Thema: Gedanken zur Zukunft der organisierten Philatelie
Cantus Am: 22.04.2017 14:02:53 Gelesen: 6443# 5@  
@ 22028 [#2]

Hallo,

deine Worte passen nicht so recht zu meinen Überlegungen, denn ich habe ja nicht über die heutige Situation nachgedacht, sondern über die weitere Zukunft der Philatelie. In den letzten zwanzig Jahren meines Berufslebens habe ich immer wieder die Aufgabe gehabt, Lösungen für abstrakte Probleme finden zu müssen, ohne dabei auf aktuelle Gegebenheiten oder persönliche Vorlieben Rücksicht nehmen zu dürfen. Und genau das habe ich hier auch getan.

In anderen Themen wurde schon mehrfach darüber diskutiert, wie man junge Sammler gewinnt und sie auch bei der Stange hält. Ich selber habe damit bisher hier bei uns auf dem Land nur schlechte Erfahrungen gemacht. Während es mir noch ab und zu gelungen ist, Kinder oder Jugendliche erst einmal an das Briefmarkensammeln heranzuführen, ist bei denen aber entweder mit Einsetzen der Pubertät das Interesse erloschen oder aber, viel schlechter, diese Jungsammler haben sich nach einem ersten Versuch nicht mehr getraut, das Thema an ihrer Schule anzusprechen, weil das zu massivem Mobbing durch komplette Schulklassen oder Altersgruppen führte. Wenn man aber weder Tauschpartner hat noch sich überhaupt zu dem Thema äußern darf, erlischt sehr schnell das Interesse an dieser Art von Hobby.

Auch wenn es an anderen Orten durchaus gelungen sein könnte, Jungsammler als unsere Nachkommen zu gewinnen, so dürfte deren Anzahl insgesamt jedoch weit geringer sein als die Anzahl derer, die altersbedingt das Hobby der Philatelie aufgeben oder unvermittelt sterben. Das hat zur Folge, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Anzahl derer, die sich aktiv mit irgendwelchen philatelistischen Themen beschäftigen, erheblich sinken wird. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass die heutige Jugend fast ausschließlich Kontakte über das Internet anbahnt oder vor allem dort auf diverse Freizeitaktivitäten stößt, ist kaum damit zu rechnen, dass sie sich statt dessen irgendwelchen Ortsvereinen zuwendet.

Das Modell des Ortsvereins hat damit in der Vergangenheit zwar seinen Zweck erfüllt, passt aber nicht mehr zu den Gepflogenheiten des Internetzeitalters und wird deshalb aussterben.

Wenn ich als Sammler, schon etwas länger dabei oder noch ganz frisch, mich mit dem Gedanken trage, welcher Interessensgemeinschaft ich beitreten sollte, so würden für mich mit Sicherheit die Vorteile, die ich dadurch gewinne, im Vordergrund stehen. Während ich jedoch erste Hinweise zum Umgang mit der Materie, zu Bezugsquellen, zu möglichen Sammlertreffen und Anderem problemlos aus dem Netz ziehen kann, bleibe ich dadurch aber immer noch ein einsamer Sammler, dem persönliche Treffen mit Material- und Erfahrungsaustausch fehlen. Was also sollte mir ein Vereinsbeitritt bringen?

Nun, an erster Stelle würde ich mich wohl daran orientieren, was ich selber sammle und wo ich eine Gruppe mit ähnlichen Interessen finde. Diese Gruppe sollte sich zwar möglichst wohnortnah zusammenfinden, wenn das aber nicht geht, sich dann doch zumindest in recht regelmäßigen Abständen an einem fest definierten Ort treffen, sodass es mir z.B. während eines Urlaubs möglich wäre, so ein Zusammentreffen auch einmal persönlich aufzusuchen.

Wo ein persönliches Treffen mit zukünftigen Vereinskameraden eher unwahrscheinlich erscheint, sollte mein zukünftiger Verein über einen gut funktionierenden Rundsendedienst verfügen, bei dem die Mitglieder des Vereins eigene Dubletten den anderen Mitgliedern fair ausgepreist zum Kauf anbieten, damit ich auf diesem Wege und unabhängig von möglichen Händlerangeboten meine Sammlung(en) erweitern kann.

Des weiteren sollte mein zukünftiger Verein regelmäßig Publikationen veröffentlichen, aus denen ich Informationen zu eigenen und auch fremden Sammelgebieten erhalten kann, in denen ich aber auch selber Erkenntnisse, die ich bei der Beschäftigung mit meiner Sammlung gewonnen habe, Anderen vermitteln kann.

Und ein letzter Wunsch wäre da noch, dass ich über so einen Vereinsbeitritt kostenlos regelmäßig Zeitschriften oder andere Publikationen ins Haus geliefert bekomme, die mir die vielen Winkel und Ecken der Philatelie, die außerhalb meiner eigenen Sammelschwerpunkte liegen, aufzeigen und mein Interesse wecken.

Was ich aber auf gar keinen Fall erwarte ist eine Gruppierung, die sich vor allen Dingen damit beschäftigt, die Philatelie nicht als Hobby, sondern vor allen Dingen als Wettstreit untereinander zu bestreiten, damit Einzelne dann später behaupten können, sie seien die Gewinner, während andere, die mit vielleicht noch größerer Inbrunst ihre Sammlung pflegen, dann als Menschen mit minderwertigeren Sammlungen dastehen. Auch wenn Jungsammler diese Zusammenhänge meistens noch nicht durchblicken, so hat mir eine jahrzehntelange Beschäftigung mit diesem Thema doch gezeigt, dass ein echter Wettstreit tatsächlich gar nicht stattfindet, da die Einen, finanziell gut ausgestattet, sich (fast) alles das kaufen können, was nach Ihrer Meinung und auch der Meinung derjenigen, die solche Ausstellungsstücke bewerten sollen, unbedingt dazugehört, um eine hohe Bewertung und Einstufung zu erlangen, während Andere, die über viel weniger Einkommen verfügen und deshalb nicht die international herausgehobenen Sammlerstücke erwerben können, zumeist nur niedrigere Bewertungen für ihre Sammlungen erhalten.

Außerdem stört mich ganz gewaltig am gesamten Ausstellungswesen, dass da von dritter Seite Vorschriften gemacht werden, wie denn eine Sammlung mindestens aufgebaut sein müsse, um überhaupt die Chance auf eine höhere Bewertung erhalten zu können. Das hat doch mit freiem Sammeln nichts mehr zu tun, wenn Personen, die sich der nicht geringen Mühe unterziehen wollen, ihre Sammlung anderen Sammlern im Rahmen einer Ausstellung zeigen zu wollen, so daran gehindert werden, das auf die Art und Weise zu tun, die ihnen selber sinnvoll und wichtig erscheint. Da nutzt auch der Hinweis nichts, dass es ja bereits im Rahmen von Rang III-Ausstellungen die Möglichkeit gibt, so zu verfahren. Der Fehler liegt im System oder genauer gesagt darin, dass es überhaupt diese Einteilung in Rang I, II und III gibt. In absehbarer Zeit wird sich aber auch das überlebt haben, da es dann die meisten Sammler, die heute noch mit ihren Sammlungen solche Ausstellungen erst ermöglichen, altersbedingt nicht mehr geben wird. Und auch die Personen, die sich von solchen Ausstellumgen angezogen fühlen, werden mit Sicherheit weniger werden, sodass dann nur noch die besonderen Ausstellungsereignisse, die vorab kräftig in Fernsehen, schriftlichen Publikationen und Internet beworben werden, eine spürbare Menge an Ausstellungsbesuchern anziehen werden.

Aus all den Gründen bieten sich mir bei der Auswahl meines zukünftigen Vereins folgende Varianten an:

Themenbezogen eine ARGE und/oder ein überregionaler Verein, da beide Organisationsformen wie jeder andere Verein auch einen Vereinssitz haben, an dem man den Vorsitzenden erreichen kann und wo mehr oder minder regelmäßig auch persönliche Treffen der Mitglieder mit Tauschmöglichkeit stattfinden.

Eigene Gründung einer ARGE, wenn bereits ausreichend Kontakte zu anderen Sammlern bestehen, die ebenfalls an so einer ARGE interessiert sind. Dabei kann sich die ARGE sowohl regionalen als auch spezifischen Sammelthemen zuwenden. Denkbar sind auch wohnortnahe Ableger bereits bestehender ARGEn (zur Zeit sind 162 verschiedene ARGEn beim BDPh gelistet), damit Sammler gleicher Interessenslage bessere Möglichkeiten haben, auch im persönlichen Kontakt miteinander zu kommunizieren.

Eine Direktmitgliedschaft beim BDPh, um in Deutschland überhaupt einer philatelistischen Organisation angehören zu können, ohne sich dabei auf eine ARGE oder einen einzelnen Verein festlegen zu müssen, aber auch, um in den Genuss der Publikationen des BDPh zu gelangen, oder einfach nur deshalb, damit ich gewiss bin, dass meine Wünsche und Vorstellungen als deutscher Sammler (nicht Sammler von Deutschland) von der einzigen Organisation, die alle deutschen Sammler nach innen und außen vertritt (und nicht nur die von Berlin oder dem Südwesten), gehört und dort auch diskutiert werden.

Ich würde mich freuen, wenn ich zu meinen Gedanken und Vorstellungen schriftliche Meinungsäußerungen Anderer bekommen würde, positive oder negative, kritische oder zustimmende, das ist grundsätzlich egal, Hauptsache, auch Andere sorgen sich um die Zukunft unseres schönen Hobbys und machen sich so ihre Gedanken, wie das in zehn bis zwanzig Jahren damit noch weitergehen kann.

Viele Grüße
Ingo
 
Quelle: www.philaseiten.de
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