Thema: Altdeutschland Bayern Eingehende Briefe
bayern klassisch Am: 14.05.2020 10:20:57 Gelesen: 167286# 405@  
Liebe Freunde,

es gibt Briefe, die höchst simpel sind, in Massen vorkommen und doch hinsichtlich ihrer Taxierungen nicht zu knacken sind. Nicht zu knacken, jedenfalls wenn man nicht über lokales Wissen verfügt.



Ein einfacher Portobrief aus Berlin vom 26.10.1836 wurde zwischen 6 und 7 Uhr Abends mit Rötel korrekt taxiert = 6 Silbergroschen bis zur bayer. Postgrenze. Empfänger war Johann Georg Schmitt, wohlberühmter Müllermeister in Gerasmühl über Nürnberg bei Langenzenn.

Berlin sandte ihn - weil schon adressseitig genannt - nach Nürnberg, wo man die dort notierten 6 Sgr. korrekt in 21 Kreuzer reduzierte und auf diesen den Auslagestempel abschlug. An eigenem Porto wollte man 6 Kreuzer haben, die darunter notiert wurden, so dass wir auf ein Gesamtporto von 27 Kreuzern kämen. Aber oben links stehen 30 Kreuzer, im Auslagestempel hinter den "21" weitere 3 Kr. und rechts vom Auslagestempel wieder 3 Kr. - das ist dann doch ein bisserl viel 3 Kreuzer für solch einen kleinen Brief bis 1/2 Loth!

Die Erklärung ist folgende: Die Gerasmühle wurde mal von Nürnberg aus, mal von Schwabach aus postalisch von konzessionierten Boten angelaufen, die für ihre Gänge natürlich Geld sehen wollten. Die Entfernung Nürnberg - Gerasmühle betrug Luftlinie 8 km, die Entfernung Schwabach - Gerasmühle betrug Luftlinie 7 km, allerdings lag Schwabach südlich von Nürnberg, so dass Briefe von Norden erst Nürnberg zu transitieren hatten, ehe sie nach Schwabach kamen, um vom dortigen Boten aus wieder 7 km nach Norden zu gelangen, während Briefe von Boten aus Nürnberg nur 8 km südlich verbracht werden mussten.

Gab man jetzt einem Nürnberger Boten die ihm zugedachten Briefe für die Gerasmühle, notierte der zuerst einmal die für ihn wichtigen 3 Kr. auf allen Briefen, konnte dann aber hin und wieder feststellen, dass der Empfänger gar nicht "sein Kunde" war und er keine Konzession hatte, diesen Brief zu empfangen und auszutragen. Er musste ihn daher als unbestellbar wieder der Nürnberger Post zurück geben, die ihn nach Schwabach sandte, von wo aus ein anderer Bote die Konzession hatte, "seinem Kunden" die Post zuzustellen.

Der Schwabacher hatte die ersten 3 Kr. Botenlohn im Auslagestempel Nürnbergs übersehen, weil ihn die Auslagestempel und deren Inhalte nicht interessierten, sondern nur das, wofür er der Post in Schwabach die Briefe abkaufen musste und das waren 27 Kreuzer! Also notierte er "seine" 3 neben den Auslagestempel und addierte damit oben links alles auf 30 Kr., wie es auch richtig war.

Dergleichen Briefe liebe ich, zeigen sie doch die "kleine Postgeschichte" abseits von großen und bedeutenden Postverträgen und internationalen Laufwegen usw., sondern demonstrieren, dass die Tücke hin und wieder im Detail steckt.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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