Thema: Altdeutschland Bayern: Briefe erklären
bayern klassisch Am: 27.10.2018 08:56:36 Gelesen: 258571# 333@  
Liebe Freunde,

hätte man einem Menschen zu erklären, dass innerbayerische Briefe der Markenzeit das Einfachste Kapitel der bayerischen Postgeschichte darstellt, würde einem sicher geglaubt werden, benötigt man doch selbst kaum eine Viertelstunde, um die Höhe der Porti in der Zeit von 1849 bis 1875 auswendig zu erlernen und vlt. eine weitere Viertelstunde, um sie cerebral in einen plausiblen Zusammenhang zu stellen und damit komplett zu verinnerlichen.





Zeigte man dann aber einen simplen Brief, hier aus dem Jahr 1851, einem solchen Aspiranten der bayerischen Postgeschichte, wäre der wohl damit überfordert und fühlte sich womöglich sogar von einem wohlmeindenden Mentor veräppelt.

Sagte man, dass innerbayerische Portobriefe nur noch eine Taxe aufweisen können, sieht man hier deren 2.

Sagte man, dass seit 1844 kein Bestellkreuzer mehr zugelassen war, sieht man ihn hier doch noch (oder das, was man für ihn hält).

Sagte man, dass niemals mit Bleistift Taxen zu notieren waren, so sieht man hier doch eine.

Und doch ist alles so einfach.

Der Absender der am 27.10.1851 ausgefertigten Rechnung war die Firma Lorenz Hüttner, Empfänger war die Firma Caspar Göhl seelige Erben in Hindelang bei Kempten. Frankieren wollte man nicht, also zahlte der Empfänger drauf. Statt 6 Kreuzermarke also lieber 9 Kreuzer Porto - die aber in Nürnberg vergessen wurden, sonst hätte man sie in typisch blau-grauer Tinte vermerkt. Im Rahmen des Transports fiel dies auf und man notierte in schwarz links unten fast unleserlich eine korrekte 9.

Weil die in Art und Ausführung kaum zu erkennen war, wiederholte, wohl Sonthofen, man diese 9 mit Rötel, so dass sie nur schwer zu übersehen war. Da Hindelang ohne eigene Post war, der Empfänger aber mit der Postexpedition Sonthofen aber eine Vereinbarung hatte, Post für ihn einem konzessionierten Boten zu übergeben, notierte dieser zwischen den beiden Neunern seine 10 Kreuzer, denn die 9 hatte er in Sonthofen ausgelegt und wollte für seinen Lauf von ca. 4 Kilometern auch seinen Kreuzer notiert wissen.

Diese Doppeltaxierungen, wie ich sie nenne, kenne ich hin und wieder innerbayerisch und im Postverein, nicht ins Ausland. Sie waren einer Zeit geschuldet, die für viele Postler höchst verwirrend war, begrenzt sich also auf die Zeit von 1850 bis 1852, am ehesten noch 1851, dem mit weitem Abstand schwierigsten Jahr für bayerische Postbedienstete. Der eine traute dem anderen nicht und wollte unbedingt selbst ausrechnen, was ein Brief kostete und notierte dann auch voller Stolz "sein" Ermittlungsergebnis gerne auf dem Brief. Ich kenne sogar Briefe mit 3 (!!) identischen Taxen in den Postverein (aus Zweibrücken), wobei 2 identische Taxen selten sind, 3 aber schon große Raritäten darstellen.

Wohl dem, der solch ein paar kleine Schmuckstücke in seinen Sammlungen weiß.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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