Thema: Deutsches Reich 909/910 SA/SS: Michel streicht die Briefnotierungen
umdhlebe Am: 25.01.2020 12:50:23 Gelesen: 134415# 252@  
@ hajo22 [#245]

Ich weiß das, weil ich mich als Historiker damit beschäftigt habe.

Die Mitnahme von Vorlagekartons aus der Staatsdruckerei in Wien war bis zur endgültigen Eroberung der Stadt am 15. April 1945 auch nach deutschem Recht strengstens untersagt, und hinterher durch die Rechtsfolgen der Kapitulation ebenfalls.

Ab dem 13. April 1945 hatte die sowjetische Armee die Stadt weitestgehend unter Kontrolle, und am 27. April proklamierte Karl Renner die Wiedererrichtung der Republik Österreich, womit auch deren Rechsgrundsätze wieder eingeführt wurden. Zwischenzeitlich galt sowjetisches Kriegsrecht, das jede Form der Mitnahme untersagte (dokumentiert in den einschlägigen lokalen Proklamationen der Siegermacht). Am 4. und 9. Juli wurden die Abkommen zur Alliierten Kontrolle festgelegt, die bis 1955 galten. Somit gab es keinen einzelnen Tag, an dem die Mitnahme der Vorlagekartons aus der Staatsdruckertei Wiens legal gewesen wäre.

Wer Zweifel an diesen Behauptungen hat, kann gerne in den einschlägigen Publikationen von Manfred Rauchensteiner, Anna Elisabeth Rosmus, Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx und anderen nachlesen, oder sich in der Dauerausstellung "Republik und Diktatur" im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien informieren.

Philatelistisch heißt dies, dass es sich bei den Probedrucken Michel-Nr. X-IX um Makulatur handelt. Wie heißt es dazu so schön im Lexikon der Philatelie: Gestohlene Makulatur wird mitunter als 'seltene Abart' in den Handel gebracht, kann hin und wieder auch bei der Revision durchschlüpfen. (Gallert und Gruschke, Lexikon der Philatelie, 4. Auflage, S. 271)

Historische Erkenntnisse ergeben sich aus der methodologisch korrekten Auswertung aller vorhandenen historischen Materialien, so wie sie zum gegenwärtigen Stand der geschichtswissenschaftlichen Forschung bekannt sind. Augenzeugenberichte gehören zu den unzuverlässigsten historischen Quellen, die es gibt, weil jede Erinnerung in der Gegenwart erfolgt und die Vergangenheit verzerrt (siehe z.B. Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, Stuttgart 2005). Zeitgenössische Dokumente, wie z.B. Rechtsvorschriften und Erlasse, Protokolle, Fotos etc. sind wesentlich wichtigere Grundlagen historischer Erkenntnis.

Im vorliegenden Fall ist die Plünderung der Wiener Staatsdruckerei ein historischer Fakt, weil lückenlos nachgewiesen werden kann, das es keinen Zeitpunkt gab, an dem die Mitnahme der Druckkartons erlaubt gewesen wäre. Daran könnte kein Augenzeugenbericht etwas ändern.

Solange niemand Belege vorweisen kann, die feststellen, dass in Wien ein Augenblick bestanden hat, in dem die Mitnahme von Druckkartons aus der Staatsdruckerei legal gewesen ist, handelt es sich um bei der Feststellung, dass Michel-Nr. X-XI illegale Makulaturware sind, die nach hohen Standards der Philatelie kein philatistisches Material darstellen, um einen wissenschaftlichen Fakt. Das es sich dabei um "morbide Machwerke" handelt, die mit einem "FALSCH"-Stempel versehen werden sollten, kennzeichne ich hiermit als meine persönliche Meinung.

Meine Meinung muss niemand teilen, und dass es Leute gibt, die niedrigere philatelistische Standards bevorzugen ist bekannt und ebenfalls erlaubt - das ändert allerdings an den wissenschaftlichen Fakten nichts.
 
Quelle: www.philaseiten.de
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