Thema: Sütterlin und andere Schriften - wer kann das lesen ?
Magdeburger Am: 08.12.2016 18:15:22 Gelesen: 757882# 516@  
Liebe Sammelfreunde,

heute habe ich einen netten dreiseitig beschriebenen Brief bekommen, nur was steht da drinnen:





Hier soweit ich es gelesen habe (seitenweise und je Seite auch Zeilenweise):

Wörlitz den 18ten Mai, 1812.

Theuerste Freundin,

Unvermuthet und angenehm überraschend empfing ich gestern Abend,
den ersten Pfingsttag, Ihren mir sehr lieben Brief, den ich oben auf meiner
Stube in der stillen Einsamkeit, wol dreimal überlaß und durchdachte,
und mir dabei die süßen Scenen unsrer ersten jugendlichen reinen Liebe
wieder ins Gedächtniß zurück rief. - Diese Rückerinnerung war aber,
mehr als sonst mit einer innere Unhmuth vermischt und getrübt; weil
Sie mir durch diesen Brief, fast alle Hoffnung des Wiedersehens geraubt
haben. Schon hatte ich mir einige mal die süße Hoffnung erträumt,
Sie vielleicht diese Pfingsten hier zusehen, und mit Ihnen die angeneh=
men Gefilde um Wörlitz zu durchwandeln und - nun wurde die=
ser süße Traum auf einmal zertrümmert. Was sind doch alle mensch-
liche Hoffnungen? - Nichts als Traum! - Und doch sind auch die=
se süßen Träume Wohlthat, sie sind der Nectar und Ambrosin für uns
Sterbliche auf Erden. - Schade nur daß uns in der Wirklichkeit so oft Enzian
und Wermuth zur Speise, und Essig mit Mürthen zum Getränk dargereicht wird,
oder vielmehr, daß wir uns durch unsre Neigungen und L(B?)eidungsschaften selbst
solche Gallengerichte zubereiten. Dann sind wir - um uns zu rechtfertigen,
nur gar zu sehr geneigt, die Schuld unsrer Versehen und Übereilungen, auch
die gütige Versuchung zu werden, weil diese geduldiger ist, als wir in
manchen Fällen sind. - Lasßen Sie es uns nur offenherzig und derWahr=
heit gemäß gestehen: daß wir beide selbst Schuld an unsrer Ernenung
sind. - Die gütige Vorsicht führte uns an einem Ort zusammen, wo wir uns
kennen und lieben lernten. Was konnte diese nun mehr thum, wenn sie uns als

als freie und vernünpftige Geschöpfe wollte handeln und frei - zu unseren
Glück wählen lasßen.- Müßten wir uns nun nicht noch einander fü=
gen? - Müßten wir nicht ganz für einander - ohne Neckerei - zu le-
ben suchen? - Mein Entschluß, in der ersten glüclichen Periode unsrer
reinen zärtlichenLiebe, war gefaßt: Sie und keine andre einst und
vielleicht spät mach meiner Mutter Tode zu ehelichen.- Aber der schon
gedachte fatale Spaziergang mit Sageln und Ihr damaliger Trotz
zertrümmerte auf einmal meinen Entschluß. - War nun die gütige
Vorsicht hieran wol Schuld? - Ich glaube nein! - wir selbst. - Doch
genug hiervon! - Lehren Sie aber Ihre Kinder, wie ich die meinigen,
auf die Wege der gütigen Vorsicht zu merken, und ein die Schuld unsrer Ver=
gefungen auf sie zu werfen; weil dies aus Büsterung derselben ist. -
Ich folge Ihrem gütigen Rath, und suche mir mein Schicksal nach Möglichkeit
erträglich zumachen und mich - an meine ehel. Beleidigerin durch Wohlthun
zu rächen, und sie dadurch vielleicht auf besßere Gedanken zu leiten. In dieser
Absicht habe ich vor einem Jahre, als unser Herzog den größten Theil seiner
eignen, sonst in Pacht uns gegebenen Wiesen, meistbietend verkaufen ließ, für
meine Frau und Kinder 4 Morgen gutes Wiesenwachs für 480 Rt. eigne ge=
kauft; damit sie nach meinem Tode jährl. wenigstens für 30 bis 40 Rt. Heu=
futter davon ärnten und verkaufen können; überdies bekommt sie dann noch
jährlich 30 Rt. aus der Witwenkasse und vielleicht noch ebenso viel an anderen
Einkünften, so daß sie dann nicht Noth leiden darf, wenn sie fleißig und sparsam
ist. - Nicht mehr, so handle ich recht? - Ach, es ist so süß, sich durch
Wohlthun zu rächen! - Ich suche nur meiner Pflicht zu haben, und so viel
als möglich das Wohl meiner Familie zu gründen. - Schade daß meine
3te Tochter Leopoldine, nicht hat zu Ihnen kommen können! Ich gab ihr einen
recht herzlichen Kuß für Sie, meine Theuerste, mit auf die Reise, der sie Ihnen,
wo möglich, recht warm zu überbringen versprach. Den 4tenMAi, früh um

um 3 Uhr, reiseten Hl. von Mattlichens mit meiner Tochter, von Wörlitz ab.
Ach, daß war ein wehmuthsvoller Abschied! -"- ICh hätte herzlich
gewünscht, daß Sie das gute Mädchen kennen gelernt hätten; Sie würden
sich gewiß über sie gefreut haben: denn Leopoldine hat die meiste Ähn=
lichkeit mit mir. Gott sei ihr Geleiter und Beschützer ihrer Unschuld;
denn rein und keusch ist sie meinen Händen entreiset.
Unsere verewigte Herzogin Louise, ruhet, nach ihrem Willen, auf dem großen
neuen Gottesacker in Dessau, unter ihren Landeskindern - E...iger Lohn für
gute Thaten, wird gewiß ihr seliges Loß in der Ewigkeit seyn. Möchte nie
eine unheilige Hand, die Ruhe ihrer Asche stören! - Nun wird ihr hiesiges
Haus ausgeräumt, und die Möbels werden nach Großkühnau auf das Prinz=
liche Schloß gebracht, weil der Erbprinz dasselbe von dem Sohn den Prinzen (Heidek)
gekauft hat. Unser Erbprinz macht in Kühnau ähnliche Gartenanlagen, wie
der Herzog in Wörlitz. - Sie würden jetzt die Gegend um Kühnau kaum noch
kennen - aber doch einige Plätze -"- 'Nun, meine Threuste, muß ich
schließen; Ihnen aber doch noch kürzl. sagen, daß der Förster Sikert in Groß=
kühnau vor Ostern gestorben ist (alt 72 Jahr). Auch meiner Zukunft in Weißenfels
werden Sie nicht hoffen dürfen; weil mein Amt eine solche Reise nicht verstattet.
Kann ich aber, bei Gelegenheit, noch eine Condition für Ihren Sohn aus=
mitteln, so werde ich solches mit Freuden thun. Der Oberamtmann Schoch in Reschen
ist tödtlich krank und vielleicht jetzt schon verblichen; er führt ein etwas
wüstes Leben. -"- Suchen Sie durch Geduld, Sanftmuth, Nachgiebigkeit,
und Freundlichkeit Ihre Lage zu verbessern und durch Achtung das Herz
Ihres Gatten an sich zuziehen. Wir Männer mögen gern von den Weibern
geachtet seyn, - Besonders hüten Sie sich vor unzeitigen und unbehutsamen
Widerspruch. - Grüßen und Küssen Sie Ihren Mann und Kinder recht
herzlich im Namen
Ihres
unaufhörlich treuen Freundes
L.F.B. S_ r.

NB. In Wörlitz lebt eine Frau, Names Müllerin, die Ihnen so ähnlich sieht, wie eine Schwester der
anderen nicht sehen kann; bei dieser erinnere ich mich Ihrer manchmal sehr lebhaft; sie kann auch
etwa Ihr Alter haben. Ist das nicht sonderbar?


Ich sage jetzt schon einmal Danke!

Mit freundlichem Sammlergruss

Ulf
 
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