Thema: (?) (509) Stempel Schau - schön, selten oder kurios
Jürgen Witkowski Am: 04.01.2008 18:38:40 Gelesen: 727945# 25@  
In einem Packen kürzlich von mir erworbener Belege habe ich eine anscheinend nicht gelaufene Postkarte gefunden.

Die 3 Stempel stammen allesamt aus dem Ort Hartmanitz im Böhmerwald, heute als Hartmanicè in der Tschechischen Republik gelegen.

Ich möchte diesen zeitgeschichtlichen Beleg nicht ohne einige Hintergrundinformationen aus dem Jahr 1938 zeigen.

In Wikipedia ist dazu zu lesen:

"Im Münchner Abkommen vom 29. September 1938 wurde durch Verhandlungen zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien besiegelt, dass sich NS-Deutschland die deutschsprachigen Gebiete (das Sudetenland) einverleibte. Vom 1. Oktober bis zum 10. Oktober 1938 besetzten rund 24 Divisionen der Wehrmacht die an Deutschland und Österreich angrenzenden Gebiete der Tschechoslowakei. Die neuen Grenzen des Deutschen Reiches wurden nicht nach der wirklichen oder angeblichen Bevölkerungszusammensetzung der annektierten Gebiete gezogen, sondern nach wirtschaftlichen und strategischen Gesichtspunkten. Die Menschen in diesen Gebieten erhielten automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Für politische Gegner der NSDAP und der Henlein-Anhänger wie Sozialdemokraten und Kommunisten sowie für von Nationalsozialisten als minderwertig Angesehene wie Juden, Tschechen und Roma begann schlagartig eine Leidenszeit. In Reichenberg trieb das „Sudetendeutsche Freikorps“ Sozialdemokraten mit Pappschildern wie „Volksverräter“ durch die Straßen.[7] Überstürzt flüchteten die meisten der ungefähr 50.000 Juden des Sudetenlands und ließen ihre leeren Wohnungen und Häuser zurück.

Am 30. Oktober 1938 wurde der Reichsgau Sudetenland gebildet. Er umfasste Nordböhmen sowie Nordmähren und damit den größten Teil der besetzten Gebiete. Sein Gauleiter wurde Konrad Henlein. Der südwestliche Teil Böhmens kam an den Reichsgau Bayrische Ostmark, der südliche Teil Böhmens und Mährens an die Reichsgaue Ober- und Niederdonau.

Durch die Übernahme vieler Anhänger der Sudetendeutschen Partei hatte die NSDAP - bezogen auf die Bevölkerungszahl - im Reichsgau Sudetenland die meisten Mitglieder.[8]

Beim Novemberpogrom am 9. November 1938 verbrannten die Nationalsozialisten auch im Sudetenland die Synagogen, demolierten, schlugen und verbrachten jüdische und als jüdisch angesehene Männer in KZ’s. In mehreren Städten zwangen sie Juden, die nicht hatten fliehen können - meist Alte und Kranke - zum „Tanzen“ um die lodernden Synagogen.[9]

Das „Sudetendeutsche Freikorps“ wurde organisatorisch den Totenkopfverbänden unter Theodor Eicke zugeordnet und Ende 1938 in sie eingegliedert. Diese Totenkopf-Verbände unterstützten unter anderem die Bildung der Waffen-SS und waren auch an der so genannten „Endlösung der Judenfrage“ (Schoah) und am Porrajmos (Ermordung von Sinti und Roma) maßgeblich beteiligt.

In den an das Großdeutsche Reich angeschlossenen Gebieten lebten ca. 780.000 Tschechen[10]; infolge des Münchner Abkommens verließen zahlreiche von ihnen das Sudetenland; eine größere Zahl wurde auch ausgewiesen. Ihre Zahl ist umstritten. Eine organisierte Massenverteibung, Ermordung oder Eindeutschung fanden aus kriegswirtschaftlichen Gründen zunächst nicht statt; sie waren für die Zeit nach dem „Endsieg“ vorgesehen[11].

Hitler hatte im Münchner Abkommen zugesagt, lediglich die deutschsprachigen Gebiete Böhmens und Mährens - das Sudetenland - zu annektieren. Unter Bruch dieses Vertrages besetzte die Deutsche Wehrmacht im März 1939 die bis dahin unabhängigen Gebiete, die „Rest-Tschechei“. Hitler erklärte dieses Territorium zum „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“, wie es verschleiernd hieß."

(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Sudetendeutsche#Anschluss_des_Sudetenlandes_an_das_Gro.C3.9Fdeutsche_Reich )

Nun noch einige Daten, um die Stempel in den zeitlichen Rahmen einordnen zu können:

Hartmanitz gehörte zum Landkreis Bergreichenstein

1. - 10. 10. 1938
Deutsche Besetzung des bisher tschechoslowakischen politischen Bezirks Sušice (teilweise).
Umbenennung des politischen Bezirks Sušice in Schüttenhofen.

?
Umbenennung des politischen Bezirks Schüttenhofen in Bergreichenstein.

20. 11. 1938
Einführung der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. 1. 1935.
Umbenennung der:

Stadtgemeinden in Städte,
Marktgemeinden in Märkte,
Ortsgemeinden in Gemeinden.
Umbenennung des politischen Bezirks Bergreichenstein in Landkreis Bergreichenstein

21. 11. 1938
Der Landkreis Bergreichenstein tritt zum Deutschen Reich.
Eingliederung des Landkreises Bergreichenstein in die sudetendeutschen Gebiete.
Sitz der Verwaltung ist die Stadt Bergreichenstein.

Von den 3 darauf abgeschlagenen Stempeln ist mir der rechte Stempeltyp bisher noch nicht untergekommen.

Den rechten Stempel halte ich für einen auf die Schnelle hergestellten Kork- oder Linoleumstempel, der wahrscheinlich wenige Stempelabschläge später nicht mehr zu gebrauchen war. Der mittlere war vermutlich ein Gummistempel, während der linke ein regulärer Metallstempel war.

Unser Mitglied sudetenphilatelie hat freundlicherweise auf meine Anfrage über die Echtheit des mittleren und des rechten Stempels hin einige Recherchen angestellt und schreibt:

"Da mein Kerngebiet amtliche Überdruckmarken des Sudetenlandes ist, gehört dieses Beleg nicht direkt dazu. Dennoch habe ich einige Fachliteratur, die ich zu Rate gezogen habe. Im Quaiser "Die Not- und Befreiungsstempel in den sudetendeutschen Gebieten 1938/39 ist der mittlere Stempel tatsächlich abgebildet. Dieser Stempel ist sicherlich echt. Den Stempel rechts konnte ich nicht finden. Dieser ist auch stark deformiert, was für einen Stempel eher untypisch ist. Auf der anderen Seite, wenn 2 Stempel echt sind, warum sollte der dritte "Mache" sein? Irgendwie auch nicht logisch."

Tagesstempel Hartmanitz b, 24.11.38.-12 mit 2 Begleitstempeln

Mit nachdenklichen Grüßen
Jürgen


 
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