Thema: Bewertung von Ganzsachen Ausschnitten
DL8AAM Am: 16.12.2009 16:12:51 Gelesen: 51294# 11@  
die_ganzsache [#7]

Nicht alles, was aus den USA kommt, zeugt von kultiviertem Umgang mit der Materie.

Es geht ja nicht darum, wie ich jetzt mit einer mir gerade in die Finger fallenden Ganzsache umzugehen habe oder besser "sollte", sondern wie ich alte ("historisch" angefertigte) Ausschnitte zu bewerten habe. Für den heutigen Sammler ist es natürlich zweifelsfrei eine gräusliche Barbarei vollständige Ganzsachen zur "Gewinnung" eines zu sammelnden Wertstempelausschnittes zu verstümmeln. Ich sehe das inzwischen sogar ähnlich beim Ausschneiden von Briefmarken aus Belegen allgemein, mit gewissen Abstrichen, wie zum Beispiel beim 500ste Leuchturm mit Maschinenstempel BZ37 "ma" etc. Frühere Generationen von Philatelisten hatten andere Sammelformen und Wertvorstellungen, wie auch die auf uns (hoffentlich) nachfolgenden Sammlergenerationen sicherlich vollkommen neue Formen entwickeln werden. Man muss diese Objekte immer im Kontext zur Zeit seiner Entstehung sehen.

Ganzsachenausschnitte waren weltweit bei unseren VorVorVorgängern ganz natürlich sammelbare Objekte. In den USA werden diese alten Stücke traditionell auch weiter gleichberechtigt entsprechend so weiter gesammelt, nur hier in Europa führen diese Wertewandel scheinbar oft zu einem harten Bruch. Von den Gurus für allgemein verbindlich "erklärte" Normensprüngen werden von der Herde unreflektierten sofort übernommen. Ich möchte nicht wissen, wie viele dieser klassischen GS-Ausschnitte bei Sammlungenübergaben von einer Generation zur nächsten einfach achtlos entsorgt wurden. Der Guru sagt die sind nichts wert, wirf das weg, wenn Du so was sammelst bist Du kein echter Philatelist usw.

Die Sammler in den USA haben hier sicherlich einen sinnvoller Weg eingeschlagen, in dem sie diesen alten Formen auch "katalogoffiziell" einen philatelistischen Wert zuordnen. Das wird aber dadurch auch begünstigt, dass die allgemeine Sammlerszene in den USA zwar in Teilen auch gut organisiert aber weniger "vernormt" ist, als in der alten Welt. Der Sammler ist toleranter und indiviualisierter aufgestellt. Der Trend bei uns "jeder kann nach seiner Facon selig werden" ist eine relativ neuere Entwicklung der letzten 10-20 Jahre und stiess leider vielfach noch lange auf wenig Gegenliebe bei den "oberen Meinungsführern".

"Alte" Ganzsachenausschnitte sollten aber für den aufgeschlossenen modernen Philatelisten - entsprechend der Konzeption seiner jeweiligen Sammlung - wieder eine gleichberechtigte Sammelwürdigkeit besitzen. Natürlich kann ich aus diesen Ausschnitten viel weniger ablesen. Es sind eben nur Ausschnitte, die nur einen Türspalt öffnen und können in aller Regel leider keine große Geschichte mehr erzählen. Dass Problem habe ich aber auch bei abgelösten Briefmarken im Steckalbum.

Für mich persönlich ist ein entsprechend groß gewählter GS-Ausschnitt von 1940, d.h. mit kompletten Stempel, 10x mehr wert als eine abgelöste, sauber gezähnte und "heile" lets say Germania, die dann nur noch einen Teilstempel erkennen lässt. Aber für mich persönlich ist auch ein auf der Marke (inclusive der Rückseite) angebrachter Prüferstempel eine ebenso barbarische nachträgliche Verschandelung eines historisch "offiziellen" Originals durch irgendwelche private Wurstfinger, wie das grobschlächtige Zerschneiden einer Ganzsache Heute. Es sei denn mein Sammelthema lautet "Prüfstempel". Das heisst meine Meinung ist eh nicht Mainstream und ist noch nicht für allverbindlich erklärt worden. Ich hoffe aber noch.

BTW, "Wert für die Sammlung" ist nicht identisch mit einem "Wert in Euro" !

Nicht alles, was aus den USA kommt, zeugt von kultiviertem Umgang mit der Materie.

Es zeugt aber auch nicht von kultivierten Umgang, wenn ich diese alten ehemals noch "guten" GS-Ausschnitte ausblende oder gar vernichte, ganz im Gegenteil! Diese Exemplare, bzw. diese Erhaltungsformen, sind Kinder ihrer Zeit, dokumentieren das damalige Sammelverhalten und verdienen auch entsprechend behandelt und gewürdigt zu werden. Zumindest solange wie ich keine neuen Ausschnitte mehr erstelle, sollte das konsensfähig sein. Aber auch das Ausschneiden macht in den USA kaum ein ernsthafter Philatelist mehr, bis auf Wald-und-Wiesen Sammler vielleicht oder die Konzeption bzw. das Sammelthema lässt es zu. Beispielsweise "Plattenfehler"-Forschung trotz im BZ zerfetzter Ganzsache.

Wald-und-Wiesen Sammler soll es übrigens auch in Deuschland geben. Ein Nachbar sammelt beispielsweise ganz selbstverständlich auch moderne Plusbriefausschnitte, die er aus einem Firmenposteingang (die keine Rückschlüsse auf den Absender geben wollen) bereits vor-ausgeschnitten bekommt. Der sammelt aber auch nicht nach MICHEL oder sonstwelchen Regeln, sondern "nur so" ohne sich tiefere Gedanken zu machen. Auch die fünf fehlenden Zähnchen stören den nicht mal ansatzweise. ;-)))

Aus einem "Wald-und-Wiesen" Sammler kann später auch mal ein Philatelist werden. Sei tolerant!, auch wenn es mir regelmäßig die Schuhe auszieht, wenn ich das sehe was der an schönen Belegen zerstört bekommt, aber besser so, als dass das Material gleich ins Altpapier geht. ;-)

Gruß
Thomas
 
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