Thema: Schweiz: Fälschungen erkennen: Der Rayon Brief mit Frankaturfälschung und Testat
Richard Am: 17.04.2019 09:08:23 Gelesen: 5822# 1@  
Schweiz: Fälschungen erkennen - Der Rayon Brief mit Frankaturfälschung und Testat

Von Fredy Brauchli, Kommission zum Schutz der Philatelie, Erstveröffentlichung in der Schweizer Briefmarken Zeitung (SBZ) Juli/August 2018.


Auf den ersten Blick handelt es sich beim Rayon-Brief, um ein attraktives Stück. Ein Attest bestätigt, dass der Brief echt, die Marke sehr farbfrisch, sauber und allseitig weissrandig sowie fehlerfrei und nicht repariert sei. Ausserdem wird der Stabstempel als AW 92 der Gruppe 30B-92 von Bollingen SG und die Entwertung mit dem P.P. Stempel AW 243 (St. Galler PP) der Gruppe 12A explizit erwähnt. Also alles bestens. Oder vielleicht doch nicht?



Nun, der Faltbrief war mit einer Rayon III, also 15 Rappen, frankiert, was für einen Brief der ersten Gewichtsstufe und für eine Wegstrecke von 25-40 Wegstunden ausreichte. Entwertet war die Marke mit einem PP-Stempel (Port payé). Dann fiel jedoch noch eine Rötel-Taxierung von 5 Rappen auf, deren Existenz spätestens zu näherer, kritischer Betrachtung führen musste. Und da war dann schon die zweite offensichtliche Unstimmigkeit: Die Marke war nicht mit einem St. Galler PP entwertet, was bei einem Brief aus Bollingen SG logisch gewesen wäre, sondern mit einem solchen, ähnlich AW 234 aus Oberrieden oder Kreuzlingen.



Also wirklich Bollingen SG? Welchen Postweg hatte der Brief eigentlich, dass die 15 Rappen Porto nicht ausreichten? Die Destination war sehr leserlich geschrieben, nur dass ein Doppel-S Schriftzeichen verwendet wurde. Deshalb hiess der Bestimmungsort nicht wie im Auktionskatalog erwähnt «Schofshalden» sondern «Schosshalden». Adressat des Briefes war Herr Abraham Hänni, Präsident des Kreisgesangvereins Bern in den Schosshalden (einem Stadtquartier von Bern). Der Stabstempel «Bollingen» erwies sich bei genauerer Betrachtung als AW 3211 oder mit neuer Bezeichnung AW Nr. 93 der Stempelgruppe 30B.



Denn von 1851-1867 entsprach die Schreibweise der Vorortsgemeinde Bolligen noch nicht einheitlich der heutigen Usanz. Damals wurde der Ortsname auch «Bollingen» geschrieben (Quelle: Geographisch-statistisches Lexikon, Leipzig 1847). Somit klärte sich einiges auf: Es handelte sich um einen unfrankierten Brief im 1. Briefkreis (bis 2 Wegstunden) von Bolligen nach dem etwa 4 km entfernten Bern, für den der Empfänger die fehlenden 5 Rappen Porto zu bezahlen hatte (entsprechend dem Rötelvermerk). Somit konnte die Rayon III-Marke mit ihrer nicht übergehenden Entwertung eindeutig nur nachträglich aufgeklebt worden sein – also eine Frankaturfälschung.

Aufgrund dieser Überlegungen wurde der Brief Herrn Urs Hermann zur Prüfung vorgelegt. Er bestätigte die Vermutungen: Nachträglich montierte, jedoch rückseitig fehlerhafte aber schön wirkende Marke. Das Los konnte noch vor einem Verkauf zurückgenommen werden.

Zurück blieb ein dickes Fragezeichen: Wie konnte ein anderer Prüfer im Jahr 2016 ein derart falsches Attest ausstellen, das den unkritischen Philatelisten in trügerische Sicherheit hätte führen können?


Mit freundlicher Genehmigung des Autors Fredy Brauchli von der Kommission zum Schutz der Philatelie und Hans Schwarz, Chefredakteur der SBZ Schweizer Briefmarken Zeitung.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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