Thema: Tschechoslowakei unter polnischer Verwaltung
Detlev0405 Am: 04.10.2018 14:34:23 Gelesen: 28808# 69@  
@ [#68]

Heute kann ich mit Freude das Ergebnis meiner Nachfrage beim Postmuseum in Prag veröffentlichen und damit auch Antworten auf meine aufgeworfenen Fragen geben. Wichtig dabei, es widerspiegelt den jetzigen Wissensstand und kann durch weitere Forschungsergebnisse durchaus noch Änderungen erfahren.


"Sehr geehrter Herr Roehn,

ich sende Ihnen ein Paar Worte zu Ihrer Frage.

1. Es handelt sich nicht um Studenec, sondern um Studénka - bis heute existierte Stadt in Mährenb. Das auf der Karte gedruckte Wort "Studénce" ist Ablativ, Nominativ ist Studénka.
 
2. Aus der Notiz auf der anderen Seite der Karte geht hervor, dass es sich um dringende Bestellung von Material handelt. Von der Unterschrift des Kunden (die durchgestrichen ist) ist nur das einzige Wort „Skøeczoni“ geblieben, was wiederum Ablativ ist - Nominativ lautat Skøeèoò (Skretschon auf Deutsch, auf Polnisch Skrzeczoñ), damals Dorf in der Nähe von Bohumín, jetzt Stadtteil von Bohumín. Nach dem ersten Weltkrieg kam Unsicherheit, zu welchem Staat Skøeèoò nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarn fällt; 1920 wurde beschlossen, dass Skøeèoò fällt der Tschechoslowakei.
 
3. Ihre Frage:

Die Altösterreichische Briefmarken, d.h. Briefmarken des cisleithanischen Teiles der ehemaligen österreichisch-ungarische Monarchie, die am 1. Oktober 1916 ausgestellt wurden,  waren in der Tschechoslowakei gültig  bis 1. März 1919 gleichzeitig mit den ersten tschechoslowakischen Briefmarken („Hradschin“). Hradschin wurden schrittweise ab dem 18. Dezember 1918 ins Betrieb gegeben.  Erst im Februar 1919 war es möglich, die ausreichende Menge von diesen Briefmarken an alle Postämter zu liefern. Am 1. März 1919 endete die Gültigkeit von Altösterreichischen Briefmarken in der Tschechoslowakei - Verordnung des Ministeriums für Post und Telegraphen in Prag Nr. 3426-VI-29 vom 8. Februar 1919. Das bedeutet, dass die altösterreichische und ungarische Briefmarken  mit Überdruck wurden in Tschechoslowakei ungültig.

Der Vollständigkeit halber stelle ich fest, dass aufgrund fehlender Briefmarken von November 1918 bis Ende Februar 1919 (manchmal sogar noch später!) halfen sich einige Postämter in einer Art und Weise, dass sie  verschiedenen Überdrucke benutzen: T, P, PORTO, DOPLATIT (=Nachgebühr), FRANCO, D u.s.w. Diese Überdrücke veränderten Nachgebührmarken (Portomarken),  Eilmarken und  Zeitungsmarken auf Freimarken. Die Überdrücke wurden – wie Sie erwähnt haben - waagerecht, senkrecht als auch diagonal aufgebracht.

Für Ganzstücke wurden österreichische Briefmarken mit dem Überdruck FRANCO verwendet. Die Postmeister halfen sich so in Abwesenheit der erforderlichen Marken, insbesondere nach der Entstehung neuer unabhängiger Staaten  nach dem Ersten Weltkrieg also auch im Gebiet Cieszyn. Sie verwenden eine Provisorien-Stempel PORTO oder FRANCO und mit diesen Stempeln regelten Die Postmeister die verbleibenden österreichischen Briefmarken je nach Bedarf (Porto oder umgekehrt zu bezahlen). Im Cieszyn Gebiet – wo der polnische Einfluss stark war – gab es Verwendung dieser Provisorien in Postämtern in Jablunkov, Tøinec, Bohumín und vielleicht auch zu anderen Postämtern. Der Mangel an neuen Briefmarken zeigte sich in Postämtern sogar nach der Veröffentlichung der ersten polnischen Briefmarken oder auch nach dem Widerruf der österreichischen Briefmarken. Interessant ist die Un- Einheitlichkeit in Posttarifen. Irgendwo verwendete man österreichischer Preis für eine Postkarte (10 Heller.) In anderen Ländern polnische Rate (15 Heller).

Zu diesem Zeitpunkt benutzten sich in schlesischen Bohumín gemischte Frankaturen -  polnisch-österreichische, österreichische oder polnische Frankaturen mit dem Überdruck PORTO und mit dem Nominal der Tschechoslowakischen Post. Ihre Karte, welche aus Bohumín (Oderberg, Bogumin 2)  am 21. 1. 1919 gesendet wurde (d. h. Gebiet unter polnischer Verwaltung)  hat österreichische Briefmarke mit dem Überdruck FRANCO und entspricht dem damals gültigen polnischen Tarif für Postkarte (15 Heller).

Was der FRANCO Stempel betrifft, es ist mir nicht bekannt, dass die Benutzung dieses Stempels durch eine zentrale Regelung  der tschechoslowakischen Postverwaltung von 1918 handeln solle.

…..

Mit freundlichen Grüssen

PhDr. Jitka Zamrzlová
kurátorka
odd. správa sbírkového fondu
zamrzlova.jitka@cpost.cz
+420 954 400 701
http://www.postovnimuzeum.cz "


Aus dem Beitrag von Frau Dr. Zamrzlova leite ich folgende Schlußfolgerungen ab:

zu 1) Offensichtlich haben die ausgelieferten Werte der Krakauer Aushilfsausgabe keinen der Postschalter in Oderberg bis zum 23.01.1919 erreicht und kommen somit in der Kurszeit niemals echt gestempelt vor von Oderberg.

zu 2) Es gibt keinen Nachweis über die Anordnung von Barfrankaturen bei Markenmangel.

zu 3) Die Verwendung des "Franco" Stempels qualifiziert die Marke als Freimarke und ist auf die Initiative der lokalen Postmeister zurückzuführen.

zu 4) Offensichtlich gab es keine postseitige Anweisung zur Duldung der noch umlaufenden Marken, es wurde einfach praktiziert in Ermangelung anderer Alternativen.

Nun kann der Beleg wieder beruhigt in die Kiste - seine Identität ist nun geklärt. Es ist ein Beleg mit tschechischen Wurzeln unter polnischer Verwaltung, heute würde man sagen doppelte Staatsbürgerschaft.

Ich kann nur jedem empfehlen, bei Fragen zur Geschichte von Marken oder Belegen der tschechischen Post sich vertrauensvoll an das Postmuseum zu wenden, Frau Dr. Zamrzlova wird sich immer bemühen, alle Fragen nach Möglichkeit zu beantworten.

Gruß
Detlev

[Beiträge [#1] bis [#69] aufgrund des Wunsches von Gabriele und Detlev redaktionell verschoben aus dem bisherigen Thema "Schlechte Belege erzählen nette Geschichten"]
 
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