Thema: Briefmarken: Steht uns der wahre Preisverfall noch bevor?
jueshire Am: 01.02.2017 11:39:52 Gelesen: 20200# 32@  
Hallo an alle,

meiner Ansicht nach werden in dieser Diskussion einige Kategorien durcheinander geworfen.

Es begann mit dem Verweis auf die Altersstruktur des BDPh, also einer zerstrittenen Mitgliederorganisation. Unabhängig von der jeweils eigenen Meinung zeugt der Streit zunächst einmal davon, dass die Organisation mit sich selbst hadert.

Schon deshalb ist diese Diskussion wichtig, auch wenn sie in Teilen eine Wiederholung darstellt, denn nur wenn sich diejenigen, die als Mitglieder des BDPh in Frage kommen, zur gewünschten Ausrichtung des Verbandes äußern, wird er eine Überlebenschance haben.

Dazu gehört auch die Grundsatzfrage, ob es eines solchen Verbandes überhaupt noch bedarf - viele Sammelgebiete haben so etwas nicht und überleben trotzdem.

Die Besonderheit des BDPh war in der Vergangenheit, dass er professionelle Interessen (Händler, Prüfer, Autoren, Zubehörhersteller etc.), zivilgesellschaftliche Gruppen (Ortsvereine), fachlich spezialisierte Philatelie (Arbeitsgemeinschaften) gebündelt, und gegenüber der einen zentralen Ausgabestelle ("die" Post) vertreten hat. Als Wettbewerbe durchgeführte Briefmarkenausstellungen waren der zentrale Ort, an dem all diese Mitgliedsgruppen idealerweise zusammenkamen. Dieses Modell kracht nun an mehreren Stellen gleichzeitig zusammen, und daher rührt wohl auch der Streit.

Davon völlig unabhängig ist die Frage nach Preisen und Werten von Briefmarken - die etwas unterschiedliches bezeichnen.

Katalognotierungen sind zuallererst Hinweise auf Wertentwicklungen: sie geben Auskunft über die durchschnittliche Gefragtheit eines Sammelobjekts. Auch diejenigen, die am Geldwert ihrer Sammlung überhaupt nicht interessiert sind, könnten ohne die Angaben nicht abschätzen, ob sie es mit einer "seltenen" Marke zu tun haben oder nicht. Theoretisch könnte die FIP einen zentralen Einheitswert festlegen (z.B. die aktuelle Wertschätzung der One Penny Black) und alle Kataloge weltweit würden einen abstrakten, dazu relativen Markenwert statt einer regionalen Währung angeben.

Das passiert natürlich nicht, weil die Angaben eben nicht nur Werte, sondern auch Preisangaben darstellen sollen - mit Betonung auf "sollen". Seit in den 1860er Jahren die ersten Händler entdeckten, dass sich Geld damit verdienen lässt, dass man Sammlern beim sammeln hilft, wird mit Katalognotierungen den Sammlern auch signalisiert, was sie bezahlen sollen, wenn sie bestimmte Marken möchten. Die ersten "Kataloge" waren bekanntlich Preislisten von Händlern, und die "philatelistische Forschung" war und ist immer auch daran gekoppelt, Besonderheiten zu bestimmen, die einen höheren Preis rechtfertigen.

Auf diese Preise wirken zahlreiche Entwicklungen ein, von denen viele hier genannt wurden. Aber Preise stehen zu den Werten eben nur in relativer Beziehung, sie beeinflussen einander, haben aber keine eindeutige Kausalwirkung in die eine oder andere Richtung.

Mir scheint wichtig, das Thema "Organisation der Briefmarkensammler" nicht mit den Themen "Preisentwicklung" einerseits und "Philatelie" anderseits zu verwechseln.

Meine Meinung will ich auch nicht verschweigen.

Die Ortsvereine haben natürlich ein Mitgliederproblem, dass von unbeeinflussbaren Entwicklungen (Digitalisierung der Kommunikation, Veränderung des Freizeitverhaltens) genauso abhängt, wie von selbst zu verantwortenden Aspekten (Strukturkonservatismus). Viele werden in der heutigen Konstellation nicht überleben können, und schon jetzt sind die meisten nur noch mit Selbsterhaltung beschäftigt. Ohne Bündelung und reformierte Organisation wird es keine Zukunft geben - und das wäre meiner Ansicht nach ein viel wichtigeres Problem für den BDPh als die Frage, wer die "philatelie" herausgibt.

Die Arbeitsgemeinschaften haben wohl eher ein "Formproblem". Als spezialisierte Fachgruppen könnten sie ein sehr viel größeres Mitgliederpotenzial ansprechen, das ihnen aber verwehrt bleibt, solange sie als Anhängsel an die Ortsvereine gekettet bleiben. Ich wirke in mehreren ausländischen Fachgruppen mit - in Deutschland ist das nicht möglich, wenn man nicht auch in einen Ortsverein geht und sich dem Fachverband BDPh anschließt. Welch ein Unsinn! Warum muss ich in einen Ortsverein, wenn mich Brustschilde interessieren, obwohl vor Ort gar niemand Brustschilde sammelt? Die Rechtfertigung von Ortsvereinen und BDPh lautet: Mitgliedsbeiträge - also die von "unfreiwilligen" Mitgliedern...

Die professionellen Gruppen (Händler, Prüfer, Autoren etc.) scheinen den BDPh weitestgehend okkupiert zu haben, denn der BDPh beschreibt sich selbst zuerst als "Fachverband für Briefmarkensammler". Er sieht sich also nicht als "Kopf" der Sammler, sondern tritt ihnen als Autorität gegenüber. Daher auch seine beiden zentralen Leistungsmerkmale: Rechtsberatung und Herausgeber der "philatelie" - das sind "Versorgungsleistungen", aber nicht "Repräsentationsleistungen" eines Mitgliederverbandes.

Das ist ungefähr so, als würde der Deutsche Fußballbund die Einhaltung der Fußballregeln überwachen und einen Spielplan an die Mitglieder versenden, aber auf die Organisation von Trainings-, Liga- und Pokalbetrieb der Vereine verzichten.

Wie viele Ortsvereinsmitglieder nehmen die Rechtsberatung des BDPh in Anspruch? Das ist doch eine Fake-Leistung.

Ohne die Parallele zu weit treiben zu wollen: aber der DFB weiß wenigstens, dass es um Fußball geht. Beim BDPh hingegen ist mir völlig unklar, was er spielt. Das Consilium Philatelicum? Briefmarkenausstellungen? Betreibt er das Haus der Philatelie - und für wen? Wie viele seiner Tätigkeiten betreffen Sammler?

Ein sinnvoller Dachverband würde meiner Ansicht nach die Bereiche Ortsvereine und Arbeitsgemeinschaften separat reformieren, und die allzu engen Verbindungen zu Berufsverbänden, die mit Sammlern und Philatelisten vornehmlich ihr Geld verdienen, kappen.

Viele Sammler wollen im Verein über ihr Thema fachsimpeln, vielleicht auch Tauschen (obwohl die meisten heute sicher eher Internet-Plattformen nutzen) und sicher auch Grundlagenkenntnisse vermittelt bekommen. Solche Seminare müssten aber dezentraler angeboten werden, vielleicht auch mit stärkerer Selbstorganisation regional oder thematisch gebündelter Ortsvereine.

Die versierteren Philatelisten interessieren sich vor allem für Literatur (Erstellung und Bezug), und vielleicht auch Ausstellungen, dazu Auktionen, auf denen Besonderheiten zu bekommen sind, die sich im Internet nicht finden lassen. Das wäre das Aktionsfeld der Arbeitsgemeinschaften.

Händlern, Prüfern, Verlagen und Zubehörherstellern will ich das Wasser gar nicht abgraben - aber sie verdienen doch am besten, wenn es eine gut organisierte und überlebensfähige Gemeinschaft von Briefmarkensammlern und Philatelisten gibt. Sie sollten sich von der Organisation des Hobbies fernhalten.

Es wäre interessant zu wissen, ob Akteure des BDPh diese Diskussion verfolgen und daran interessiert sind. Ich persönlich halte den Laden gegenwärtig für ziemlich überflüssig.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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