Thema: Altdeutschland Bayern: Schöne Belege
bayern klassisch Am: 21.02.2009 22:35:27 Gelesen: 1114008# 19@  
Lieber ConcordiaCA,

es spricht klar für dich, dass du die Deutung so weit vorangetrieben hast. Prima!

So einfach ist die Kiste denn nämlich nicht und du hast schon vieles erkannt, wenngleich noch nicht alles. Aber das würden 98% aller Bayernsammler auch nicht.

Es war ein Porto - Chargébrief aus 1861, den es so erst seit den neuen Postvereinsvertrag ab dem 1.1.1861 geben konnte.

Der Absender hatte keine Zeit und kein Geld, daher schrieb er in Eile und verklebte auch kein Franko von 9 Kr. für den einfachen Brief über 20 Meilen in den Postverein.

Er war ihm aber dennoch wichtig, denn er wollte ihn eingeschrieben haben. Nur sollte der Empfänger alle Gebühren zahlen.

Daher gab er ihn am Bahnhof Münchens auf und bekam den Postschein mit der Nummer 24, die sich auch oben rechts auf dem Brief befindet. Der Annahmebeamte musste nun in der Währung der Abgabepost in Wien taxieren, denn Bayern stand ja das Porto voll zu.

Also rechnete er: Unfrankierter Brief von Bayern = 12 Kreuzer rheinisch = 20 Neukreuzer, die wir vorne in blau (diese Farbe war Vorschrift) sehen.

Da die Chargégebühr von 6 Kreuzer rheinisch aber in Bayern dem Annahmebeamten gehörte, hatte er ein Problem mit der Umrechnung (Reduktion) in die österreichischen Neukreuzer: 6 Kr. rheinisch waren = 10 Neukreuzer. Aber 10 Neukreuzer waren gleich 7 Kr. rheinisch! Diese Unlogik kannte unser treuer Staatsdiener. Er wollte auf keinen Fall die Postverwaltung um einen Kreuzer betrügen, denn ihm standen ja laut Dienstvertrag nur 6 Kr. zu und eben keine 7 Kr., die ihm nach der Zustellung aus Österreich überwiesen worden wären!

Daher schrieb er die Chargégebühr mit 6 Kr. rheinisch an und überließ seinen österreichischen Kollegen die Reduktion. Korrekt war das nicht.

Der Empfänger hat sicherlich 30 Neukreuzer bezahlt und die österreichische Post hat auch nach dem vorgegebenen Reduktionsverhältnis Bayern ausbezahlt (bzw. am Quartalsende verrechnet). Dem bayer. Postler wurden auch nur 6 Kr. gutgeschrieben, von daher war alles bestens.

Im Falle eines Verlusts des Briefes hätte Österreich an Bayern 24,5 Gulden rheinisch zahlen müssen, die die bayerische Post dem Inhaber des Postscheines erstattet hätte (auf Antrag).

Ich finde es toll, dass du auf den wichtigen fehlenden "Frei" oder "franko" - Vermerk geachtet hast. So weit sind nur wenige.

Ich hoffe, ich konnte dir zeigen, dass auch in markenlosen Briefen viele Informationen stecken können.

Liebe Grüsse von bayern klassisch, der sich erlaubt, noch ein kleines Schmankerl anzuhängen, das man auch erst einmal beschreiben können sollte. :-)


 
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