Thema: Altdeutschland Thurn und Taxis: Belege
bayern klassisch Am: 04.09.2018 13:28:59 Gelesen: 95270# 167@  
Liebe Freunde,

mein ganzes Leben lang habe ich nach einem solchen Brief gesucht und bei einer jüngst stattgefundenen Auktion ist es mir gelungen, das gut beschriebene Objekt meiner Begierde für eine Monatsration Pizzas zu erwerben. Aber der Reihe nach.



Brief aus Erbach im Odenwald nach Schwanfeld bei Schweinfurt vom 7.8.1860 mit "Anhängend 1 vers(iegeltes) Paquetchen mit Mustern ohne Werth".

Die Entfernung von Erbach nach Schwanfeld (zwischen Schweinfurt und Würzburg gelegen) betrug 88 km, also ca. 12 Meilen. Der Brief mit seinem Muster lag also in der 2. Entfernungsstufe und 1. Gewichtsstufe im Postverein, wobei hier wegen des anhängenden Musters der Brief selbst unter einem Loth wiegen musste, Brief mit Muster aber zusammen nur 2 Loth schwer sein durften.

Taxis gab seinen Postexpeditoren vor, im Falle von Unterfrankaturen die Höhe der Nachtaxe mit den Versalien E.P. für Ergänzungs - Porto zu versehen, also z. B. "noch 12 Kreuzer E.P.". Diesen Brief hielt man aber nicht für unterfrankiert und brachte daher auch keinen diesbezüglichen Vermerk an.

Das sah man in Bayern aber anders. Prinzipiell war die Regelung des Portos bzw. Frankos im Postverein allein Aufgabe der Aufgabepost und brauchte die Abgabepost nicht zu berühren. Nur in den Fällen, in denen grob gegen die Richtlinien des DÖPV für die Aufgabepost verstoßen wurde, sollten die Abgabeposten ausnahmsweise diese Vorgabe weglassen und selbst die Nachtaxierung notierten. Hieraus war immer die Folge, dass die taxische Briefkarte von Bayern zu korrigieren war und Taxis auf Grund dieser bayerischen Korrektur eine Forderung gegen die Postkasse Bayerns eingeräumt wurde, da der zuwenig oder gar nicht taxierte Portobetrag in jedem Fall der Aufgabepost (Taxis) zuzukommen hatte.

Bayern hatte also mit jeder dieser eigenen Nachtaxen viel Arbeit, um am Ende das Geld vom Empfänger einzukassieren und vollständig an Taxis zu überweisen. Das mag der Grund gewesen sein, warum dergleichen Briefe denkbar selten sind - hier ist es mit Sicherheit der erste, den ich je gesehen habe und der sicher interpretierbar ist - ich kenne noch 2 andere, die diese Vermutung stützen könnten, aber nicht wirklich sicher so behandelt wurden.

Zurück zum Beleg: Bayern notierte mit blauer Tinte "reicht nicht" und notierte siegelseitig (so noch nie gesehen) 9 Kreuzer Nachporto, die der Empfänger in Schwanfeld (erst ab 1883 mit eigener Postexpedition) zu zahlen hatte.

Nun gibt es folgende Möglichkeiten, um die Berechtigung eines Nachportos zu erklären:

1. Der Brief selbst wog 1 Loth oder mehr und mit dem Muster zusammen bis 2 Loth. Dann hätte der Vorteil als Musterbrief nicht gegriffen und er wäre als Brief der 2. Gewichts- und Entfernungsstufe tatsächlich mit 9 Kreuzer nachzutaxieren gewesen.

2. Der Brief selbst wog unter 1 Loth, aber mit dem Muster über 2 bis 4 Loth. Dann hätte der Vorteil als Musterbrief noch immer gegriffen, aber weil er über 2 Loth gewogen hätte wäre er auch mit 9 Kreuzern nachtaxiert worden.

3. Das angehängte Muster wurde als solches nicht anerkannt, weil man ihm einen Wert zubilligte und der Brief war 1 bis unter 2 Loth schwer; dann wäre auch eine Nachtaxe zu 9 Kreuzern denkbar gewesen und für die Aufgabepost gab es keine Verpflichtung, den Terminus "... ohne Werth" abzuändern (weil das ein Teil der Adresse war und die Adresse bzw. Teile der Adresse von der Aufgabepost nicht korrigiert werden durfte).

Der heutige Brief wiegt 9 Gramm, aber es könnten sich tatsächlich Einlagen (Tratten usw.) einst darin befunden haben, die ihn damals schwerer machten, als 15,625g, das ist nicht völlig auszuschließen.

In jedem Fall ein "eye-catcher" und Oberknobler, wie ich finde und ich habe viel Freude mit diesem wunderbaren Stück.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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