Ankunft in Offenburg um 20.14 Uhr, so möglich in der Zeit vom 5.11.1854 bis 30.4.1855) zurück nach Basel, wo er am 30.1.1855 ankam.

Auch wenn der Brief nicht in Speyer zugestellt werden konnte, so hatten doch die Postverwaltungen (PVw) von der Schweiz und Baden (Bayern hatte bei dergleichen Briefen kein Porto anzusprechen) ihren Job gemacht und von daher Anspruch auf die tarifliche Vergütung. Baden hatte seine Forderung von 9 Kr. der Schweiz in der Retourbriefspalte notiert und sich gleichzeitig von den belastenden 3 Kr. Basels befreit, wohingegen die Schweiz (Basel) nun die 9 Kr. für Baden und die eigenen 3 Kr. vom Empfänger zu kassieren hatte, denn bei nicht bestellbaren Portobriefen war stets der Absender für die Zahlung des Portos haftbar zu halten.

Dieser wird den Baslern aber etwas erzählt haben, denn sie hätten ja den Brief gar nicht in die Pfalz, sondern nach Steyr in Oberösterreich schicken sollten. Daher ergänzte man oben "Steyr Oboesterreich". Nachdem man das geklärt hatte, schrieb man oben rechts in Rötel frech "pro 6" (Kreuzer) auf den Brief, wollte also nach den ersten 3 Kr. mit Fehlleitung noch 3 weitere Kreuzer für die richtige Versendung vom Empfänger in Steyr haben. Aber das war natürlich falsch, denn man hatte insgesamt nur 3 Kr. anzusprechen, weshalb die falsche Notation "pro 6" gestrichen und durch die richtigen "3" in Rötel unten links ersetzt wurde.

Nun war zu beachten, dass die Schweiz ihre Briefe nach Österreich auf mehrfache Weise spedieren konnte:

1. Nach Bregenz direkt

Hierbei wäre das Problem entstanden, dass auch Österreich die 9 Kr. nach dem PV vom 1.11.1852 für sich in Anspruch genommen hätte, auf die ja schon Baden bestanden hatte.

2. Über Bayern nach Österreich via Lindau.

Hier hätte, nach Baden, auch Bayern auf einen Transit von 9 Kr. plädiert, also war auch diese Leitung nicht opportun.

3. Über Württemberg im geschlossenen Transit durch Bayern nach Österreich via Friedrichshafen.

Auch diese Leitung hätte das Problem verursacht, dass neben Baden nun Württemberg das Postvereinsporto von 9 Kr. angesprochen hätte und aus diesen Bayern für die Gewährung seines stillen Transits Neu-Ulm bis Passau 2 Kr. hätte abtreten müssen.

Es blieb also nur die Lösung Numero 4 - erneute Abgabe an die badische Bahnpost mit der Leitung des Briefpaketes im geschlossenen Transit via Württemberg und Bayern (Ulm - Passau) nach Österreich, wobei Baden hierfür ca. 1 Kr. an Württemberg und ca. 2 Kr. an Bayern zahlen musste.

Da Baden ja noch auf seinen 9 Kr. bestand, die es aus der falschen Hinsendung zu bekommen hatte, war auch keine Neuverrechnung nötig, denn diese 9 Kr. wurde nur in der Briefkarte von Basel zur badischen Bahnpost erneut vorgetragen und damit das Retourporto gelöscht.

Erneut hatte also die Schweiz 3 Kr. von Baden zu bekommen und Baden jetzt aber 9 Kr. CM von Österreich. Den geschlossenen Transit können wir anhand der fehlenden Stempel Württembergs und Bayerns gut nachvollziehen, denn der erste Stempel zeigt uns den von Linz vom 5.2.1855 und dann den von Steyr vom 6.2.1855. Steyr sah nun (hoffentlich!) die Rötel 12 oben links unter dem Absenderstempel und kassierte folglich 12 Kr. Conventionsmünze (CM) vom Empfänger, der nach einer rechten Odyssee endlich seinen Brief vom 24.1.1855 in Händen halten durfte.

Steyr kassierte also 12 Kr. CM, die paritätisch 14,4 Kr. rheinisch entsprachen und vergütete sie komplett an Baden zurück, welches ja von der Schweiz zuvor mit 12 Kr. rh. belastet worden war. Baden behielt davon alles, bis auf 3 Kr. rh., die man der Schweiz vergütete und befriedigte aus den restlichen 11,4 Kr. rh. mit 1 Kr. Württemberg und mit 2 Kr. Bayern für deren Transitgewährung, so dass man netto 8,4 Kr. rh. behalten durfte, dafür aber 2 "Überfahrten" zu machen hatte.

Lukrativ war sicher anders, aber am Ende waren alle (bis auf die Korrespondenten) froh, den Brief endlich physisch und rechnerisch sauber aus den Büchern bekommen zu haben.

Wem das jetzt alles zu kompliziert erscheint, der darf sich mal ausmalen, was passiert wäre, wenn der Absender zwischenzeitlich nach Italien oder Frankreich abgereist wäre und man ihm seinen Retourbrief nach dorthin hätte nachsenden müssen. Alternativ hätte er auch den Firmenstempel vergessen haben können und die Post in Basel hätte erst einmal den Absender zu ermitteln gehabt.

Man sieht also, dass nach kompliziert noch komplizierter kommt und wenn so einer mal auftaucht, werde ich nicht zögern, ihn euch hier vorzustellen.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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