Thema: Theresienstadt: Probedrucke und Fälschungen
umdhlebe Am: 02.08.2019 11:01:59 Gelesen: 7028# 6@  
@ umdhlebe [#5]

Diese Geschichte hat ein weiteres spannendes Kapitel, das lehrreich auch hinsichtlich des Nutzens vor allem älterer philatelistischer Literatur ist.

Auf meine Meldung an Cherrystone erhielt ich zunächst die Nachricht, dass es sich um einen "seltenen Spezialdruck" handele, von dem man schon mehrere verkauft habe. Meine Rückfrage war, wann und wo dieser Block gedruckt wurde, und was eigentlich in dem Zertifikat von Gilbert stehe. Daraufhin sandte man mir einen Scan des Zertifikats zu, das mittlerweile auch auf der Auktions-Webseite eingestellt wurde, und eine Abbildung aus dem Werk von Frantisek Benes und Patricia Tosnerova "Mail Service in the Ghetto Terezin 1941-1945" (Prag 1996).



Weitere inhaltliche Auskünfte gab es nicht. Wer nun im genannten Buch ab Seite 240 den deutschen oder englischen Text liest (es gibt auch tschechischen Text, aber dieses Sprache beherrsche ich nicht), erfährt eine sagenhafte Geschichte:

Die Zulassungsmarken wurden auf 5x5-Bögen in der Banknoten-Druckerei für das Protektorat Böhmen und Mähren in Prag gedruckt, auf gummiertem Papier, Linienzähnung 10 1/2. Der Monatsbericht vom 15. Juni 1943 berichtet von der Aufnahme des Druckprozesses und der Bericht vom 15. Juli 1943 berichtet vom Abschluss. In der Druckerei gab es 1996 zwei ungezähnte Druckbögen, einer mit "Specimen"-Durchstichen, einer mit einer Bleistift-Unterschrift und dem Datum 12/6, vermutlich vom damaligen Direktor Valina. Vermutlich wurden Probedrucke angefertigt und gezähnt, in grüner und schwarzer Farbe.

Die Druckplatte wurde 1975 jedoch nur lädiert vorgefunden: An den oberen Ecken sind jeweils Viererblocks ausgeschnitten, von denen man aber nur einen vorfand. Die Kanten des Viererblocks und die Druckplatte sind abgefeilt, wobei 7 Markenbilder der Druckplatte beschädigt wurden. Der zweite Viererblock ist vermutlich 1944 "verschollen", aber der Stecher Jindra Schmidt hat zu Protokoll gegeben, zuvor in der Markenzeichnung eingegriffen zu haben, und zwar im Bild des Hauses. An wen der zweite Viererblock übergeben wurde, ist nicht geklärt.

Die sogenannten "Souvenirblocks" (mir scheint die Bezeichnung "Propagandablock" von Diether A. Bahner angemessener) können demfolglich nur von deḿ unbeschädigten, vorgefundenen Viererblock erstellt worden sein. Wohlgemerkt: das waren keine Marken, die Blöcke nicht gummiert, nicht gezähnt und dreiziffrig nummeriert.

Nun tauchten um 1975 aber auch zwei "Studiensammlungen" auf, und zwar vom Prüfer Gilbert und eben jenem Stecher Jindra Schmidt, der zur fraglichen Zeit in der Druckerei beschäftigt war. Und darin befanden sich weitere "Probedrucke" von den Viererblocks mit allerlei Besonderheiten: ungezähnt, oder (wie abgebildet) mit Kastenzähnung und gummiert. Auch ein "Probedruck" mit Bleistift-Unterschrift und Datum 24/6 wie beim in der Druckerei erhalten gebliebenen Probedruck.

Gilbert und Schmidt haben diese Materialien als zeitgenössisch und echt beschrieben, Gilbert hat sie höchstselbst zertifiziert (wie praktisch...), aber die offiziell protokollierte Bestandsaufnahme dieser Vorgänge stammt vom 13. August 1975, also mit dreißig Jahren Verspätung. Viele (angeblich) Beteiligte konnten nicht ausfindig gemacht werden.

Offenkundig ist, dass der Druck der Zulassungsmarken ab dem 12. Juni 1943 erfolgen konnte, und - wenn die Unterschrift auf dem Viererblock-"Probedruck" echt ist - am 24. Juni 1943 beendet gewesen sein muss, weil die Druckplatte bereits zerschnitten war.

Dem kritischen Philatelisten stellt sich nun die Frage, warum von dem Viererblock weitere "Probedrucke" erstellt worden sein sollen, wenn doch die offzielle Absicht vor allem darin bestand, eine Verwendung als Zulassungsmarken zu verhindern. Noch sonderbarer erscheint vor diesem Hintergrund, dass man eine Gummierung und Kastenzähnung autorisiert haben sollte (und zugleich die sorgfältige Durchnummerierung der Viererblöcke unterlassen hat). Wahrscheinlicher ist da doch wohl, dass die Viererblocks nach ihrer Verwendung für die Propagandablocks zur Erzeugung von Fälschungen zum Schaden der Sammler*innen missbraucht worden sind.

Dafür spricht vor allem "Theresienstadt - Eine philatelsitische Studie" von Theodor Möbs aus dem Jahre 1965. Möbs war nämlich einer der ganz wenigen Philatelisten, die bereits 1944 von den Zulassungsmarken - die nur im Protektorat verwendet wurden und ja keine Postwertzeichen, sondern eher Zusatzgebühren-Coupons darstellten - Wind bekommen hatten. Möbs hat sorgfältig recherchiert und sogar Händler von gefälschtem Material bei Interpol zur Anzeige gebracht. Nun weiß eben dieser Möbs aber bis 1965 von irgendwelchen "Probedrucken" rein gar nichts. Offenbar kursierten sie nicht, sondern nur jene hinlänglich bekannten Fälschungen, die durch Fotoreproduktionen von den Propagandablocks erstellt wurden und sich durch anderes Papier und schlechte Zeichnungen erkennen lassen. Auch Diether A. Bahner äußert sich 1981 in "Theresienstadt - Paketpost, Propagandablock-Ausgabe" (Mutterstadt, broschur) so, dass alles, was nicht von den 5x5er-Platten gedruckt wurde, als Fälschung zu behandeln ist.

Wer die Absicht und den Verwendungszweck der Zulassungsmarken und Propagandablocks politisch-historisch und den Herstellungsprozess philatelistisch durchdenkt, kann meiner Ansicht nach nur zu einer Zustimmung zum Befund von Möbs und Bahner gelangen. Die im Michel verzeichneten schwarzen und hellgrünen Probedrucke erfolgten von der 5x5er-Platten und müssen daher vor dem Zerschneiden erstellt worden sein. Sie könnten daher offiziellen Charakter haben (was nicht gesichert ist), sind aber in jedem Falle zeitgenössisch. Alle Viererblock-Materialien wurden irgendwann zwischen 1943 und 1975 hergestellt, und eine sinnvolle Begründung für eine offizielle Autorisierung ist nicht erkennbar.

Oder missverstehe ich da was?

Cherrystone hat sich nicht mehr gemeldet und setzt der Verkauf des "Spezialdrucks" offenkundig fort. Ist ja immerhin in einem Buch abgebildet und die Leute zahlen dafür.

Gruß,
umdhlebe
 
Quelle: www.philaseiten.de
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