Thema: Uraltbelege aus aller Welt
KaraBenNemsi Am: 29.10.2015 22:15:37 Gelesen: 82044# 95@  
@ Concordia CA [#51]

Lieber Jürgen,

bevor dieses etwas unspezifische Thema "Uraltbelege" wieder in der Versenkung verschwindet, möchte ich mich doch an einigen Korrekturen und Hinweisen zu Deinem Beleg aus Beitrag [#51] versuchen, der mir auch erst jetzt auf den Bildschirm gekommen ist. Es kursiert in den obenstehenden Beiträgen doch der eine oder andere Irrtum.

1. Wertstempel

Auf dem Wertstempel des Ganzsachenumschlags steht vollkommen eindeutig: 10 КОП: ЗА ЛОТЪ / 1 КОП: ЗА КОНВ.

Das bedeutet 10 Kopeken für das Lot / 1 Kopeke für den Umschlag. Nichts anderes.
Das Lot ist eine alte Gewichtseinheit, die laut dem russischen Wikipedia genau 12,79725 Gramm beträgt. [1]

2. Federzugentwertung

Damit kenne ich mich nicht aus.

3. Anschrift

Das ist Polnisch. Der Empfänger heißt laut zweiter Zeile Ksaweriusch Dowgialla (oder so ähnlich). In der ersten und dritten Zeile stehen Titel/Ehrbekundungen und dergleichen, die mir nicht geläufig sind (wenn man von "Pan", also "Herr" am Ende der ersten Zeile absieht). Diese Bezeichnungen sollte jemand erläutern der Polnisch kann.

Die Ortsanschrift in der vierten und fünften Zeile lautet:

über Wilna, Oshmijana
w Romaniszkach.

w Romaniszkach heißt "in Romaniszkach" wobei das eine im Plural deklinierte russische Form des Ortsnamens ist, der folglich Romaniszki heißt. Ein Romaniszki findet man auf der Karte im heutigen Belarus unweit der litauisch-weißrussischen Grenze. Der kleine Ort heißt heute auf Weißrussisch "Ramanischki", also Раманішкі. Um den Ort zu finden, am Besten Раманішкі kopieren und bei Google Maps in die Suche eingeben.

Das wäre zumindest insoweit stimmig, als dass dieser Bereich früher zum Gouvernement Wilna gehörte. Ob allerdings der angegebene Leitweg Wilna, Oshmijana (heute Ashmyany in Belarus) nach Romaniszki sinnvoll ist, möge jemand beurteilen, der sich postgeschichtlich mit dieser Zeit und den Postrouten auskennt. Ich stelle nur dar, was auf dem Umschlag zu sehen ist.

4. der Stempel

Eindeutig ist natürlich das Datum, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass dort deutlich 29 MAPT. 1851 steht. Das A wurde bisher unterschlagen. Am Ergebnis ändert das aber nichts. Es ist der 29. März 1851.

Der Ort ist nun nicht gar so hübsch abgeschlagen, aber mit Fantasie doch erkennbar. Falls ich mich nicht irre: Ich lese da "ДОКШИНСКЪ", also DOKSCHINSK. Der letzte Buchstabe ist übrigens kein Weichheitszeichen, sondern ein Härtezeichen und entspricht bestens der damaligen Schreibweise und dem vorhergehenden Buchstaben K.

Welcher Ort das nun ist, kann man erforschen. Der heutige Ort Докшыцы (Dokschyzy) [2] in Belarus hieß früher Dokschinsk glaube ich mich zu erinnern. Ich kann das aber nicht belegen. Das würde zumindest passen, da Dokschinsk/Dokshizy wohl knapp außerhalb des Wilnaer Gouvernements lag, so dass ein Leitweg über die Gouvernementshauptstadt des benachbarten Gouvernements durchaus verständlich wäre, auch wenn das einen riesigen Umweg bedeutet. Denkbar wäre auch der umgekehrte Weg: über Wilna und Oschmjany nach Dokschinsk und von dort nach Romaniszki. Aber wie gesagt, alte Postrouten sind nicht mein Thema.

Eines ist aber klar - und darauf hatte vor Jahren (ganz weit oben in diesem Thema) schon jemand hingewiesen: Der Stempel ist bisher - im einschlägigen Dobin-Katalog - nicht bekannt.

Das bedeutet: Wäre der Umschlag ordentlich erhalten und der Stempel besser abgeschlagen, dann wäre das ein gar nicht mal billiger Beleg. Im jetzigen Zustand müsste man schon Liebhaber sein - die es natürlich auch gibt. Sollte ich mit Dokschinsk den Stempel richtig deuten, wäre das eine schöne Sache, so ein Erstnachweis eines Stempels.

Soviel dazu aus der Sicht eines Weißrussland-/Belarussammlers.

Viele Grüße

Carsten

[1] https://ru.wikipedia.org/wiki/Лот_(единица_измерения)
[2] https://ru.wikipedia.org/wiki/Докшицы
 
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