Thema: Recht: Gesetz für Virtuelle Hauptversammlung wird wohl zur Dauerregelung
Jürgen Häsler Am: 01.06.2020 00:34:36 Gelesen: 9243# 5@  
@ filunski [#3]

Hallo Peter,

herzlichen Dank für Deine Rückmeldung und den „Erfahrungsbericht“ Deiner ArGe.

In meinem ersten Beitrag und auch im Artikel von RA Dr. Lindemeyer steht die Darstellung der neuen Rechtslage im Mittelpunkt. Mein Fazit, dass die philatelistischen Vereine handlungsfähig bleiben, bezieht sich vor allem auf die gesetzliche Verlängerung der Amtszeit von Vereinsvorständen als gesetzliche Vertreter nach § 26 BGB, unabhängig von der jeweiligen Regelung innerhalb der Vereinssatzung.

Was tun, wenn die geplante HV des Vereins wegen der COVID-19-Pandemie „ausfallen“ musste ?

Variante 1:
Verschieben der HV auf einen neuen Termin im Herbst unter Beibehaltung als „herkömmliche“ Präsenzveranstaltung

Die einfachste Lösung. Birgt aber natürlich das Risiko, das die verschobene Veranstaltung bei einem (unerwarteten) Wiederaufflammen der COVID-19-Pandemie erneut ausfallen muss. Nach heutigem Stand ist eine große 2. Infektionswelle im Herbst aber eher unwahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen. Nach dieser Variante verfährt der LV Südwest (Verlegung vom 16.05.2020 auf den 07.11.2020)

Variante 2:
Verschiebung der HV auf einen neuen Termin und gleichzeitige Nutzung der schriftlichen Stimmabgabe des „Corona-Gesetzes“.
So verfährt der BSC Villingen e.V. (Verlegung vom 29.03.2020 auf 20.09.2020) Der Vorstand hat beschlossen, den Mitgliedern ausnahmsweise auch die schriftliche Stimmabgabe zu ermöglichen. Zusammen mit Einladung und Tagesordnung werden auch Stimmzettel mit frankiertem Rückumschlag sowie die Stellungnahme des Vorstandes zu den einzelnen Tagesordnungspunkten verschickt. Sind nur Abstimmungen durchzuführen (Ja/Nein/Enthaltung) ist dieses Verfahren sehr einfach umzusetzen. Der Vorstand will dadurch auch herausfinden, ob sich die Beteiligung der älteren Vereinsmitglieder durch dieses schriftliche Verfahren ohne persönliche Teilnahme an der HV erhöhen lässt.

Sind Wahlen durchzuführen, ist dieses Verfahren jedoch unpraktikabel.

Aus diesem Grund haben wir die eigentlich vorgesehene „Nachwahl“ der neuen Schatzmeisterin von der Tagesordnung gestrichen und auf 2021 verschoben, wenn die regulären Vorstandswahlen anstehen. Bis dahin bleibt der „kommissarische“ Schatzmeister im Amt.

Generell gilt das in Beitrag [#4] von drmoeller_neuss Gesagte:

In jedem Fall sollte ein Vorstandsbeschluss zur Verschiebung der Mitgliederversammlung herbeigeführt und ordentlich dokumentiert werden. Offene Kommunikation mit den Vereinsmitgliedern ist natürlich wichtig, die Mitglieder müssen über die Gründe für die Verschiebung informiert werden, dann sollte auch Verständnis für die Maßnahme vorhanden sein.

Das Vereinsregistergericht über die Verschiebung zu informieren, halte ich für eine sehr gute Idee. Aus meiner Sicht hat Deine ArGe alles richtig gemacht. Die Vereinsregistergerichte sind auch angewiesen, "großzügig" zu verfahren.

Eine echte „virtuelle Hauptversammlung“ zu veranstalten ist sehr aufwendig und deshalb für einen Verein, der von Ehrenamtlichen geleitet wird, nicht zu empfehlen. Es gibt natürlich Firmen, die (für viel Geld, versteht sich) die Organisation einer VHV übernehmen. Die VHV-Regelung im „Corona-Gesetz“ ist, wie Du selbst richtig festgestellt hast, vor allem für Aktiengesellschaften gedacht, die in § 1 des Gesetzes behandelt und in Absatz 7 zum Teil auch vor der Anfechtung von HV-Beschlüssen geschützt werden. Die Bundesregierung wollte insbesondere auch eine zeitliche Verzögerung bei der Restrukturierung der Commerzbank und der Integration der comdirect bank verhindern, woran sie großes Interesse hat.

@ drmoeller_neuss [#4]

Eine sehr gelungene Darstellung des Sachverhaltes mit dem wichtigen Hinweis auf die Unterschiede, die bei gemeinnützigen Vereinen zu beachten sind, insbesondere der Kontrolle der Einhaltung der Satzungsbestimmungen durch die Finanzämter.

Der Aussage:

„In der Regel kostet die Durchführung einer Jahreshauptversammlung den Verein Geld und bringt nichts ein.“ kann ich jedoch nicht zustimmen.

In unserem Verein gehört die HV zu den wichtigsten Veranstaltungen des ganzen Jahres. Hier treffe ich viele Vereinsmitglieder, die bei den Vereinsabenden wegen beruflicher Belastung oder aus privaten und familiären Gründen nicht kommen können. Hier entscheiden die Mitglieder über alle Vereinsaktivitäten und damit über die Zukunft des Vereins. Dass die Teilnahme an Hauptversammlungen oft eher gering ist, hat mit den vielen Formalien zu tun, die erledigt werden müssen und auch mit der „Furcht“, dass einem ein Vereinsamt „angetragen“ wird. Zudem ist die Angst vor persönlicher Haftung verbreitet und schreckt so viele von der Übernahme eines Ehrenamtes an.

Zitat aus dem Empfehlungsbericht des Normenkontrollrates Baden-Württemberg zur Entbürokratisierung bei Vereinen und Ehrenamt [1]:

„42 Tage im Jahr bzw. 6,5 Stunden pro Woche muss sich ein typischer, mittelgroßer Verein mit einem aktiven Vereinsleben nur um die Erfüllung bürokratischer Vorgaben kümmern (337 Stunden). Die wenigsten Vereine haben hauptamtliche Beschäftigte. Die Bürokratie wird deshalb in der Regel von ehrenamtlichen Vereinsvertretern geleistet – und das am Abend oder am Wochenende! Die bürokratischen Lasten werden immer mehr, vieles wird als unnötig empfunden, die Akzeptanz wird geringer."

Der Normenkontrollrat hat deshalb 49 konkrete Vorschläge zur Entlastung erarbeitet.

[1] https://stm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/191204_NKR_BW_Entbuerokratisierung_bei_Vereinen_und_Ehrenamt.pdf

Viele Grüße
Jürgen
 
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