Thema: Kurzbefund ausstellen: Die Wahrheit über Aufwand und Ertrag des Prüfers
drmoeller_neuss Am: 29.12.2021 10:37:57 Gelesen: 5276# 6@  
@ Oliver Estelmann [#3]

Vielen Dank für die ausführliche Darstellung des Prüferalltages. Das würde sich auch für einen Artikel in der "Philatelie" eignen, um den Sammlern das Prüfwesen näher zu bringen. Viele Sammler haben noch immer die Vorstellung, dass Prüfer in wenigen Minuten Arbeit eine Menge Geld scheffeln. Das trifft für wenige Prüfstücke sicher zu. Das Prüfwesen besteht aber nicht nur aus der Attestierung postfrischer Posthornsätze. Dafür bedarf es keiner Kartei und postgeschichtlicher Betrachtungen.

Es gibt Prüfer, die sich das Leben einfach machen. Und dann gibt es Prüfer wie Oliver Estelmann und Lars Böttger, die über das Geforderte hinaus viel mehr Arbeit leisten, und umfassende Karteien pflegen und sich auch in die Philatelie einbringen. Das sich die Prüfertätigkeit unterm Strich nicht immer finanziell lohnt, hat bereits der Präsident des Prüferverbandes BPP, Christian Geigle, zugegeben. Für mich sind Briefmarkenprüfer immer noch die preiswertesten Gutachter auf der Welt. Wir sollten ihnen dankbar sein und sie pfleglich behandeln. :)

Im Beruf gehöre ich zu den ständigen Verbesserern (und manchmal Besserwissern :;), die dafür vom Arbeitgeber bezahlt werden. Daher meine Kommentare zu den Abläufen:

Die Erfassung der Prüfsendung würde ich nicht einscannen. Fotografieren geht schneller und selbst mit einem Handy der mittleren Preisklasse bekommt ordentliche Fotos hin, die ausreichen, um zum Beispiel einen Transportschaden geltend zu machen.

Der zweite Teil kann optimiert werden. Warum arbeitest Du noch mit Zetteln und Karteikasten? Das Prüfstück sollte mit einem ordentlichen Scanner erfasst werden (zum Thema Scanner gibt es auf stampsx viele Beiträge, oder direkt Jürgen Kraft ansprechen). Die Abbildungen verwaltest Du in einer Datenbank. Es geht aber auch mit Bordmitteln, sprich einem Tabellenprogramm wie Excel und einer vernünftigen Datei-Struktur.

Warum wird auf Kurzbefunden noch Schnippel- und Klebearbeit verlangt? Der Kurzbefund könnte doch als ganzes aus dem Drucker ausgedruckt und mit Trockensiegel versehen werden. Wenn der Prüferverband ganz gründlich vorgehen möchte, stellt er Sicherheitspapier, zum Beispiel Papier mit Wasserzeichen zur Verfügung. Es genügt ein Ausdruck für den Kunden, weitere Ausdrucke kann man jederzeit herauslassen, wenn sie denn überhaupt gebraucht werden.

Ideal fände ich es, wenn der BPP eine zentrale Datenbank zur Erfassung aller Befunde und Atteste anbieten würde. Dann wäre eine Zuordnung anhand einer bestimmten Nummer für alle Ewigkeiten möglich. Zum Glück kostet Speicherplatz nicht mehr die Welt und ist auf jeden Fall billiger als Papierwirtschaft.
Bis eine solche zentrale Lösung steht, kann jeder Prüfer seine eigene Datenbank pflegen oder die Atteste-Datenbank der philaseiten verwenden.

Nun zu den Gebühren. Der Beitrag von Oliver Estelmann bestätigt meinen inzwischen acht Jahre alten Kommentar, dass zumindest die Mindestgebühr pro Prüfsendung angehoben werden soll, in der Hoffnung, dass dann Prüfaufträge gebündelt eingereicht werden und weniger Papierkram für die Eingangskontrolle anfällt.

Man muss auch offen über die bislang "kostenlose" Beratungsleistungen reden. Viele Prüfkunden sehen das als selbstverständlich an und beschweren sich noch, wenn der Prüfer nicht zeitnah auf Emails antwortet. Von Ärzten und Rechtsanwälten erwartet niemand kostenlose Beratungen am Telefon.

Fairerweise sollte man zugeben, dass es auch wertvolle Prüfstücke mit geringerem Prüfaufwand gibt, die die "billigen" Marken subventionieren. Das ist vom Prüferverband im Interesse der Fälschungsbekämpfung so gewollt. Die Frage ist, ob das Konzept noch aufgeht, wenn das "Brot-und-Butter"-Geschäft wegbricht.

Und es dürfte auch Profis unter den Prüfkunden geben. Auktionshäuser werden wohl kaum die Prüfstücke in einer Tüte zum Sortieren einschicken und der Prüfauftrag ist dann auch etwas größer. Das Problem ist natürlich der Zeitdruck, der Auktionskatalog muss in Druck gehen und am liebsten hätte man die Prüfergebnisse gestern.

Prüfern geht es wie Notaren. Die Eintragung eines Kegelvereines in das Vereinsregister kann einen Notar einen ganzen Nachmittag beschäftigen und ziemlich nervig sein. Die Putzfrau, die in der Kanzlei Staub wischt, verdient in der gleichen Zeit mehr. Dann kommen die nächsten Mandanten für einen Kaufvertrag für eine Eigentumswohnung in München. Beide Parteien sind Immobilienprofis und haben keinen Beratungsbedarf und wollen das Notariat möglichst schnell wieder verlassen. Der Notar leiert den Standardvertrag herunter wie früher Dieter Thomas Heck den Abspann in der ZDF-Hitparade und setzt seinen Stempel und seine Unterschrift darunter. Damit ist er schneller fertig als mit einer Vereinsgründung und bekommt das hundertfache Salär. In der Summe passt alles und verschafft Notaren eine gute Lebensgrundlage.

Und bitte nicht übertreiben: wegen "missglückter" Nachbarschaftshilfe geht niemand ins Gefängnis. Anders sieht es natürlich aus, wenn man gegen Bezahlung Schnee schippt. Der Handwerker, der Dir Deinen Wasserhahn repariert, muss aber auch dafür gerade stehen, wenn die kaputte Dichtung die Wohnung unter Wasser setzt. Im übrigen empfehle ich jedem Bürger eine Haftpflichtversicherung, im Gegensatz zu anderen unnötigen Versicherungen wie Rechtsschutz, Krankenhauszusatz etc.
 
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