Thema: Philatelie in der Presse - Auktionen (Sammelbeitrag)
Richard Am: 19.04.2009 11:38:25 Gelesen: 132772# 33@  
Das kleinste Wertpapier der Welt - Sammler aus Passion, Anleger mit Sicherheitsbedürfnis: Warum Briefmarken gerade Höchstpreise erzielen

Von Wolfgang Luef

Süddeutsche Zeitung (17.04.09) - Zwischen Niete und Schnäppchen liegt oft nur ein winziges Detail. Zum Beispiel ein weißer Fleck, der kaum einen Millimeter breit ist. "Ich habe den beim Kauf selber nicht sofort gesehen", sagt Thomas Bauer und zeigt auf zwei offenbar identische Briefmarken aus seiner Sammlung. Sie stammen aus dem Jahr 1949 und zeigen eine mittelalterliche Szene auf der Leipziger Messe: Mehrere Besucher stehen oder sitzen bei einem Messestand. "Auf der einen Marke scheint einer der Besucher eine weiße Schärpe am Rücken zu tragen", erläutert der 60-jährige Münchner. Etwas wie diese winzige weiße Schärpe - sie wird erst nach sekundenlangem Starren sichtbar - nennen die Philatelisten einen Plattenfehler. Weil die Druckplatte 1949 nicht richtig gearbeitet hat, ist die Marke heute laut Katalog sechzigmal soviel wert wie ihr scheinbarer Zwilling. Ein feiner, fulminanter Unterschied.

Mitten in der Finanzkrise erzielen Briefmarken bei internationalen Auktionen Höchstpreise. Ende März setzte das Wiesbadener Auktionshaus Heinrich Köhler bei einer Auktion 5,2 Millionen Euro um. In der Schweiz versteigerte das Auktionshaus Rapp im November Marken im Wert von 12 Millionen Euro - eine Schweizer Einzelmarke brachte 220 000 Euro. "Sammler mit viel Geld überlegen es sich im Moment zweimal, ob sie damit irgendwelche dubiosen Banken unterstützen oder Briefmarken kaufen, an denen sie sich täglich erfreuen können", sagt Jean-Paul Bach, einer der Geschäftsführer des Auktionshauses. Er warnt zwar davor, mit Briefmarken zu spekulieren wie mit Finanzderivaten, einen Trend will er aber erkennen: Wer das nötige Wissen hat, kann mit Briefmarken sein Geld vermehren. Das Geschäft mit dem "kleinsten Wertpapier der Welt" sei ein Nischenmarkt, "der für Anleger zunehmend an Bedeutung gewinnt".

Eine Leidenschaft, kein Geschäft

Die Sammler im Münchener Briefmarken-Club können darüber nur die Nase rümpfen. Ein Dutzend Mitglieder - die meisten Männer im Rentenalter - sind an diesem Abend in ein Restaurant im Stadtteil Großhadern zusammengekommen. Sie können sich stundenlang über Editionen und Postwege unterhalten, suchen Marken mit Lupen nach winzigen Details ab und diskutieren über die Auswirkungen der indischen Devisenbeschränkungen auf den deutschen Briefmarkenmarkt. Über Geld reden sie nur selten - schon gar nicht über die Höhe der eigenen Investitionen. Und ihre Leidenschaft als lukrative Kapitalanlage zu betrachten ist für sie ein regelrechtes Sakrileg.

"Totaler Quatsch", sagt einer aus der Runde. "Man muss erst durch jahrelanges Studium zum Experten werden, bevor man weiß, was man kauft", meint ein anderer, der sich seit 50 Jahren mit Briefmarken beschäftigt und mehrere Bücher über altrumänische Philatelie geschrieben hat. Und auch Gertlieb Gmach, der 63-jährige Vorsitzende, meint: "Ohne langjährige Tätigkeit können Sie bei sowas nur in den Dreck langen." Bei solchen Rekordauktionen würden schon "ein paar Narrische reichen, die sich gegenseitig hochschaukeln".

Vor zwei Wochen in Wiesbaden waren es zwei Bieter, die sich um einen Block "Schwarzer Einser" inklusive Fehldruck aus dem Jahr 1849 überboten. Den Zuschlag bekam ein Schweizer: Er bezahlte 320 000 Euro, außerdem fast 60 000 Euro "Aufgeld" an das Auktionshaus. Immer öfter sind bei solchen Versteigerungen Investoren aus der ehemaligen Sowjetunion über Telefon zugeschaltet. Sie tragen zum Preisanstieg im Spitzensegment bei: Vor der Wende waren die historischen Marken aus dem Ostblock für westliche Sammler günstig zu haben. Nun gebe es dort aber Menschen, "die zu Geld gekommen sind", wie mehrere Sammler erzählen. Die wollen ihre Marken zurück und zahlen jeden Preis.

Die meisten Großkäufer ziehen es vor, anonym zu bleiben. Oft sitzen nur ihre Mittelsmänner im Auktionspublikum, die sogenannten Kommissionäre. Einer davon ist Jochen Heddergott. Der Mann mit Halbglatze und weißem Vollbart ist 73, sieht mindestens zehn Jahre jünger aus und bezeichnet sich selbst als "Profi". Er sei, sagt er, "in der Szene bekannt wie ein bunter Hund". Den Job macht er seit 1969. Stets sitzt er in der ersten Reihe und hebt dezent seinen schwarzen Kugelschreiber für Käufer aus aller Welt. Er habe auch schon Millionenbeträge geboten, erzählt er - und dabei meist den Zuschlag erhalten.

"Wenn jemand zu mir kommt, der keine Ahnung von Briefmarken hat und nur Geld anlegen möchte, schicke ich ihn weg", sagt Heddergott. Dass die seltensten Marken gerade in den vergangenen Monaten Höchstpreise erzielt haben, war auch für ihn überraschend - "doch wer in dem Segment mitbietet, spürt eben nichts von der Finanzkrise".

Sorgen bereitet ihm der Preisverfall im mittleren Segment - also bei den Marken, die sich auch Hobbysammler leisten können. Die Nachfrage sinkt, weil die Sammler aussterben. Seit Jahren klagen die Vereine über Nachwuchssorgen. Beim Münchner Club ist an diesem Abend ein 16-Jähriger zum Schnuppern dabei. Der Vorsitzende bezeichnet ihn als "wichtigsten Ehrengast" und schenkt ihm "als Motivation" Stücke aus seiner Sammlung. Der Junge bedankt sich höflich. Ob er Sammler werden will, weiß er noch nicht recht.

(Quelle: http://www.sueddeutsche.de/056382/618/2848019/Das-kleinste-Wertpapier-der-Welt.html)
 
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