Thema: Das Geheimnis eines Briefes
bignell Am: 31.12.2021 13:58:35 Gelesen: 1264# 1@  
Liebe Freunde,

diesen Brief habe ich bereits 2018 im Thema "Kleine Briefe: Wer kann den kleinsten Brief zeigen ?" kurz vorgestellt, bin allerdings nicht näher darauf eingegangen, weil mir noch entscheidende Informationen gefehlt haben.



Die Streifenfaltung legt die Vermutung nahe, dass der Brief geschmuggelt wurde, dadurch konnte man ihn z.B. im Saum einnähen oder im Hutband oder der Hutkrempe verstecken. Ich habe diesen Brief erworben, weil ich den Grund wissen wollte, warum der Brief geschmuggelt wurde. Geschrieben 1622 in den ersten Jahren des Dreissigjährigen Krieges, bieten sich hier mehrere Movie an: illegale, militärische, religiöse (der Dreissigjährige Krieg brach nicht zuletzt aufgrund religiöser Unstimmigkeiten aus), ...

Da in der Auktion nur die Vorderseite gezeigt wurde, hatte ich bewusst keinen Scan der Rückseite angefordert, um die Spannung hochzuhalten. Um so grösser war meine Verwunderung, als ich den Brief in der Hand hielt und folgendes las:

To my much honored the verteous Mrs Elizabeth Apsely ?these
Honored Lady.
Though I purpose to wayte on you within these few dayes, I have in the mean tyme taken the bouldness to present my service onto you, by the bearer hereof my hono.ble good frend Sr John Throckmorton, whom I beseech you to take notice of, as one to whom my self and my brothers are much obliged, for his affectionate love, which he hath ever bene ready, uppon all occasions, to express his desyre is to be knowne unto you, and to serve you, and knowinge me to be so much y(ou)r servant, hath done me the honor, to thinke me worthy to doe him this service, wherin if you please to pardon my bouldness, I shall esteeme it an especiall favour and however remayne
Breda this 5th of March 1622
Yours affectionately to honor and serve your
Tho: Morton
remember I beseech you my love and service to my deare cosens the noble sisters

Versuch einer Übersetzung:

An mein sehr geehrtes das tugendhafte Frl Elizabeth Apsely
Geehrte Dame,
obwohl ich innerhalb dieser wenigen Tage auf Sie zu warten beabsichtige, bringe ich in der Zwischenzeit die Verwegenheit auf Ihnen meinen Dienst anzubieten, den Überbringer dieses (Schreibens) den ehrenwerten guten Freund Hr John Throckmorton, den ich sie anflehe zu beachten, als jemand dem ich und meine Brüder sehr verpflichtet sind, für die herzliche Liebe, welche er immer bereit war, an allen Gelegenheiten, sein Verlangen nach Ihnen zu vermitteln, und Ihnen zu dienen, und wissend um meine Verbundenheit zu Ihnen, hat mir die Ehre erwiesen, mich wertzuschätzen ihm diesen Dienst zu erweisen, worin sollten Sie mein Verwegenheit verzeihen, wertschätze ich es als besonderen Liebesdienst und verbleibe
Breda den 5. März 1622
Ihnen zugetan zu ehren und dienen
Tho(mas) Morton
Denken Sie daran, ich erflehe meine Liebe und Dienst meines Cousins den edlen Schwestern

Kurz zusammengefasst: Thomas Morton war also mit Elizabeth Apsely (wohl eher Apsley) und ihrer Schwester bekannt/befreundet und empfiehlt ihr, seinen Cousin und Freund John Throckmorton zu heiraten. So weit so gut, aber warum musste der Brief geschmuggelt werden, was ist das problematische dabei?

Sehen wir uns einmal die beteiligten Personen an:

Thomas Morton [1], geboren Ende der 1570er im Südwesten Englands, brach 1622 erstmals in die Neue Welt auf, verstand sich mit den 1620 dorthin aufgebrochenen Pilgervätern ("Mayflower") nicht, von diesen mehrfach angeklagt und nach England deportiert, wo er wieder freigelassen wurde und nach Neuengland zurückkehrte. Lange galt er als schwarzes Schaf unter den Siedlern, aber das Bild ist nicht unumstritten. Sein Buch "The New English Canaan" ist im "Projekt Gutenberg" kostenfrei erhältlich, ich habe es heruntergeladen, bin aber noch nicht dazu gekommen es zu lesen.

Beim erwähnten John Throckmorton könnte es sich um den Siedler [3] handeln, es kann aber auch eine Namensgleichheit vorliegen, das Geburtsjahr 1601 würde nicht schlecht passen. Herausragend finde ich die Namen seiner Kinder: Freegift, Patience, John, Deliverance, Job, Joseph. Während die Jungen "normale" Namen bekamen, wurden die Mädchen Werbegeschenk, Geduld und Erlösung genannt.

Zu Elizabeth Apsley konnte ich 2018 keine Informationen finden, das Grab ihrer Schwester Alice Apsley Fenwick ist jedoch bekannt [4] und liegt in Connecticut, USA, also ist auch Alice ausgewandert.

Somit hat sich nicht nur die Frage nach dem Grund für den Schmuggel des Briefes gestellt, vielmehr hat mich verwundert, dass der Brief in Breda (Niederlande) geschrieben wurde. Wenn Thomas Morton den Weg in die USA über die Niederlande angetreten hat, warum hat er den Brief nicht noch in England geschrieben, da Elizabeth Apsley zu dem Zeitpunkt wohl in England war, warum den Brief erst in den Niederlanden verfassen und dann mühsam nach England schmuggeln lassen? Das ergab für mich keinen Sinn.

Als ich dann vor wenigen Wochen in einer Auktion einen anderen Schmuggelbrief gesehen habe, ist mir dieser Brief wieder eingefallen, und ich habe im Internet nach Informationen zu Elizabeth Apsley gesucht - und gefunden. Im Sommer 2021 wurde ein Wikipedia-Artikel über die Lady verfasst. [5] Und plötzlich begann sich ein Bild abzuzeichnen.

Elizabeth Apsley war eine englische Hofdame, älteste Tochter von Sir Edward Apsley of Thakeham and Warminghurst, Sussex und Elizabeth Elmes of Lilford. Elizabeth und ihre Schwester Alice waren Hofdamen von Elizabeth Stuart [6] und reisten mit ihr 1613 nach ihrer Heirat mit Friedrich V. von der Pfalz [7] nach Heidelberg. 1618 übernahm Elizabeth die Verantwortung über die Hunde und Affen im Heidelberger Schloss, nachdem diese Elizabeth Stuart besonders am Herzen lagen, ist ein Naheverhältnis der beiden Damen anzunehmen, und auch wenn im Wikipedia-Artikel keine weiteren Details ausgeführt werden, ist naheliegend, dass Elizabeth Apsley Elizabeth Stuart begleitet hat.

1624 kehrte Elizabeth Apsley nach England zurück, heiratete Albertus Morton, Secretary of State, und starb kurz nach dessen Tod 1625 im Jahr 1626. Henry Wotton [8] schrieb "He first deceased, she for a little tried, to live without him, liked it not, and died" (er verstarb, sie versuchte ein wenig ohne ihn zu leben, es gefiel ihr nicht, und sie starb), da es jedoch Pläne von Elizabeth Stuart zu einer erneuten Heirat von Elizabeth Apsley Morton gab, könnte Wotton das romantischer interpretiert haben als es vielleicht in Wirklichkeit war.

Somit könnte der Grund für den Schmuggel des Briefes gewesen sein, dass es Elizabeth Stuart sicher nicht geschätzt haben würde, wenn man ihrer bevorzugten Hofdame eine Verbindung nahegelegt hätte, vielleicht hatte Elizabeth Stuart diesbezüglich auch eigene Pläne. Ein weiterer Grund könnte gewesen sein, dass Elizabeth Apsley wohl wie ihre Dienstherrin protestantischer Konfession gewesen war und Anfang des Dreissigjährigen Krieges aufgrund der Rekatholisierungsbestrebungen Kaiser Rudolfs II. eine gewisse Vorsicht nicht unangebracht war.

Aber warum wurde der Brief in Breda verfasst? Wo befand sich Elisabeth Apsley 1622? Dazu müssen wir uns die Geschichte von Elizabeth Stuart ansehen.

Zitat Wikipedia: "Elisabeth Stuart (englisch Elizabeth Stuart; * 19. August 1596 im Falkland Palace, Fife, Schottland; † 13. Februar 1662 in Westminster, London) war Prinzessin von England und Schottland und durch ihre Heirat mit Friedrich V. von der Pfalz, dem Winterkönig, von 1613 bis 1623 Kurfürstin von der Pfalz sowie von 1619 bis 1620 Königin von Böhmen. Weil sich Friedrich V. als böhmischer König nur ein Jahr lang zu behaupten vermochte, musste Elisabeth mit ihm 1621 ins Exil in die Niederlande gehen, wo sie 40 Jahre lebte." [6]

Elizabeth Stuart - und mit ihr auch ihr Hofstaat inkl. Elizabeth Apsley - befand sich also seit März 1621 im Exil in Den Haag in den Niederlanden, 75 km von Breda entfernt.

Somit schrieb Thomas Morton 1622 in Breda an seine Freundin Elizabeth Apsley in Den Haag und empfahl ihr seinen Cousin, sie jedoch entschied sich für Albertus Morton (vielleicht ebenfalls mit Thomas Morton verwandt), und John Throckmorton heiratete Rebecca Farrand und wanderte 1630 an Bord der "Lyon" in die neue Welt aus.

Auf der einen Seite der Winterkönig und die Umwälzungen in der Alten Welt durch den Dreissigjährigen Krieg, auf der anderen Seite die Besiedlung Nordamerikas durch den Weissen Mann und der Beginn der Konflikte mit den Ureinwohnern, plötzlich wird Geschichte lebendig. Buffalo Bill trifft Kaiser Franz Josef (William Frederick Cody, genannt Buffalo Bill [9] war wirklich in Wien, aber den Kaiser wird er wohl nicht getroffen haben [10]).

Liebe Grüße,
harald

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Morton_(colonist), https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Morton
[2] https://www.gutenberg.org/ebooks/54162
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/John_Throckmorton_(settler), https://www.wikitree.com/wiki/Throckmorton-110
[4] https://de.findagrave.com/memorial/9613035/alice-fenwick
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Elizabeth_Apsley
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Stuart
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_V._(Pfalz)
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_Wotton
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Buffalo_Bill
[10] https://www.dorotheum.com/de/l/7424220/
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/16592
https://www.philaseiten.de/beitrag/284675