Thema: Altdeutschland Bayern: Briefe erklären
bayern klassisch Am: 16.05.2022 11:08:37 Gelesen: 119802# 800@  
Liebe Freunde,

einen der komplexesten Briefe, die ich (als Pfälzer) von der Pfalz kenne, konnte ich am Wochenende beim Treffen der Arbeitskreises Pfalz auf der dortigen Mini-Auktion erwerben und möchte ihn euch nicht vorenthalten.



Üblicherweise glaubt man, dass sehr schwer zu interpretierende Briefe i. d. R. diejenigen sind, die über 5 Länder liefen, 10 Taxen und 15 Stempel aufweisen, aber es geht auch ganz anders, nämlich bei diesem Dienstbrief aus Vorderweidenthal (damals noch ohne eigene Post) in der Pfalz, der am 24.10.1848 bei der Postexpedition Annweiler als R(egierungs) S(ache) portofrei aufgegeben wurde. Empfänger war das Kgl. Staatsprokuratoriat in Zweibrücken. Der Brief lief portofrei hin und her (oben rechts unter der Expeditions-Nr. 17).

Aber am 10.11.1848 wollte man ihn wieder verschicken, jetzt unter der Expeditions-Nr. 4 oben rechts in sepia Tinte, und so stempelte die Aufgabepost in Annweiler nun mit diesem Datum den Brief erneut, taxierte ihn aber jetzt mit 4 Kreuzern in Rötel.

Das war ein Problem, denn der Empfänger in Zweibrücken notierte am 12.11.1848 siegelseitig: "zurückgewiesen, weil nicht frankirt. Zweibrücken 12 Novb. 1848 druch Staatsprocurator gez. Unterschrift".

Am 14.11.1848 war er dann ausweislich seines Ankunftsstempels wieder in Annweiler, aber, warum auch immer, wußte man nicht mehr, wer ihn abgeschickt hatte und man sollte doch 4 Kreuzer vom Absendere einfordern, den man nicht kannte.

Also steckte man den Brief 4 Wochen lang im Postlocal von Annweiler öffentlich sichtbar aus in der Hoffnung, es möge der Absender in dieser Zeit vorbeikommen und seinen Brief für 4 Kreuzer auslösen. Aber das war leider nicht der Fall.

Also sandte man den Brief intern mit der Dienstpost (daher keine Stempel!) an das vorgesetzte Oberpostamt in Speyer (für die ganze Pfalz zuständig) mit der Bitte um Eröffnung des Briefes und Ermittlung des Absenders.

Die doppelt vereidigten Beamten der Retour-Brief-Commission in Speyer öffneten den Brief mit dem Federmesser und lasen nun NICHT den Inhalte (das Briefgeheimnis war auch in diesen Fällen stets zu wahren), sondern nur die Teile, aus denen der Absender hervor ging. Nach Ermittlung des Absenders war der Name desselben in roter Tinte siegelseitig zu notieren - hier: "Bürgermeisteramt Vorderweidenthal, 4x" und der Brief mit dem Amtssiegel der Retourbriefcommission Speyer zu verschließen, was auch getan wurde. Inklusive war hier also auch die Prüfung der Höhe des Portos, nämlich 4 Kr. für Briefe innerhalb der Pfalz über 1/2 und 1 Loth (8,75-17,5 g). Diese Dienstleistung war kostenlos!

Nun leitete ihn Speyer intern mit der Dienstpost zurück nach Annweiler, wo man ja noch immer auf seine 4 Kreuzer wartete. Da der Brief nun von Annweiler nach Vorderweidenthal gebracht werden musste, tat dies ein Cantonsbote, der für seinen Gang aber mit 3 Kreuzern entschädigt werden wollte, so dass er mit Bleistift "Port(o) 7x" anfügte und diese auch vom Absender kassierte.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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