Thema: Deutsches Reich 909/910 SA/SS: Michel streicht die Briefnotierungen
umdhlebe Am: 26.01.2020 12:49:57 Gelesen: 134231# 261@  
@ hajo22 [#260]

ich habe keine Dokumente und kann nichts belegen ... Die Aussage von Herrn Jakubek halte ich für glaubwürdig.

Auch ich halte Wolfgang Jakubek für glaubwürdig. Allerdings muss man zwei Fragen an diese Information stellen:

1. Hat diese Aussage mögliche logische Schwachstellen?

2. Hatten die Aussagenden (Amberger, Spielhagen, Brückner) womöglich Gründe für unwahre Behauptungen?

ad 1) Neben den fehlenden Nachweisen hat die Aussage die Schwachstelle hinsichtlich der Frage, wie die Marken im April 1945 aus der Staatsdruckerei Wien nach Berlin gekommen sein sollen. Wien war seit dem 6. April in die Kämpfe der Roten Armee verwickelt, am 13. April weitestgehend und am 15. April vollständig erobert. Reichspostminister Ohnesorg hat sich am 7. April 1945 aus Berlin Richtung Bayern, und dann Richtung Salzburger Land abgesetzt. Ab dem 9. April hatte die Reichspost keine Ressourcen an Personal und Material mehr zur Verfügung (siehe Parteiverlautbarung Nr. 3235 [#254]). An genau diesem 9. April wurde die Reichspost von Staatssekretär Nagel in zwei Teile aufgeteilt: den Arbeitsstab Süd in Kelheim bei Regensburg, und den Arbeitsstab Nord, der zunächst in Berlin-Wannsee und dann nach Bargteheide verlegt wurde. Die Verlegung nach Schleswig-Holstein erfolgte am 23. April 1945, der Arbeitsstab Süd wurde (soweit erkennbar) nie verwirklicht, weil Ohnesorg bereits weiter geflohen war (er wurde am 11. Mai 1945 verhaftet).

Wenn es also Mitte April 1945 nicht mehr gelang, wichtige Teile der Reichsverwaltung nach Bayern zu verlegen, wie soll es dann gelungen sein, Marken aus dem bereits sowjetisch besetzten Wien nach Berlin zu schaffen? Und warum nur kleine Mengen für einzelne Händler, und keine großen Mengen für den Verkauf - wo es doch Propagandamotive waren?

ad 2) Briefmarkenhändler hatten nach der Befreiung vom Nationalsozialismus einen guten Grund, zu behaupten, sie seien noch vor dem 8. Mai 1945 durch Verantwortliche des Deutschen Reichs in den Besitz der postfrischen Marken gekommen, weil sie sonst der Hehlerei beschuldigt werden konnten. Man sollte nicht vergessen, dass jede Eigenmächtigkeit der besiegten Deutschen nach der Befreiung drastische Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Sogar eine koordinierte Falschaussage ist unter diesen Umständen nicht unwahrscheinlich. Auch in späteren Nachkriegsjahren waren Händler natürlich interessiert, die Marken als "verausgabt" und regulär zu deklarieren, und nicht als Makulaturware.

Solange es keinen Beleg auf Seiten der Reichspost für einen Transport der Marken von Wien nach Berlin gibt, halte ich diese Informationen für unglaubwürdig.

gruß,
umdhlebe
 
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