Thema: Briefmarkenflut, Nutzungsrückgang, Sammlerschwund - Aussichten der Philatelie
Bendix Gruenlich Am: 27.11.2021 16:39:38 Gelesen: 4680# 35@  
Ein erfreulicher Artikel - der ist mir schon in einer anderen Publikation aufgefallen ist, da gab es vor kurzem einen Link hier im Forum.

Aber als Kaufmann (der auch zur eiskalten Kalkulation und Analyse fähig ist) folgendes:

„Karton“-philatelie ist „böse“

....meiner Meinung nach ein typisches Sentiment, wenn eine Spekulation nicht aufgegangen ist. Nur weil ETB und FDC aktuell nicht gefragt sind (also zu einem Zehntel Ihres Einkaufspreises zu haben sind - das Zubehör gibt es noch gratis dazu), sind sie produktqualitativ nicht schlecht.

Es gibt die Originalmarke mit einem gut gestalteten Sonderstempel zum Thema. Bei den ETB gibt es auf der Rückseite noch einen wirklich tiefgehenden erläuternden Text. So etwas findet man auf einer Bedarfsverwendung übrigens vergeblich (probiert es mal aus, dreht die um, was seht ihr, wenn ihr Glück habt: den Absender).

Nein, wir finden ein typisches Angebot- / Nachfragephänomen vor. Die Anzahl der Sammler geht zurück, das überzählige Material geht in den Markt (das Material muss weg – es nimmt Platz weg). Der Preis sinkt. Und noch ein Aspekt: Es wird immer mehr - und damit zum echten physikalischen Problem - Bund hat nunmehr über 3.600 Hauptnummern.

Der ehemalige Käufer merkt, der Preis verfällt - also war die seinerzeitige Kaufentscheidung aus heutiger Sicher wirtschaftlich unvorteilhaft. Es ist leider menschlich, dass wir uns nicht eingestehen, dass wir auch von Zeit zu Zeit unwirtschaftliche Entscheidungen treffen. Weil der Fehler aber unmöglich bei uns liegen kann, muss es an der Qualität des Produktes liegen.

Das ist Wirtschaftspsychologie, aber leider falsch - die Qualität ist gut, das Produkt ist aber inflationär auf dem Markt. Deswegen finden wir heute die Ware im Karton (Wühltisch = geringwertig) vor.

Meiner Meinung nach gibt es jetzt zwei Möglichkeiten:

a. Das Produkt schlecht machen - der weniger souveräne Weg und auch eine Fehlinterpretation – wer ein niedriges Preisniveau mit z.B. künstlerischer Inferiorität verwechselt, denkt nicht abstrakt genug bzw. vergleicht Äpfeln mit Birnen

b. Eingestehen, dass das eine Fehlinvestition war, wenn man denn die Erwartung hatte einen bestimmten Erlös zu erzielen - weg mit Schaden und gut ist - das macht der souveräne Kaufmann. Bei der rein wirtschaftlichen Überlegung haben Emotionen nichts zu suchen, die kann man unzweideutig in Geldeinheiten messen.

Für Fehlinvestitionen sind wir selbst verantwortlich, weil wir die Zukunft nicht gesehen haben (immer die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg).

Das ist ein nicht gerade liebenswerter, aber typisch deutscher Charakterzug - wir lamentieren über unsere Verluste und erzählen die Saulus zum Paulus-Geschichte mit Schwergewicht auf dem Passionsweg. Ja, wir Deutschen haben es immer schwer (fahren aber Mercedes).

Der Autor spricht vom „wahren“ Sammeln (deswegen habe ich mal im vorherigen Satz Elemente des Erweckungserlebnisses benutzt). Wahrheit gibt es aber in der Sammelfrage nicht, weil die Bedürfnisse / der Nutzen von Individuum zu Individuum variieren (da belehren uns zwar die Algorithmen von Big-Tech, dass sei nicht so, aber die machen den Fehler auch nur in USD zu rechnen). Schaut Euch die Heterogenität der Themen hier im Forum an – das ist bunt.

Wir sollten bedenken: in der Retrospektive hat schlechter Geschmack zu seinen besten Zeiten Freude gemacht. Denn: was habt ihr vor dreißig Jahren für Kleidung getragen und würdet ihr das mit derselben Überzeugung heute wieder tun? Und doch habt Ihr bestimmt eine gute Zeit gehabt, die Ihr nicht missen möchtet. Also sollte man seinen seinerzeitigen Geschmack nicht verteufeln.

Wir haben es hier im Forum schon oft gelesen: Investieren oder konsumieren wir? Also, erwarten wir dass unser eingesetztes Geld zurückkommt oder haben wir es verbraucht? Bei letzterem wäre das Geld dann weg.

Wir haben eine emotionale Beziehung zu unserer Sammlung, wir lieben die Motive, die Gebiete, die Themen, das Design.

Ich habe in letztem Dezember EUR 200 für zwei briefmarkenwirtschaftlich belanglose Kartons ausgegeben, die mich aber - ich glaube - mindestens 100 Stunden gut unterhalten haben. Das Geld sehe ich nie wieder, aber es war schön und hat ordentlich Laune gemacht.

Ich lade Euch ein, genießt Eure Sammlung und den Spaß! Und erzählt weiter, wieviel Freude Euch das gemacht hat.

So sammeln wir (meiner Meinung nach) richtig

Wir sammeln, was uns Spaß macht. Das ist heute dies und morgen das.

Als Kaufmann rate ich zu einer besonnenen Einkaufspolitik. Man muss es sich leisten können und das Risiko eines Totalverlusts ist hoch, bzw. einen nennenswerter Verkaufserlös nicht zu erwarten, wenn einem der eingesetzte Geldbetrag wichtig ist.

Gemeinsam oder einsam?

Ich freue mich, wenn Leute sich im Verein wohlfühlen. Gemeinsam geht mehr.

Aber ein Verein verlangt auch eine physische Präsenz, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort mit ungewissen Erfolgsaussichten (sind auch die Leute da, die ich sehen will – sprechen die über mein Thema). Zeit ist knapp heutzutage (Familie, Freunde, Beruf, Sport) - so ist es kein Wunder, dass das die Vereinspräsenz am ehesten im Rentenzeitalter möglich ist.

Aber ist man im elektronischen Zeitalter jemals allein? Und bedarf es der physischen Präsenz, um nicht allein zu sein?

Metaphysische Fragen, auf die ein Kaufmann keine Antworten hat.

Zahlen 1950 - 2020

Sehr erfreulich für den Kaufmann sind die Gegenüberstellungen von Zahlen.

Zahlen lügen nicht, andererseits gibt es ja den schönen Satz des „Vertraue nur Statistiken, die Du selber gefälscht hat“. Ich finde die Zahlen der BDPh (incl. Jugend)-Graphen grundsätzlich überzeugend. Dagegen habe ich auch keine wissenschaftliche Entgegnung.

Aber mir fällt auf, dass der Steigerungsgrad des BDPh-Graphen im Vergleich zum Südwest-Vereins-Graphen deutlich steiler ist. Das würde bedeuten, dass in Deutschland ohne den Südwesten der Zugang an Sammlern deutlich stärker gewesen ist, als im Südwesten, wofür eigentlich kein kultureller Grund vorhanden gewesen sein kann (dafür sind wir in Deutschland zu gleichförmig). Der Autor spricht selbst von unterschiedlichen Berichtsstandards der Vereine und Landesverbände außerhalb des Südwestens, wohingegen die Zahlen des Südwestvereins als vollständig gelten.

Im Folgenden wird dann erst „der Sammler“ subjektiv definiert, es wird aber nicht klar, ob das dann auch die Definition der dann zitierten „Philatelie“ ist. Danach sieht es eher nicht aus.

Die Definition der „Philatelie“ wird leider nicht genannt. Die dortige Aussage aus 1987 besagt, dass ca. 6 % aller Sammler organisiert seien, 2000 dann 4 %. Wie beide Werte hergeleitet werden, wird nicht erläutert, das wäre aber interessant, um die Methodik bewerten zu können.

Die zitierte Aussage von H. Jakubek, nur 10 % seiner Kunden verstünden etwas von Philatelie, 90 % nicht, befriedigt aus analytischer Sicht nicht, weil die Definition für Philatelieverständnis fehlt. Ferner würde ich einen wirtschaftlichen aktiven Käufer auf jeden Fall auch als aktiven Sammler bezeichnen.

Interessanter finde ich die Zahl der Abonnenten der Post, hier wäre es wünschenswert die Zahlen für die untersuchte Zeitreihe heranzuziehen (also 1950-2020). Genannt werden aber nur die Jahre 1987, 2006 und 2014. Hätte man dann noch die Altersstruktur der Abonnenten, wären meiner Meinung nach in der Tat Aussagen zur Zukunft der Philatelie ableitbar (Sterbetafel aus der Versicherungswirtschaft hinzuziehen, den Abgang errechnen und die Zugänge der letzten fünf Jahre hinzuaddieren. Ich würde tippen, da würde man sehr gut sehen, wann Schluss ist).

Die Methode die Ausgabepolitik anhand eines Faktors Nominale der Ausgaben zur Inlandsporto zu ermitteln, finde ich gut nachvollziehbar. Allerdings wäre es ratsam, auch noch die Preissteigerung von Postdienstleistungen für den Internationalen Verkehr zu messen (die sind meiner Meinung nach hoch – bei den USA gibt es meines Wissens auch noch Eilmarken – hier hat die Verlagerung dieser Sendungsform durch die Deutsche Post zu deren Tochtergesellschaft DHL schon vor über einem Jahrzehnt zur Verlabelung geführt. Jetzt gehen wir aber wirklich in Richtung wissenschaftliche Arbeit - andererseits, wenn wir uns Gedanken über die Portosätze für überseeische Luftpost in Hintertupfistan im Jahr 1922 Gedanken machen.

Das wären noch ein paar erhellende statische Daten:

• Auflagenzahlen der Briefmarkenspezialpresse
• Umsätze des Briefmarkenhandels inkl. Auktionsumsätze pro Jahr (die müsste man dann noch indexieren)
• Aus den Angaben Auflagenzahl und Briefstücke ließe sich sicher auch noch ein Koeffizient ermitteln. Der wäre besonders aussagekräftig, wenn das pro Ausgabe gemessen werden könnte (das geht aber nicht ohne statistische Stichprobe – dafür dürfte uns heute das Material fehlen).

Die Zukunft / der Blick in die Glaskugel

Über deutsche Briefmarken gibt es ca. 50 neue Grafiken pro Jahr. Die sind einfach Top gemacht und große Kunst (übrigens, hat selbst der ein bisschen als Anarchist verschriene Josef Beuys immer gern mit Stempeln hantiert, die verdächtig an Poststempel erinnerten).

Also übers Mobiltelefon gibt es ohne Probleme ca. 500 neue Bildchen am Tag. Süße Katzenvideos sind der Renner, dauernd klingelt das Teil, weil ein Bekannter - Verwandter irgendwas mitteilt. Dabei gerne auch die tagesaktuelle Sendung des Buffetphotos aus dem Urlaub. Deko-Vorschläge von Freundin zu Freundin, Auftritte von Influencern (schöne Menschen, die einen in der Wirklichkeit einfach links liegen lassen würden, erklären einem - nur für Dich! - die Welt), Erotik, bunte Film-Clips auf höchstem Videospielniveau, Videospiele im Manga-Look, bizarr inszenierte Videos von „gemachten“ Ereignissen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit für den Betrachter 1:1.000.000 beträgt.

Ich fürchte, da kann die Briefmarke nicht mithalten – die staatlich geförderte Grafik entwickelt sich nicht so schnell. Dann ist der Brief auch noch die Schnecke der Korrespondenzmöglichkeiten. Man schreibt nicht mehr so häufig, das ist auch ganz schön herausfordernd. Und doch, es ist immer noch ein schöner und sehr verbindlicher Kommunikationsweg. Also, wohl nur noch was für Edelleute (gebildet, stilsicher, wohlhabend – da kann man sich den Anschein von Gestrigkeit leisten). Internationaler Warenversand per Brief ist ja auch schlicht gestrichen worden, bzw. eine Freimachung derselben per Briefmarke nicht gestattet.

Elektronisch ist halt schneller, unverbindlicher und i.d.R. auch kostenlos.

Aber so lange es Post noch gibt, sollten die Marken gut gestaltet sein. Ihr schreibt einen Brief bzw. versendet etwas und schreibt einen Zahlencode drauf oder klebt ein Label mit Strichcode drauf? Leute, das kann doch nicht Euer Ernst sein - gut, trocken Brot und Ravioli aus der Dose machen auch satt. Aber wer will so leben?

Dann mal zur Zukunft, das Orakel aus dem Rheinland sagt als kalter Kaufmann

- in zwanzig Jahren wird der Briefverkehr eingestellt (vielleicht sogar verboten, denn a) zu CO²-intensiv und b) nicht gut überwachbar, da hat man es mit e-mails doch leichter. Marken werden dann abgeschafft

- Briefmarken werden in der Zwischenzeit immer weniger zur Verfügung stehen. Die sind zu unpraktisch (da müssten doch die Schalterangestellten tatsächlich abends ihre Bestände zählen – nee, die Labelmaschine ist da viel praktischer, und zwei Minuten nach Dienstschluss ist man draußen)

- Briefmarkenvereine sind - wie Briefmarken - 19. und 20. Jahrhundert und die sind beide nun einmal vorbei

- eine elektronische Präsentation von Sammlungen ist möglich und in vielen Aspekten auch vorteilhaft (Zugänglichkeit über einen längeren Zeitraum – ja für die Ewigkeit, Tag und Nacht, Detailmöglichkeiten, Kommentarmöglichkeiten die einen Austausch eröffnen können, Entfall des Versandes, einfachere grafische Gestaltung)

- elektronische Präsentation bedeutet dann auch die Abschaffung der Notwendigkeit des Eigenbesitzes, denn ich kann ja Ausstellungsteile einfach kopieren - Originale bracht dann keiner mehr, wenn die Abbildungen gut sind. Die Sammlung passt auf einen kleinen Datenträger.

- Preisniveau Bund in DEM postfrisch EUR 25,00 (also dem heutigen Preis eines einfachen Auswärts-Abendessens mit Getränken), Berlin EUR 50,00 (mit allen Spitzen) – gleiches gilt für EUR-Marken nach Ihrer Abschaffung

- 95 % aller Sammlungen gehen in die Müllverbrennung (da muss man einfach nur mal eine Reportage der Wohnungsräumung eines Verstorbenen sehen – der Container kommt und in wenigen Stunden ist ein Lebenswerk ausgelöscht. Das ist hart, aber real.). Hier füge ich einfach mal eine subtile Grafik ein (Polen sollte als Markenland nicht unterschätzt werden)




- Mit Abschaffung des Briefverkehrs wird auch die Briefmarke ins Vergessen geraten (wie bei Telefonkarten - die waren aber auch grässlich)

- Ohne Registratur (Michel, Scott) haben wir deutlich weniger Kriterien, wie man sammeln kann. Das würde uns in vielen Aspekten überfordern.

- Restsammlerschaft - 5% des heutigen Niveaus

Also, das Ende naht, was ziehe ich daraus für Konsequenzen

- Absolut keine - ich zitiere nicht gerne rheinische Weisheiten, aber hier passt es: et kütt, wie et kütt (es kommt also, wie es kommt - typisches fatalistisches Mantra des Rheinlandes oder ein Zeichen, dass sich Euer rheinischer Gesprächspartner langweilt und das Thema wechseln möchte, oder dass Ihr auf ein Engagement Eures rheinischen Gesprächspartners hinsichtlich des soeben vorgetragenen Sachverhalts nicht zählen könnt - Ihr ihn also damit jetzt besser in Ruhe lasst. Ja, das Rheinland kann auch tiefgründig sein.)

- Auf diese genialen, kleinen Kunstwerke verzichten (Kunstsammlung und Wissensspeicher = kostbare Miniaturen - alleine meine bescheidene Sammlung spiegelt den Inhalt von mind. 1000 Museen wieder)? Niemals!

- Auf tolle Reisesouvenirs und Anekdoten verzichten? Kommt nicht in Frage!

- Alleine auf die selektierten Elektro-Bildchen der kommerziellen Anbieter vertrauen (die wissen was gut für einen ist)? Wohl kaum!

- Ich verzichte doch heute nicht auf ein Vergnügen, weil ich in 30 Jahren das heutige Vergnügen vielleicht nicht mit der gleichen Intensität empfinden könnte wie heute

Zur Briefmarken-Werbung:

- also die Post hat kein Interesse daran, weil der Tod der Marke meiner Meinung nach, schon beschlossene Sache ist (die hatten bei einer Gegenüberstellung der Freimachungsmöglichkeiten vor ein paar Jahren als einzigen Vorteil genannt, dass das die „sympathischste“ sei - das erinnert an? Na, was? Genau, eine Grabrede!)

- Die besten Botschafter sind wir selbst, jetzt müssten wir das nur noch so gut präsentieren, wie unsere Influencer-Freunde im Netz (sexy & eloquent – so funktioniert Werbung). Da könnt Ihr gerne drüber lachen. Aber schaut Euch eines dieser Herzchen an, schaltet den Ton aus und sprecht irgendwas Positives zu Briefmarken dazu, klappt auch mit TV-Werbung. Probiert das dreimal, dann sitzt der Text. Und ja, das funktioniert.

- Ihr sprecht mit einem Nicht-Sammler über Briefmarken? Erzählt ihm, wie toll das ist und nicht, dass ihr mit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht zu Frieden seid.

- Beiläufig, wenn Besuch da ist, mal ein Album liegen lassen und dann sagen „Ach, Mensch die hab ich ganz vergessen, will da noch einen Aspekt überarbeiten.....“ - weil Eure Sammlung kostbar ist, weil das edel ist, weil das Eure Aufmerksamkeit und Arbeit verdient. Und wenn der Besuch dann, um freundlich zu sein, sich dazu herablässt, da hineinzuschauen, dann wegnehmen und für ihn unerreichbar, aber noch sichtbar platzieren.

- Gerne sage ich auch immer „Von den Angelsachsen lernen, heißt siegen lernen“ (ältere Ostdeutsche mögen das Zitat im anderen Kontext kennen) - Angelsachsen sind Meister des Marketing, wenn es sich lohnt. Dort wird ohne zu Zögern und ohne die geringste Selbstkritik über die Vorzüge des Produkts gesprochen, es wird rar gemacht, im Verkaufsprospekt wird kein schlechtes Wort verloren, die Vorzüge subtil gepriesen – das ist ganz weit von kontinentaleuropäischer Kultur entfernt, insbesondere der Deutschen. Wir wägen ab, stellen gegenüber, sehen Licht und Schatten, stellen uns eher selten in den Vordergrund, besitzen angeblich prinzipiell nichts, um was uns andere beneiden könnten. Bescheidenheit mag ja eine Zier sein - das Anglo-Marketing ist dafür aber erfolgreich. Der Beweis: wer beherrscht den Kunstauktionsmarkt? Wer macht aus einem schnarchigen Briefmarkenverein ein Erlebnis (Royal Philateletic Society). Und wodurch? Gutes Marketing, Zugangsbeschränkungen/hohe Gebühren/Rationierung und Smoking am Abend (Dowton Abbey für Sammler)!

- Sachen kostbar machen: Ihr wollt ein irres Beispiel? Schön – elektronische Dateien sind kopierbar. Jetzt entwickeln Marketing-Meister aus UK eine Datei, die nicht kopiert werden kann und speichern Kunst in diese eine Datei. Als Kaufmann sage ich - bravo, die wesentliche preissteigernde Eigenschaft perfekt herausanalysiert, nämlich die Einzigartigkeit bzw. Knappheit – und diese Eigenschaft in die elektronische Welt einfach hineinkopiert. Dürers Hase (Albertina Wien) ist Millionen Wert und unbezahlbar - aber die Abbildung des Motivs auf Briefmarke (Österreich Nr. 1308) soll dann wertlos bzw. Sondermüll sein? Dieser Tanz ums goldene Kalb nervt (ist teuer, muss dann auch gut sein / nächste Fehlsimplifizierung: nur teuer ist gut). Den gleichen Kunstgenuss (weil seit 500 Jahren grafisch faszinierend) kann man für wenige Cent auf Marke haben.

- Verschenkt nicht so bzw. zu viel. Denn was nichts kostet, hat für viele auch keinen Wert. Gebt nicht tausende von Marken an irgendwelche Jugendlichen, was die sowieso total überfordern würde. Anfixen geht anders - durch kleine Dosen, durch kostbar machen, durch eine gute Geschichte.

- Wer seinen Tod antizipiert (nämlich das Sterben der Philatelie), ist schon besiegt. Und für Besiegte gibt es bekanntlich keine Gnade.

Dann vermeide ich mal dieses Wort - und formuliere die Sammlerschaft mal so:

Wir sind geschichtlich, künstlerisch und naturwissenschaftlich interessiert, mit einer Bandbreite an Wissen, um die uns andere beneiden. Wir haben Kunst und Kultur von über 4.000 Jahren Menschheitsgeschichte und Natur auf kleinstem Raum in jeder denkbaren grafischen und geografischen Bandbreite auf dem Gebrauchsgegenstand Briefmarke / Brief zusammengetragen.

Enthusiasten treffen sich vor Ort oder in Online-Foren und stellen Themen zur Diskussion, die in jeder gewünschten Tiefe geführt werden kann.

Unsere Sammlungen sind stark privat und uns kostbar – aber auch jeder andere kann sich so etwas erarbeiten und nach seinem eigenen Wünschen zusammenstellen.

Die kommerzielle Szene (Tausch, Handel, Zubehör) ist rege, modern und erprobt und erlaubt eine Entwicklung nach eigenen Vorstellungen, selbst bestimmbaren Budget, auf jedem denkbaren Niveau.

In der Sammlerschaft finden sich viele lebenserfahrene Personen – nämlich mit allen Wassern gewaschene, begeisterte Menschen aus allen Gesellschaftsschichten.

Na, habt Ihr Euch wiedererkannt? Gut, ich habe natürlich weggelassen, dass wir auch ganz schön schräge Vögel sind.

Wie dem auch sei, ich wünsche Euch unverminderten Spaß beim Sammeln!
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/16469
https://www.philaseiten.de/beitrag/282024