Thema: Portobestimmung von Belegen: Altdeutschland Bayern - Schweiz
bayern klassisch Am: 29.03.2020 11:48:42 Gelesen: 27697# 68@  
Liebe Freunde,

den folgenden Brief konnte ich - leider! - nicht für 1 BP$ (Bernatzscher Pizza Dollar) irgendwo in der Bucht grabschen, sondern musste ihn auf einer Schweizer Auktion heimholen, aber seis drum, man lebt nur ein Mal und ich musste ihn unbedingt haben.







Verfasst wurde er am 15.4.1863 in München auf Briefpapier der Firma Bath von Jacob Pfeiffer und gerichtet war er an den allseits bekannten Strohfabrikanten Isler in Wohlen im Aargau. Text (eignet sich auch für diejenigen, die die deutsche Kurrentschrift nicht gut lesen können als Übungs- und Anschauungsmaterial):

"Indem mir Ihr w(erthes) Haus noch aus früherer Zeit bekannt ist, wo ich in Kempten etablirt, mit Ihnen in Stroh - Waaren mehrere Jahre hintereinander verkehrte, dasselbe aber wegen Kränklichkeit meiner Frau aufgab, um dafür eine Kunstmühle angetretten habe, welche ich in jüngstens an meinen Sohn übergab, und hierher gekommen bin um mir Agenturen zu sammeln. Ich kenn das Strohgeschäft, und an große Thätigkeit von jeher gewöhnt, könnte Ihnen gewiß gute Dienste leisten, wenn Sie mir Ihr werthes Zutrauen schenken wollten.

Nicht allein für hier wäre ich dazu bereit, sondern ich ließte mich wenn Sie es wünschten, auch darauf ein, einen gewissen Bezirk selbst über Baiern hinaus zu bereisen.

Nahdem ich immer eine besondere Vorliebe für die Schweitz gehabt, würde im Falle auch eine feste Stelle bey Ihnen als Buchhalter, Correspondent, Magazzinier & annehmen, und weil ich 8 meiner Jugendjahre in Italien auf dem Comptoir und auf Reisen zugebracht, bin ich deßhalb in der italienischen Sprache ganz ferm (soll heißen "firm"), und der französischen auch kundig.

Mein Herr Vetter Albert Rohr in Lenzburg, der mir Ihre verehrliche Addresse aufgegeben, und Herr Friedrich Jäger in Lindau, können über mich genügende Auskunft ertheilen.

Zum Schluße hoffend, von Ihnen in irgendeiner Beziehung eine günstige Antwort mit Anträgen zu erhalten, empfehle mich Ihnen mit besonderer Achtung und Ergebenheit.

Sendlingerrhor - Platz No 7, parterre links."

Der Brief hätte im April 1863 bei regulärer Aufgabe in München unfrankiert bis 1 Loth 9 Kreuzer für Bayern und 3 Kreuzer für die Schweiz = 12 Kreuzer = 40 Rappen gekostet.

Durch den Schmuggel (wohl Verwandschaft bzw. ehemalige Geschäftsfreunde) und Postaufgabe in Zürich kostete er jetzt als innerschweizer Fernbrief nur 15 Rappen, also etwa 5,5 Kreuzer.

Das war natürlich nett von ihm, dass er seinem potentiellen, zukünftigen Arbeitgeber diese 25 Rappen ersparte, aber man hätte sich auch sehr gut vorstellen können, dass er den Brief, ob in München, oder in Zürich von einem Dritten aufgegeben, frankiert hätte, um so einen guten Eindruck zu machen - aber das tat er nicht.

Dergleichen Briefe sind m. E. recht selten, auch wenn Kuvertierungen und durch Güte - Aufgaben auch im Auslandsverkehr schon mal vorkommen.

Interessant ist noch die Tatsache, dass der Brief am 15.4. in München geschrieben und noch am selben Tag in Zürich aufgegeben wurde, wobei er am Folgetag in Wohlen seinen Empfänger erreichte.

Leider weiß ich nicht, ob die Bemühungen unseres Herrn Jacob Pfeiffer aus München von Erfolg gekrönt waren. Über nähere Informationen würde ich mich sehr freuen (im Netz erfolglos geblieben).

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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