Thema: Motiv Liebe
Magdeburger Am: 25.08.2018 16:07:13 Gelesen: 35351# 3@  
Liebe Sammelfreunde,

hier ein privater Brief aus dem Jahre 1812, welcher in Wörlitz vom Oberhof-Garten Inspektor Johann Georg Gottlieb Schoch geschrieben wurde und "An Frau Eleonore Fritzschin geb. Müllerin hochedelgeb. in Weisßenfels" geschrieben wurde.

Die Adressatin war seine Jugendliebe, welche er wiedertraf und schwelg nochmal in Gedanken - der 2. Teil sagt etwas zu seiner sozialen Stellung und auch über seine Person und Familie aus.

Hier der Inhalt (komplett):





Die vollständige Transkiption:

Wörlitz den 18ten Mai, 1812.

Theuerste Freundin,

Unvermuthet und angenehm überraschend empfing ich gestern Abend,
den ersten Pfingsttag, Ihren mir sehr lieben Brief, den ich oben auf meiner
Stube in der stillen Einsamkeit, wol dreimal überlaß und durchdachte,
und mir dabei die süßen Scenen unsrer ersten jugendlichen reinen Liebe
wieder ins Gedächtniß zurück rief. - Diese Rückerinnerung war aber,
mehr als sonst mit einer innere Wehmuth vermischt und getrübt; weil
Sie mir durch diesen Brief, fast alle Hoffnung des Wiedersehens geraubt
haben. Schon hatte ich mir einige mal die süße Hoffnung erträumt,
Sie vielleicht diese Pfingsten hier zusehen, und mit Ihnen die angeneh=
men Gefilde um Wörlitz zu durchwandeln und - nun wurde die=
ser süße Traum auf einmal zertrümmert. Was sind doch alle mensch-
liche Hoffnungen? - Nichts als Traum! - Und doch sind auch die=
se süßen Träume Wohlthat, sie sind der Nectar und Ambrosia für uns
Sterbliche auf Erden. - Schade nur daß uns in der Wirklichkeit so oft Enzian
und Wermuth zur Speise, und Essig mit Mürthen zum Getränk dargereicht wird,
oder vielmehr, daß wir uns durch unsre Neigungen und Leidenschaften selbst
solche Gallengerichte zubereiten. Dann sind wir - um uns zu rechtfertigen,
nur gar zu sehr geneigt, die Schuld unsrer Versehen und Übereilungen, auf
die gütige Versuchung zu werfen, weil diese geduldiger ist, als wir in
manchen Fällen sind. - Lasßen Sie es uns nur offenherzig und der Wahr=
heit gemäß gestehen: daß wir beide selbst Schuld an unsrer Trennung
sind. - Die gütige Vorsicht führte uns an einem Ort zusammen, wo wir uns
kennen und lieben lernten. Was konnte diese nun mehr thum, wenn sie uns als

als freie und vernünpftige Geschöpfe wollte handeln und frei - zu unseren
Glück wählen lasßen.- Müßten wir uns nun nicht nach einander fü=
gen? - Müßten wir nicht ganz für einander - ohne Neckerei - zu le-
ben suchen? - Mein Entschluß, in der ersten glüclichen Periode unsrer
reinen zärtlichen Liebe, war gefaßt: Sie und keine andre einst und
vielleicht spät nach meiner Mutter Tode zu ehelichen.- Aber der schon
gedachte fatale Spaziergang mit Sageln und Ihr damaliger Trotz
zertrümmerte auf einmal meinen Entschluß. - War nun die gütige
Vorsicht hieran wol Schuld? - Ich glaube nein! - wir selbst. - Doch
genug hiervon! - Lehren Sie aber Ihre Kinder, wie ich die meinigen,
auf die Wege der gütigen Vorsicht zu merken, und nie die Schuld unsrer Ver=
gehungen auf sie zu werfen; weil dies eine Lästerung derselben ist. -
Ich folge Ihrem gütigen Rath, und suche mir mein Schicksal nach Möglichkeit
erträglich zumachen und mich - an meine ehel. Beleidigerin durch Wohlthun
zu rächen, und sie dadurch vielleicht auf besßere Gedanken zu leiten. In dieser
Absicht habe ich vor einem Jahre, als unser Herzog den größten Theil seiner
eignen, sonst in Pacht uns gegebenen Wiesen, meistbietend verkaufen ließ, für
meine Frau und Kinder 4 Morgen gutes Wiesewachs für 480 Rt. eigen ge=
kauft; damit sie nach meinem Tode jährl. wenigstens für 30 bis 40 Rt. Heu=
futter davon ärnten und verkaufen können; überdies bekommt sie dann noch
jährlich 30 Rt. aus der Witwenkasse und vielleicht noch ebenso viel an anderen
Einkünften, so daß sie dann nicht Noth leiden darf, wenn sie fleißig und sparsam
ist. - Nicht wahr, so handle ich recht? - Ach, es ist so süß, sich durch
Wohlthun zu rächen! - Ich suche nur meiner Pflicht zu leben, und so viel
als möglich das Wohl meiner Familie zu gründen. - Schade daß meine
3te Tochter Leopoldine, nicht hat zu Ihnen kommen können! Ich gab ihr einen
recht herzlichen Kuß für Sie, meine Theuerste, mit auf die Reise, der sie Ihnen,
wo möglich, recht warm zu überbringen versprach. Den 4ten Mai, früh um

um 3 Uhr, reiseten Hl. von Matthisson mit meiner Tochter, von Wörlitz ab.
Ach, daß war ein wehmuthsvoller Abschied! -"- Ich hätte herzlich
gewünscht, daß Sie das gute Mädchen kennen gelernt hätten; Sie würden
sich gewiß über sie gefreut haben: denn Leopoldine hat die meiste Ähn=
lichkeit mit mir. Gott sei ihr Geleiter und Beschützer ihrer Unschuld;
denn rein und keusch ist sie meinen Händen entreiset.
Unsere verewigte Herzogin Louise, ruhet, nach ihrem Willen, auf dem großen
neuen Gottesacker in Dessau, unter ihren Landeskindern - Ewiger Lohn für
gute Thaten, wird gewiß ihr seliges Loß in der Ewigkeit seyn. Möchte nie
eine unheilige Hand, die Ruhe ihrer Asche stören! - Nun wird ihr hiesiges
Haus ausgeräumt, und die Möbels werden nach Großkühnau auf das Prinz=
liche Schloß gebracht, weil der Erbprinz dasselbe von dem Sohn den Prinzen (Heidek)
gekauft hat. Unser Erbprinz macht in Kühnau ähnliche Gartenanlagen, wie
der Herzog in Wörlitz. - Sie würden jetzt die Gegend um Kühnau kaum noch
kennen - aber doch einige Plätze -"- 'Nun, meine Theuerste, muß ich
schließen; Ihnen aber doch noch kürzl. sagen, daß der Förster Sikert in Groß=
kühnau vor Ostern gestorben ist (alt 72 Jahr). Auf meine Ankunft in Weißenfels
werden Sie nicht hoffen dürfen; weil mein Amt eine solche Reise nicht verstattet.

Kann ich aber, bei Gelegenheit, noch eine Condition für Ihren Sohn aus=
mitteln, so werde ich solches mit Freuden thun. Der Oberamtmann Schoch in Rehsen
ist tödtlich krank und vielleicht jetzt schon verblichen; er führte ein etwas
wüstes Leben. -"- Suchen Sie durch Geduld, Sanftmuth, Nachgiebigkeit,
und Freundlichkeit Ihre Lage zu verbessern und durch Achtung das Herz
Ihres Gatten an sich zuziehen. Wir Männer mögen gern von den Weibern
geachtet seyn, - Besonders hüten Sie sich vor unzeitigen und unbehutsamen
Widerspruch. - Grüßen und Küssen Sie Ihren Mann und Kinder recht
herzlich im Namen
Ihres
unaufhörlich treuen Freundes
L.F.B. S_ r.

NB. In Wörlitz lebt eine Frau, Names Müllerin, die Ihnen so ähnlich sieht, wie eine Schwester der
anderen nicht sehen kann; bei dieser erinnere ich mich Ihrer manchmal sehr lebhaft; sie kann auch
etwa Ihr Alter haben. Ist das nicht sonderbar?


Mit der Herzogin Luise ist Luise von Brandenburg-Schwedt geb. 24.09.1750 in Stolzenberg gest. 21.12.1811 in Dessau, mit Heidek ist der uneheliche Sohn von Albert Friedrich von Anhalt-Dessau geb. 22.04.1750 gest. 31.10.1811 in Dessau Gustav Adolf Heideck geb. 25.04.1787 gest. 23.01.1856 Dessau gemeint.

Der Schreiber war der Oberhof-Garten Inspektor Johann Georg Gottlieb Schoch in Wörlitz (01.03.1757 (58?) Groß-Kühnau - 11.(15.) 07.1826 ), verheiratet mit Magarethe Luise Eyserbeck (9.5.1769 Luisium - 17.01. (02.?) 1841 Wörlitz.

Die Tochter ist Leopoldine Friderike Luise Schoch (22.11.1790 - 13.11.1824 Schloß Däzigen b. Stuttgart)

Mit freundlichem Sammlergruss

Ulf
 
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