Thema: Wir erinnern uns heute an ...
Hornblower Am: 10.05.2020 11:48:59 Gelesen: 224557# 307@  
@ skribent [#295]

Hallo Franz,

zu dieser Szene gibt es eine hübsche Geschichte.

In der Nacht zum 30. April 1945 hatten die ersten Stoßtrupps der Roten Armee den Berliner Reichstag erstürmt, der Unteroffizier Michail Petrowitsch Minin hißte zunächst an einem Ofenrohr ein rotes Stück Stoff, weil er nichts anderes hatte, als Zeichen des Sieges. Da allerdings niemand diese Szene fotografiert hatte, bekam der Fotograf Jewgeni Chaldej von der TASS am 2. Mai den Befehl, diese Szene noch einmal, dieses Mal jedoch bei Tageslicht, aufzunehmen.

Zum 20. Jahrestag dieses Ereignisses gab die DDR eine Sondermarkenserie heraus, der Wert zu 60 Pfennig zeigte die denkwürdige Szene. Allerdings hatte der Grafiker Karl Sauer nicht nur den Neigungswinkel der Flagge stark verändert, was man aufgrund des kleinen Bildformats einer Briefmarke noch nachvollziehen könnte, er konterte das Bild auch noch und fügte einen weiteren fröhlichen Rotarmisten hinzu, den es damals in dieser Form gar nicht gab, wie man auf dem Originalfoto unschwer erkennen kann.

Probleme hatte es mit diesem Foto ohnehin genug gegeben. Chaldej musste dem Soldaten, der die Beine des anderen hielt, eine Armbanduhr wegretuschieren – einen Hinweis auf Plünderei, was natürlich nicht auf dem Bild eines ruhmreichen Helden auftauchen durfte.

Abgebildet wurde diesmal der Soldat Meliton Kantarija, der in einem zweiten Trupp wenig später in den leeren Reichstag gekommen war und nicht Minin. Dies geschah aus propagandistischen Gründen, da ein Russe und Georgier die Waffenbrüderschaft der siegreichen Sowjetarmee dokumentieren sollten. Zudem hatte Minin das rote Tuch, das nun durch eine Flagge ersetzt wurde, am Kopf einer Germania festgebunden und nicht frei wehen lassen. Für den Unteroffizier Minin hat sich der Coup nicht gelohnt. Den versprochenen Orden „Held der Sowjetunion“ erhielt er nie, erst 50 Jahre nach der Tat wurde er offiziell geehrt. Minin wurde Feldwebel und blieb Soldat bis 1969, nach dem Ende des Kalten Krieges kehrte er noch einmal nach Berlin zurück. Er starb mit 85 Jahren am 10. Januar 2008 in seiner Heimatstadt Pskow.

Gruß und einen schönen Muttertag
Michael
 
Quelle: www.philaseiten.de
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