Thema: Bayern ab "Pfennig-Zeit" 1876 bis 30.6.1920: Belege, Marken, Essays
bayern klassisch Am: 20.04.2021 11:55:43 Gelesen: 111102# 363@  
@ Gernesammler [#362]

Hallo Rainer,

jetzt brauchst du nur noch die Manualnummer 20 auf einem solchen Brief und man kann das damalige Procedere noch einen Tick besser dokumentieren.

Diese Briefe wurden gleich am Postschalter "fertig" gemacht, also mit allen gewünschten Stempeln versehen, hin und wieder auch gegen ein leichtes Zubrot für den akkurat Stempelnden. Die "Ankunftsstempel" von der exakt gleichen Zeit sprechen dafür und der Sammler wollte natürlich nicht, dass ein Postler ihm die Stück unterschlug und nicht austrug, daher war hier alles gemacht.

Es wurde auch ein Postschein gelöst, der gleich wieder der Post "vollzogen am Schalter" zurück gegeben wurde, sonst wäre ein cleverer Spaßmacher auf die Idee gekommen, seine beiden Einschreiben zu reklamieren und er hätte dabei gut Geld verdient, denn die Post hätte ja sonst keinen Nachweis über die ordentliche Zustellung vorweisen können.

Der bayer. Post waren solche Briefe auf der einen Seite ein Dorn im Auge, denn ihre "Abfertigung" dauerte natürlich weitaus länger, als bei normalen Recobriefen, auf der anderen Seite kam Geld in die Kasse und deren Leere war von Anfang des Königreichs an weltbekannt.

Nicht erlaubt waren Briefe, die der Kunde (damals: Sammler) sich selbst basteln konnte, indem man ihn an ein ruhiges Örtchen setzte und mit Stempel und Stempelkissen gewähren/machen ließ, was er wollte; dennoch gibt es heute noch wohl Zehntausende genau solcher Stücke, bei denen hinten und vorne nichts stimmt und die komplett gebastelt sind. Aber man kannte sich ja, auf dem Dorf, wie in der Stadt und Freude, Verwandte usw. waren ja auch auf der Post beschäftigt, so dass so manche Mittagspause weniger der Nahrungsaufnahme, als mehr der Briefproduktion diente. Das war strikt verboten, vor allem das Abschlagen von Stempeln mit nicht realen Daten (i. d. R. Rückdatierungen, gerne auch auf ungezähnten Marken). Aber wo kein Kläger, da kein Richter und Geld verdienen konnte man so im Handumdrehen und internationale Anfragen von Sammlern weltweit nach genau solchen Stücken gab es Zuhauf. Und wo ein Markt ist, ist auch einer, der ihn bedient.

Man kann solche Stücke nehmen, um die damaligen Usancen zu zeigen, die ja letztlich auch zur großen, weltweiten Postgeschichte gehören, nur sollte der Anteil an der eigenen Sammlung damit nicht zu sehr aufgepeppt werden, denn sie suggerieren etwas, was so nicht stattgefunden hat; da es genug Material gibt, das aber genau das zeigt und kann, sollte die Priorität auf diesen Bedarfsstücken liegen.

Liebe Grüsse,
Ralph
 
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