Thema: Deutsches Reich 909/910 SA/SS: Michel streicht die Briefnotierungen
DL8AAM Am: 27.01.2020 15:08:41 Gelesen: 133645# 274@  
@ BochumerJunge [#270]

Ob ein Mitarbeiter in der Reichsdruckerei Wien die Vorlagekartons nun geplündert oder ganz einfach gestohlen hat dürfte eigentlich egal sein. Es ist einfach Diebesgut das illegal in den Handel gekommen ist.

Vollkommen unstrittig. Nur müssen wir bedenken, dass der größte Teil "dieser Dinge" (vollkommen losgelöst von dem hier diskutierten Vorgang), die uns erhalten geblieben sind, nur deshalb erhalten blieben, weil sie jemand "ohne Genehmigung mitgenommen" hat (andere nennen das "Rettung"), ob das einen finanziellen Hintergrund hat, oder wirklich "Rettung" das Motiv darstellt, ist hier eigentlich komplett egal. Und das ist nicht nur in der Philatelie oder anderen "Hobbymärkten" so. Auch Historiker greifen (müssen) oftmals auf Informationen, Dinge oder Artefakte zurück, die nicht komplett "legal" entstanden oder die regulär in die "interessierte" Öffentlichkeit gelangt sind. Und je mehr Jahrtausende zwischen der "Plünderung" aus einem babylonischen Palast vergangen sind, desto "wichtiger" sind diese Reste für uns und desto weniger schlechtes Gewissen. Providienzforschung über 5000 Jahre fordert selbst der politisch noch so korrekteste Kulturbeauftragte (noch) nicht. Deshalb hier das hohe Lied der reinen Lehre der Philatelie zu singen, ist deshalb gelinde gesagt doch etwas "verstörend" ([#252] "Leute ... die niedrigere philatelistische Standards bevorzugen"). Vielmehr hat mal ein bekannter Philatelist so schön passend erklärt, dass wir heute viele Produktionstechniken und Verfahren (nur) deshalb beschreiben und belegen können, weil eben Makulatur und ja, auch "Diebesgut", für die Nachwelt gesichert wurden, warum auch immer. Selbst wenn ich mir große internationale philatelistische Ausstellungen anschaue, sieht man dort in den absolutgen Topsammlungen häufig solche "Dinge" (aber auch nicht nur Entwürfe, Probeabzüge oder sonstige Druckereierzeugnisse, Druckplatten etc.), wo die Legalität des "Weges" in die philatelistische Hobbywelt nicht immer 100%ig legal abgesichert sein dürfte (...). Wenn die betreffenden Dinge "eine Woche alt sind", könnte man eine staatsanwaltschafte Nachfrage "erwarten" (zu recht), bei 150 Jahre alten Dingen, sagen aber alle "Whow!" (zu recht).

Bei den o.g. "Ungeschnittenen" dürfte es sich aber nicht um Makulatur handeln, sondern um Unfertiges, um "gute" Zwischenprodukte, die vor der Beendigung des ursprünglich vorgesehenen Produktionsprozesses (warum auch immer) "liegengeblieben" sind oder gezielt "rausgezogen" (aka gestohlen) wurden. Keine makulatur. Makulatur ist per Definition im Druckwesen, Zitat "beim Druck schadhaft gewordene oder fehlerhafte Bogen" [1], das heisst z.B. "Verschnitt" ist Makulatur, aber korrekt gedruckte Zwischenprodukte sind erst einmal keine Makulatur. Falls nach dem Zähnungsprozess Teile des fertigen Endsproduktes irrtümlich ungezähnt geblieben sind und deshalb ausgesondert werden, (erst) dann ist das Makulatur. Die Betonung bei Makulatur liegt auf dem Wort "schadhaft". Falls natürlich irrtümlich ungezähnt gebliebene Bögen, irrtümlich an die Schalter kommen und dort irrtümlich durch unaufmerksames Personal an den Endkunden verkauft wurden, muss man hier eigentlich auch von irrtümlich (legal-) verkaufter Makulatur sprechen. Und? Bei bestimmt 50% unserer philatelistischen Schätze handelt es eigentlich um Makulatur (z.B. "Fehlfarben" etc.). Und?

Nur am Rande, meine Hobbykollegen der amerikanischen MSS, die sich mit moderner Philatelie, hier insbesondere mit metered stamps, beschäftigen, nennen das übrigens dumpster diving und die haben das Plündern von Papierkörben in Postämtern, vor Postfächer und in ATM-Automatenbereichen zur Kunstform erhoben, obwohl es eigentlich auch nicht wirklich legal ist, so wie mein Durchwühlen von blauen Altpapiertonnen. Bespielsweise, fast alle Fehl- und Testdrucke der SSK (Self Service Kiosks) Geräte, die man in Spezialsammlungen auf Ausstellungen sieht, stammen aus "Entnahmen" aus den nebenstehenden Papierkörben, sei es durch den Sammler selbst oder durch irreguläres Tun von befreundeten Mitarbeitern. Und? Ohne diese (im Prinzip irregulären) "Rettungsaktionen" wäre sehr philatelistisches (auch technisches) Basiswissen und Belegmaterial verloren, gerade heutzutage, da diese "Prozesse" von den Posten ja nicht mehr dokumentiert bzw. veröffentlicht werden.

Gruß
Thomas
 
Quelle: www.philaseiten.de
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