Thema: Altdeutschland Bayern Eingehende Briefe
bayern klassisch Am: 25.08.2016 21:23:23 Gelesen: 250023# 102@  
@ Gernesammler [#101]

Lieber Rainer,

da hast du aber in eine tolle Kiste gegriffen! Steht die noch irgendwo herum? Wenn ja, lass es mich wissen.

Jetzt zeigst du Spezialitäten, die die meisten Sammler nicht (richtig) interpretieren können. Ab 1.1.1861 gab es den Neuen Postvereinsvertrag, der den revidierten (und davor den allgemeinen) ablöste. Erstmals wurden mit ihm eingeschriebene Briefe zu versenden zugelassen, für die der Absender weder das Franko, noch die Reco - Gebühr zahlen wollte.

Zuvor hatte im Postverein ein Absender, der auf der Recommandation bestand, immer zugleich frankieren müssen. Nun konnte er beide Gebühernteile zu zahlen dem Empfänger überlassen.

Der Hintergrund war folgender: Es gab Firmen (Private weniger), die wichtige Briefe erhielten, die nur für sie eingeschrieben werden sollten. Für die Absender war es egal, aber der Empfänger wollte sicher gehen, dass der Absender einen Postschein in Händen hielt und für den Fall des Verlusts auch mit 24 1/2 Gulden abgefunden werden.

Deine Briefe aus der Zeit des Norddeutschen Bundes bzw. später der des Deutschen Reichs sind sehr attraktiv - Glückwunsch hierzu.

Bei den ersten beiden hatte Berlin 4 Silbergroschen notiert und Bayern nur eine "1" vor diese 4 geschrieben, weil sie genau 14 Kreuzern entsprachen. Erst mit dem 1.1.1868, dem Beginn des Norddeutschen Bundes, wurde der Silbergroschen auch im Inland paritätisch mit 3 1/2 Kreuzern gerechnet, zuvor nur mit 3 Kreuzern.

Dein 3. Brief ist einer von wenigen "schweren" Briefen, denn es gab ja ab dem 1.1.1868 nur noch 2 Gewichtsstufen: Bis 1 Loth und über 1 - 15 Loth. Er wog über 1 Loth und kostete daher 3 Silbergroschen Porto und 2 Silbergroschen Recogebühr = 5 Sgr., die links notiert wurden von der Aufgabepost. Bayern übermalte diese mit 18 Kreuzern, denn 5 mal 3 1/2 ergaben 17 1/2 und es war immer aufzurunden = 18 Kreuzer vom Empfänger zu zahlen.

Von Laien werden diese Porto - Chargé - Briefe, wie wir in Bayern sagen, immer gering geschätzt, wenn die Leute überhaupt wissen, dass es so etwas gab. Diesen Fehler sollte man nicht begehen, denn ihre Existenz ist allein der Tatsache geschuldet, dass damals ein besonderes Innenverhältnis zwischen Absender und Empfänger herrschte und dass sie spät bei der Durchsicht der Archive entdeckt wurden - hätte man sie vor den Weltkriegen I und II entdeckt, wären sie entsorgt worden, weil sie ohne Marke waren und die Stempel auf markenlosen Briefen nicht berühmtes darstellten.

Erst in jüngerer Zeit begann das Interesse an der Postgeschichte zu erwachen und dergleichen Stücke finden Liebhaber in den Reihen derer, die nicht nach Katalogwerten schielen, sondern nach der Postgeschichte und interessanten, nicht häufigen, aber dennoch günstigen Belegen längst vergangener Zeiten; wer das macht, macht alles richtig.

Liebe Grüsse,
Ralph
 
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