Thema: Handrollstempel, ungewöhnliche und seltene Beispiele
filunski Am: 07.05.2019 15:11:55 Gelesen: 449215# 24@  
@ Tuffi [#23]

Lieber Walter,

dachte ich mir schon, dass dir das Thema gefällt! ;-)

Bin auch ganz angenehm überrascht, was für eine positive Resonanz bis jetzt darauf entstand. Vielleicht rückt das "Stiefkind" HRSt ja doch noch ein wenig ins Rampenlicht.

So, jetzt aber mal ein wenig zur Historie der HRSt, soweit man dazu überhaupt etwas findet oder sicher sagen kann. In den Akten der Reichspost hat ja Tuffi früher schon nichts dazu gefunden.

Ziemlich gesichert erscheint jedoch aus zwei mir bekannten Quellen [1], [2], dass es 1923 in Pforzheim einen Postbediensteten namens Breusch gab. Einmal wird er als Postbetriebsassistent, ein anderes Mal als Postschaffner betitelt, aber das ist wohl nicht entscheidend. In Pforzheim gab es damals schon eine florierende Schmuckindustrie und ein hohes Aufkommen an Päckchen und Wertsendungen mit denen die Schmuckerzeugnisse versandt wurden. Diese verlangten eine Entwertung/Dokumentation mit einem lesbaren Tagesstempel. Bei Päckchen und ähnlichen Poststücken mit oft weicher, nachgebender Oberfläche recht schwierig oder gar unmöglich. So ersann dieser Herr Breusch das System des HRSt der sich dank seiner Konstruktion mit einer gekrümmten umlaufenden Walze beim Abrollen auch unebenen Oberflächen anpasst und leserliche Stempelabdrücke hinterlässt. Dieses System setzte sich sofort durch und entsprechende Stempelgeräte wurden beschafft.

Aus dem Archiv des Ehrenvorsitzenden der Poststempelgilde, Helmut Oeleker, kann ich hierzu auch ein paar Bildbeispiele zeigen.

Hier das Schema des von Breusch ersonnenen Stempels:



Und so sah es dann auf einem Poststück aus:



So weit zu der Erfindung des Herrn Breusch aus Pforzheim. Aber war er wirklich der Erste, der dieses Gerät "erfunden" hatte?

Es gab da nämlich schon Jahre vorher, im Jahre 1903 beim Postamt Nürnberg 2 einen "Rollstempel". Hier wieder aus dem Archiv Oeleker ein Brief:



Hier der Stempel im Detail:



Erwähnt wird er in der Literatur bei Helbig [3], dieser bezeichnet ihn (fälschlicherweise) als ersten "Maschinenstempel" Bayerns. Richtig aufgeführt wird er von Quast [4] als Versuchs-Handrollstempel der nur an wenigen Tagen eingesetzt wurde.

Den auf einem Brief zu finden, so wie oben abgebildet oder auch nur als erkennbares Fragment auf Marken wäre ein echtes "Sahnestückchen". Also haltet mal die Augen auf! ;-)

Damit erst mal genug von meiner Seite zur Historie.

Viele Grüße,
Peter

[1] Die Postgeschichte von Pforzheim, Band II, Eigenverlag Briefmarkensammlerverein Pforzheim, 1985
[2] "Sammler-Woche" 11/1926
[3] Joachim Helbig, Handbuch der bayerischen Ortsstempel 1876-1920, Ke-O, München Selbstverlag 1986
[4] Wilhelm Quast, Die Post in Nürnberg, 1615 - Kriegsende 1945, Nürnberg Eigenverlag 1991
 
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