Thema: Altdeutschland Bayern: Briefe erklären
bayern klassisch Am: 22.08.2015 15:20:01 Gelesen: 335613# 5@  
@ dikoe [#118]

Lieber Dieter,

nichts zu danken - man sieht sich oder spricht sich. :-)

Liebe Freunde,

manchmal prägt man sich ein Datum ein und sucht den passenden Brief dazu. Bei mir hat das 30 Jahre gedauert, aber ich bin fündig geworden und möchte mich bei einem netten Mitglied hier für seine Zurückhaltung bedanken, sonst wäre er noch teurer geworden, als er es wurde.

Das magische Datum im Krieg 1870/71 ist der 19.7.1870. Nicht der 18.7., nicht der 20.7. - nein, es musste schon der 19.7.1870 sein und kein anderer Tag. Aber warum? Was unterschied einen Brief vom 17.7. oder 18.7. von einem des 19.7.1870? Nun ja, eine ganze Menge!

Mit Verfügung vom 19.7.1870 wurden alle bayerischen Poststellen angewiesen, ihre Post nach und über Frankreich nicht mehr direkt dorthin zu kartieren. Demzufolge gab es mit dem 19.7. nicht mehr, was es von 1822, dem 1. bayerisch - französischen Postvertrag, bis zum 18.7.1870 gegeben hatte, nämlich den direkten Austausch der Briefpakete über Strasbourg, Forbach, Wissembourg oder Saargemünd - das alles war am 19.7. ein für alle Mal vorbei und sollte nie wieder kommen.



Vor dem Auftauchen dieses Briefes galt in Insiderkreisen als fraglich, ob man es seitens der bayerischen Postverwaltung überhaupt schaffen würde, rechtzeitig alle Poststellen (und das waren ca. 1.000, davon zu informieren, dass sich nun alles geändert hatte.

Der Brief aus dem beschaulichen Baiersdorf zeigt uns aber, dass es genau so gewesen sein musste, denn er weist von der Hand des Absenders, und dergleichen hätte ich nie für möglich gehalten, den Vermerk auf "durch die Schweiz". Es musste also bereits vor dem Verfassen dieses Briefes dem Absender klar gewesen sein, dass Briefe nach Frankreich ab sofort über die neutrale Schweiz zu leiten waren und daher entschloß er sich, diesen Vermerk anzubringen, damit ihm die Post keinen Strich durch die Rechnung machte und ihn an den mittlerweile für die Post geschlossenen Grenzen abprallen ließ.

Ich kann mir dies nur dadurch erklären, dass es in Zeitungen/Postzeitungen einen Trend zu dieser Vorgehensweise gab, als diese Maßnahme noch keiner wissen konnte.

Die zeitliche Enge der postalischen Behandlung weist für mich eindeutig darauf hin, dass die Poststellen in Bayern bereits vorab per Expresstelegrammen von dieser Vorgehensweise in Kenntnis gesetzt worden sein mussten, anders wäre dies nicht zu bewältigen gewesen.

Ausweislich der Siegelseite mit schlappen 11 Stempel Abschlägen wurde er über Erlangen 19.7. nach München 20.7. kartiert, was richtig war, weil ab dem 19.7. nur noch die Hauptbriefpostexpedition München mit ihrem Pendant in Paris Briefpakete austauschte und folglich alle Postsendungen Bayerns nach München, wie auch alle Postsendungen Frankreichs zentral nach Paris kartiert werden mussten.

Da diese Briefpakete die Schweiz geschlossen transitierten, finden wir natürlich keine Schweizer Stempel auf derlei Briefen (wenn gleich einer mir bekannt ist aus 1871, der tatsächlich einen schweizer Transitstempel aufweist!).

Vorderseitig sehen wir den Ankunftsstempel von Paris "Baviere Forbach 3", den es auf der Strecke von Forbach nach Paris nie gab (1 war die Tour, 2 die Retour und nur die Stempel - Nummer 3 lag in Paris).

Aber, oh Schreck, der deutsche Empfänger in Mirmande bei Loriol war bereits abgereist, denn er wollte sicher dem Alptraum entfliehen, als "Deutscher" in einen Krieg hinein zu schlittern, dessen Ausgang äußerst ungewiß war.

Folglich war der Brief zu retournieren und somit erneut nach Paris zu leiten. Siegelseitig sehen wir auch den Stempel von Paris mit der Bahnpostleitung nach Lyon, von wo aus der Brief über die Schweiz nach München lief. Entgegen der Vorschrift stempelte München nicht beim Eingang des Briefpakets auf Paris, sondern routete ihn gleich weiter nach Baiersdorf, wo er am 1.8.1870 ankam.

Jetzt fehlt mir nur noch das Pendant aus Frankreich nach Bayern vom 19.7.1870 ... aber weitere 30 Jahre werde ich wohl keine Zeit haben, um diesen Erfolg feiern zu können.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/8122
https://www.philaseiten.de/beitrag/111533