Thema: Altdeutschland Bayern: Briefe erklären
bayern klassisch Am: 30.06.2020 12:43:34 Gelesen: 212882# 539@  
Liebe Freunde,

eine bunte Chronologie der Ereignisse erfreut uns mit diesem Rosinchen:



Das II. Curatbenefizium in Wallenstetten (man fragt sich, wo das I. hin ist) sandte am 3.11.1874 einen einfachen Brief an das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat Augsburg.

Ein Amtsbote überbrachte den Brief in das nahe Senden, wo er am selben Tag aufgegeben und mit 7 Kreuzern als Fernbrief aufgegeben wurde. Über Neu-Ulm noch am selben Tag ging er ab.

Am Folgetag traf er in Augsburg II ein und übergab ihn zur Bestellung dem Stadtbriefträger Nr. 3, jedoch war das Ordinariat als vorgesetzte Stelle mit den gewünschten 7 Kreuzern nicht zufrieden. Siegelseitig notierte man: Wird gegen Porto nicht angenommen. Augsburg den 4. Novermber 1874 Dr. Gratz. Das war völlig korrekt, denn obere Behörden hatten keine mit Porto belasteten Briefe nachrangiger Behörden zu bezahlen.

Die Verweigerung der Zahlung eines Portos entsprach gleich der Verweigerung der Annahme, so dass der Brief, noch immer mit 7 Kreuzern belastet, der Aufgabepost zu remittieren war. Augsburg notierte daher richtig vorne: Retour - verte (Zurück, hinten schauen).

Er lief folglich wieder über Neu-Ulm retour (kein Stempel) und traf in Senden ein (auch ohne Stempel). Dort dauerte es bis zum 10.11.1874, ehe man sich entschließen konnte, a) zuerst die auf dem Brief lastenden 7 Kreuzer und b) 3 weitere Kreuzer für die Frankatur aufzubringen. Vermutlich musste der halbe Vorstand dort dieses kostspielige Unterfangen erst einmal absegnen.

Nun ging es frankiert auf die Reise, so dass die blaue 7 und der Retour - verte - Vermerk vorn und hinten mit Rötel abgestrichen wurden. Noch am selben Tag passierte der Brief wieder Neu-Ulm und traf dieses Mal sogar noch am selben Tag in Augsburg II ein. Nun bekam ihn der Stadtbriefträger mit der Nr. 3 zum Austragen - er kannte ihn ja schon von einer Woche zuvor und hat seinen Job sicher erstklassig erledigt.

Es sind solche kleinen Vortragsstücke, die einem Sammler das Leben lebenswerter gestalten, gerade in Zeiten wie diesen.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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