Thema: Consilium Philatelicum: Presse, Philatelie und Literatur im Wandel
drmoeller_neuss Am: 30.08.2016 13:11:35 Gelesen: 6296# 1@  
Das Consilium Philatelicum hatte vom 26. bis zum 28. August zu einem Symposium für Autoren und Redakteure in Bonn eingeladen. Die AIJP (Association Internationale des Journalistes Philatéliques) war als Weltverband der Philatelie-Journalisten mit dabei, der BDPh durch den scheidenden Geschäftsführer Günther Korn vertreten, der zusammen mit seiner Ehefrau Karin Korn neben der übrigen Organisation auch für das leibliche Wohl der Gäste sorgte. Alle Referenten verzichteten auf Honorare und Spesen. So war die Veranstaltung sowohl für die Gäste als auch den BDPh kostenlos, aber nicht umsonst. Das große Sparschwein war aber unübersehbar und ist derzeit wohl die einzige Einnahmequelle des Consilium Philatelicum. Die AIJP hat fleißig Mitglieder geworben, ganz uneigennützig war ihr Auftritt in Bonn auch nicht. Die Veranstaltung ging trotz aller zur Zeit schwelenden Kriegsschauplätze in der Philatelie locker über die Bühne. Der ein oder andere Seitenhieb auf den BDPh oder den APHV durfte trotzdem nicht fehlen. Maassen selbst beklagte: „Es gibt ja Verbandspräsidenten, die erwarten, dass man zum Mindestlohn arbeitet.“ Namen nannte er nicht.

Im Haus der Philatelie und Postgeschichte fand sich die Prominenz der deutschsprachigen Fachzeitschriften ein. Neben dem allseits bekannten (Noch-)Herausgeber der "Philatelie", Wolfgang Maassen war auch sein Amtskollege aus der Schweiz, der Chefredakteur der Schweizer Briefmarkenzeitung, Hans Schwarz angereist. Die "privaten" Blätter waren mit Torsten Berndt (DBZ und BMS), Oskar Klan (Michel-Rundschau) und Jan Billion (DBR) fast vollständig vertreten. Dazu gesellten sich weitere Redakteure und Herausgeber von Rundbriefen. Das Spektrum der Vorträge reichte von den Tücken der deutschen Sprache über praktische Tipps zur Pressearbeit bis hin zu rechtlichen Aspekten. Es war herrlichstes Biergartenwetter mit Temperaturen über 30 Grad, viele Fachgespräche und Fachsimpeleien wurden beim Italiener um die Ecke bis zum späten Abend fortgesetzt.

Am Freitag hat Dr. Hahn als Kurator der Museumsstiftung einen Einblick in die Schätze des Archives gegeben. Die Stiftung Philatelie hat noch heute den Anspruch, jede deutsche Marke in allen Erhaltungen sowie auf Brief zu dokumentieren. Bei den ausländischen Marken hat man fast schon kapituliert. Es kommen zu viele Neuheiten herein, und manche Postverwaltungen schicken ihre Marken gar nicht oder nur alle paar Jahre ungeordnet in einer losen Schüttung. Zu Zeiten der Deutschen Bundespost war die Stiftung mit einem Ankaufsetat von einer Million DM ein wichtiger Faktor im Auktionsmarkt. Moderne Raritäten wie der "Gscheidle-Brief" wurden genauso gekauft wie klassische Poststücke. Hier stellte Dr, Hahn den "Sattler-Brief" aus Bad Kissingen vor. Einmalig ist die Frankatur von 1 Kreuzer und 3 Kreuzer auf einem Briefumschlag. Die Ein-Kreuzer-Marke deckte das bayerische Ortsporto ab. Da der Empfänger bereits abgereist war, musste noch eine 3-Kreuzer-Marke dazu frankiert werden. Zu holen ist bei der Stiftung nichts: der Tresorraum mit drei Rollregalen entspricht dem Standard von Landeszentralbanken und ist von 1,20 Meter dicken Stahlbetonwänden umgeben.

Dr. Hahn hatte einige Pretiosen aus dem Dunkel mitgebracht: Neben Essays war auch Kiloware deutscher Kolonien zu bestaunen, wer Vergleichsstempel sucht, kann hier fündig werden. Der Höhepunkt war die Öffnung einer Truhe, die vor 60 Jahren versiegelt wurde und in der DDR in einem Archivkeller in Vergessenheit geriet. Beim Öffnen kamen Bogenteile und komplette Bögen der Handstempelprovisorien aus der sowjetischen Besatzungszone zum Vorschein. Zahlreiche Berliner Postämter gaben sich ihr Stelldichein, und den anwesenden Sammlern wurde klar, dass früher oder später einige Katalogkapitel neu geschrieben werden müssen.

Nach diesem philatelistischen Höhepunkt begann der Arbeitsteil mit dem AIJP-Kongress. Drmoeller_neuss war zum diesem Zeitpunkt noch nicht AIJP-Mitglied, und durfte als Gast teilnehmen. Die Vereinsformalia waren schnell vollzogen, Krach scheint es in der AIJP nicht zu geben, und die Finanzen stimmen auch.

Am Samstag brachte Dr. Andreas Birken von der ArGe Osmanisches Reich/Türkei eine Sammlung der besten Stilblüten und sprachlichen Fallen. Wolfgang Massen hatte "selten einen Vortrag gehört, bei so viel gelacht wurde". Wer mitlachen möchte und nicht dabei war, kann für zehn Euro die Broschüre in der AIJP-Schriftenreihe erwerben. Weiter ging es mit dem zukünftigen Geschäftsführer des BDPhs, Herrn Reinhard Küchler. Als zwölfjähriger Junge hatte er großen Spaß an seiner Briefmarkentapete, sein Onkel aber weniger, der beim Tapezieren am komplizierten Muster fast verzweifelte. Dann sammelte Küchler viel Erfahrung in verschiedenen Nachrichtenredaktionen. Sein Tipp für eine wirkungsvolle Presseerklärung: "Machen Sie es der Redaktion einfach". Die Tageszeitung möchte keinen dreiseitigen langatmigen Bericht von der Jahreshauptversammlung, sondern sechs knackige Zeilen, die ohne weitere Bearbeitung direkt in den Lokalteil kopiert werden können.

Freunde der modernen Philatelie und Spezialisten für Postautomation kennen Jürgen Olschimke von zahlreichen Publikationen und Fachartikeln in der „Philatelie“. Olschimke stellte seine Webseite vor, und gab den Tipp, sich für größere Updates und zur Lösung von Sicherheitsproblemen professionelle Hilfe einzukaufen. Seine Webseite ist nicht nur für Philatelisten ein Anlaufpunkt, um die ganzen postalischen Abläufe zu verstehen, sondern war schon für manchen Postkunde der letzte Strohhalm. Was für die Deutsche Post ein im IPZ hängengebliebener Einschreibebrief ist, kann für den Empfänger ein geplatzter Urlaub oder Studienanfang bedeuten, weil das Visum bei der Post vertrödelt wurde. Olschimke sprach von „interessanten Kontakten“ und dem ein oder anderen Postkunden konnte weitergeholfen werden.

Für den nächsten Referenten, Dr. Jan Claus sind Rundbriefe ein emotionaler Marketingfaktor. Zwei Drittel der Vereinsarbeit sind Psychologie und Logistik, denn die Mitglieder erwarten ein Produkt, daß den Jahresbeitrag wert ist. Nicht nur das fachliche muss stimmen, auch ein wenig "Charmeoffesive und Liebkosung" gehört zum Geschäft.

Nach dem Imbiss war Zeit für ein Mittagsschläfchen und der Vortrag von Torsten Berndt bot die ideale Kulisse dazu. Vom Blatt abgelesen, erinnerten mich seine Ausführungen zum Thema "Preussische Gelassenheit" an eine langweilige Predigt in irgendeiner Dorfkirche. Bei mir blieb hängen, dass Berndt mit sechseinhalb Jahren die erste Marke gewaschen hatte und dass die Allianz-Versicherung mit 100 Millionen Umsatz für die Deutsche Post wichtiger ist als der gesamte Geschäftsbereich Philatelie.

Das Kontrastprogramm zum vorherigen Beitrag brachte Jan Billion in seiner Funktion als Organisator der großen Briefmarkenmessen in Essen und Sindelfingen. Billion hatte die Abwärtsspirale von weniger Besuchern und weniger Händlern auf der Messe Essen stoppen können. Die Standpreise wurden gesenkt und ein "Sonderbereich für die organisierte Philatelie" geschaffen. "Back to the roots" hieß das Motto, und die Ausflüge in die Welt der Telefonkarten und Münzen wurden gestoppt. Der "hohe Anteil an nicht-kommerzieller Fläche" ist aber gleichzeitig eine Herausforderung, da der Handel alleine für die Kosten aufkommen muss. Für die etwa 40 Argen in Essen fiel nur ein symbolischer Beitrag von 50 EUR an, der gerade einmal die Kosten für den Tisch und die Stühle deckt. Eine Befragung in Sindelfingen ergab einen Anteil von 12% aller Besucher, die noch nie vorher eine Briefmarkenmesse besucht haben. Das Durchschnittsalter der Besucher war 50 Jahre. Ein wenig klang bei Jan Billion der Frust durch, "das Verhalten des APHV ist die größte Enttäuschung", da der APHV verstärkt auf Münzmessen setzt, und das in Dortmund in unmittelbar räumlicher Konkurrenz zu Essen. Wenn die Ladengeschäfte sterben, sind Messen die einzige Möglichkeit für den Handel, ein "haptisches" Einkaufserlebnis zu bieten.

Dann kamen die Beiträge des (Noch-)Chefredakteurs der "Philatelie", Wolfgang Maassen. Es begann mit einer Wunschliste an Autoren. "Pünktlichkeit und ein vernünftiges Zeitmanagement sind eine Grundtugend", das heißt ganz einfach, Artikel müssen pünktlich und rechtzeitig vor Redaktionsschluss abgeliefert werden. Dann kam eine lange Diskussion über Urheber- und Persönlichkeitsrechte. Maassen ist kein Jurist und brachte anstelle einer systematischen Darstellung eine Sammlung von Beispielen aus seiner Redaktionsarbeit. Auffallend häufig war ein Auktionshaus in Stuttgart vertreten. Maassen betonte auch, dass einfache Scans keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Trotzdem gebietet es die Fairness, bei der Übernahme von Abbildungen aus Auktionskatalogen die Quelle zu nennen. Am nächsten Tag ging Maassen auf die rechtlichen Hürden und Untiefen von Verlagsverträgen ein. Was ein „uneingeschränktes Recht an der Veröffentlichung“ bedeuten kann, hat Maassen selbst erfahren müssen: als Autor eines Bandes über Briefmarken aus der Serie „Was-ist-Was“ hat er von dem späteren weltweiten Erfolg des Buches und vielen Übersetzungen nicht profitieren können, da er seine Rechte ohne wenn-und-aber an den Verlag abgetreten hatte.

Hans Schwarz referierte über die Bemühungen, die „Schweizer Briefmarkenzeitung“ zu digitalisieren. Wichtig ist es nichts zu überstürzen, und sich Zeit zum Denken zu nehmen. Glücklicherweise hatte die Crawford Library einen Großteil der geplanten Arbeit schon abgenommen.

Oskar Klan vom Schwaneberger Verlag brachte eine langatmige Abhandlung über die Systematik der Michel-Katalogisierung. Für die meisten Hörer brachte der Vortrag keine neuen Erkenntnisse. Jährlich gilt es etwa 20.000 neue Briefmarken zu katalogisieren. Die zehn ausgabefreudigsten Länder tragen knapp die Hälfte der Neuheitenflut bei. Allein Guinea hat 2500 Blocks ausgegeben. Das Publikum interessierte sich mehr für rechtliche Fragen zur Verwendung der Michel-Katalognummern. Einzelne Nummern dürfen im Rahmen des „Kleinzitates“ verwendet werden. Nach dem BGH-Urteil „Philotax gegen Michel“, das der Philotax-Verlag gewonnen hatte, dürfen die Michel-Nummern auch als Referenz zu einem eigenen Nummernsystem ohne Genehmigung verwendet werden. Strittig ist, wie es mit der alleinigen Verwendung der Michel-Nummern aussieht. Darüber hatte der BGH nicht entschieden, aber nicht nur Maassen vertritt die Auffassung, dass das Nummernsystem keine schöpferisch schützenswerte Leistung darstellt. Unstrittig ist das Katalogwerk als Ganzes ein geschütztes Werk. Bei mir entstand der Eindruck, dass der Schwaneberger Verlag hier herumeiert, und eine Drohkulisse aufbaut. Wie Klan betonte, werden 60 bis 70% Lizenzen gegen Übersendung eines Belegexemplars ohne weitere Kosten erteilt.

Maassen brachte zum Abschluss des Symposiums einige Gedanken zur zentralen Datenspeicherung. „Wir zerstören uns in der Philatelie häufig selbst, weil wir uns nicht genügend präsent zeigen“. Als Gegenbeispiel stellte Maassen sein eigenes Periodikum „Phila Historica“ vor: es hat 600 Abonnenten und wird über 3000 mal pro Ausgabe herunter geladen.

Das Symposium endete mit einer Generalabrechnung über die Auswüchse auf Literaturausstellungen. Die Exponatsgebühren haben jedes Maß verloren (bis zu 100 US-Dollar), dazu kommen noch Kommissargebühren pro Werk. Als Gipfel der Dreistigkeit werden noch wie selbstverständlich die Exponate vom Veranstalter einbehalten. Wenn noch nicht einmal ein Lesesaal vorhanden ist, verlieren irgendwann einmal die Aussteller jegliche Lust. „Digitale Literatur“ wird noch immer stiefmütterlich behandelt. All das muss sich nach Maassens Auffassung bald ändern. Maassen endete mit dem Hinweis, dass für eine zukünftige IPHLA in Deutschland noch ein Betrag von 27.000 EUR zweckgebunden zurückgestellt ist. Sollten andere darauf zurückgreifen wollen, drohte Maassen damit, dass die Sponsoren ihre Gelder zurückverlangen werden, sein eigener PhilCreativ-Verlag eingeschlossen.

Für drmoeller_neuss wird es nicht das letzte Consilium Philatelicum bleiben. Die Kontakte in den Kaffeepausen und im Biergarten bleiben unbezahlbar, auch wenn für zukünftige Veranstaltungen ein kleiner Obulus genommen werden muss.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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