Thema: Deutsches Reich 909/910 SA/SS: Michel streicht die Briefnotierungen
umdhlebe Am: 25.01.2020 17:01:19 Gelesen: 134507# 254@  
@ Pete [#223]

Zur Vervollständigung Deiner Liste: Amtsblatt Nr. 21 erschien am 03.04.1945 (KW 14).

@ filunski [#253]

Hierzu sei auch noch einmal auf die sehr wichtigen Beiträge [#215] und [#223] von Pete hingewiesen, zu denen ich folgendes ergänzen möchte:

Im Amtsblatt 10 des Reichspostministeriums vom 30. Januar 1945 heißt es auf Seite 31: "Die Marken [gemeint sind Mi-Nr. 908-910 und X-XI] werden nach Eingang bei den Postämtern der Gruppen A bis F bis zum 15. März abgegeben, an die Dauerbezieher jedoch erst, nachdem sämtliche 5 Sorten vorliegen." Diese Marken lagen also am 30. Januar 1945 in Berlin nicht alle vor.

Bereits im Mai 1944 (!) hatte das Postministerium zweimal (am 9.5. in einem Schreiben an Keitel, und am 18.5. an Bormann) festgestellt, dass ein Zusammenbruch der Postversorgung drohe, wenn kein neues Personal bereit gestellt würde (siehe Bundesarchiv Berlin/Dahlwitz-Hoppegarten, Reichpostministerium 48/1 und 48/57). Die Situation verbesserte sich punktuell und vorübergehend durch aus den befreiten Gebieten abgezogene Postkräfte, aber nicht grundsätzlich. Das heißt, ab diesem Zeitpunkt muss damit gerechnet werden, dass amtliche Ankündigungen und Anweisungen nicht mehr vollständig umgesetzt werden konnten. Ab September 1944 wurden Teilräumungen von Postdiensstellen in die Wege geleitet und umgesetzt (zuerst im Raum Aachen).

Für die letzten Kriegsmonate ist wichtig zu wissen, dass die Post nicht zum Aufgabenbereich der Reichsverteidigungskommissare gehörte, was bedeutet, dass für ihre Aufgaben keine Transportmöglichkeiten zur Verfügung gestellt wurden, die zur Reichsverteidigung eingeteilt waren. Innerhalb der Post hatte die Aufrechterhaltung der Telefonkommunikation und "der wichtigsten Verbindungen von Wehrmacht, Partei, Rüstungsindustrie und Behörden" (Reichspostminister Ohnesorge am 22.12.1944 an Bormann, zitiert nach Ueberschär, Die Deutsche Reichspost 1939-1945, Band 2, S 283) oberste Priorität, und nicht die Versorgung von Dienststellen mit angekündigten Neuausgaben. Viele Fachkräfte der Post wurden an die Fernmeldebautrupps der Wehrmacht abgetreten, die Leitungen reparierten.

Nach vorübergehender Beschränkung des Briefverkehrs auf die Personen des "Katalogs der berechtigten Postbenutzer", den Ortsbriefverkehr, Feldpost und Postkarten, wurde er ab dem 26. Januar 1945 "versuchsweise" wieder allgemein für Briefsendungen bis 20 g zugelassen. Der Weiterbetrieb der Dienststellen bis zum letzten Atemzug aus Propagandagründen war angeordnet, vor allem um der Bevölkerung den Eindruck einer noch funktionierenden Reichsverwaltung zu vermitteln. Das änderte sich spätestens am 19. März 1945 mit dem Fernschreiben "Zerstörungsmaßnahmen im Reichgebiet" von Adolf Hitler, der als Nerobefehl bekannt wurde und forderte, dass "militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes" zerstört werden (zitiert nach Hubatsch, Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939-1945).

Anfang April 1945 findet sich eine verwirrende Weisungslage vor. Am 3. April 1945 verfügt das Amtsblatt des Reichspostministeriums Nr. 21, dass die Dienststellen den Briefverkehr auch bei Störungen sicherstellen und die Sendungen auch anderen Verwaltungen und Fuhrunternehmen (!) mitgeben sollten (aber was fuhr im April 1945 schon noch?). Konterkariert wurde dies am 8. April 1945, als Bormann in der Parteiverlautbarung Nr. 3235 forderte, sogar die Fernmeldekräfte der Reichpost zum Volkssturm heranzuziehen (vgl. Ueberschär a.a.O. S. 286). Das heißt, der "Sekretär des Führers", der sich in dessen Umgebung aufhielt, verfügte sogar den Abzug der funktional wichtigsten Postbediensteten zum Volkssturm, was kongruent zum Nerobefehl ist, und im Sinne der nationalsozialistischen Machtstruktur die anderslautende Verfügung des Reichspostministeriums aufhob.

Wenn also am 9. April 1945 quasi die personelle Auflösung der Postdienststellen zugunsten des Volkssturms verfügt und am 15. April Wien endgültig von der Roten Armee eingenommen wurde, ist die Behauptung, dass am 21. April 1945 Mi-Nr. 909 und 910 "verausgabt" worden seien, sehr gewagt. Nach meinem Dafürhalten kann eine Auslieferung der Marken ausgeschlossen werden, beweisen kann ich es nicht. Aber solange keine einzige Verwendung von Mi-Nr. 909 und 910 nachgewiesen ist, halte ich an meiner Überzeugung fest. Bisher sind aufgetauchte Belege nachweislich gefälscht (s.o.).

Dass Mi-Nr. 908 im Februar als letzte Ausgabe noch an die Postämter geliefert wurde, ist hingegen extrem wahrscheinlich. Solange kein geprüfter Beleg mit einer Marke aus Mi-Nr. 909 ff. vorgelegt werden kann, sollte Mi-Nr. 908 als letzte ordnungsgemäß verausgabte Marke des Deutschen Reiches gelten.

Abschließend bitte ich den Blick einmal auf die "geprüften" Vorlagekartons Mi-Nr. X und XI von filunski in [#253] zu richten, und sie mit diesem Vorlagekarton der Mi-Nr. 897 zu vergleichen, der nach Angaben des Auktionshauses Gärtner von Andreas Schlegel im April 2018 geprüft wurde (siehe Los-Nr. 14747 der Aktion Nr. 46):



Wenn ich das richtig erkenne, ist das Hoheitszeichen bei Mi-Nr. 897 erhaben und vorstehend (so auch bei allen anderen Vorlagekartons), während es bei Mi-Nr. X und XI eingepresst oder eingestanzt, nicht sorgfältig, mit zerfransten Rändern erscheint. Oder täusche ich mich da optisch?

umdhlebe
 
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