Thema: Altdeutschland Preussen Belege
bayern klassisch Am: 09.06.2022 14:38:40 Gelesen: 153841# 1141@  
Liebe Freunde,

der folgende Brief wurde von mir in der Bucht Anfang Mai 2022 gekauft, war dann 4 Wochen verschollen und kam vor 3 Tagen beim Absender wieder an, versehen mit der Aufschrift: Empfänger nicht zu ermitteln, unbekannt.



Nun, der Empfänger, also ich, wohnt seit über 14 Jahren am selben Ort, im selben Haus, in der selben Stadt, im selben Bundesland und sollte eigentlich, zumal die Anschrift richtig war und mein Name kein Massenname ist, zu ermitteln sein - aber halt nicht für die Post von heute.

Jedenfalls kam er nach 5 Wochen hier endlich an und ich möchte ihn euch nicht vorenthalten, weil er (zumindest für mich) etwas Besonderes ist.

Verfasst wurde er in Aachen am 17.10.1852 und er ging an die Strohwarenfabrik Isler & Cie in Wohlen, Aargau in der Schweiz. Der Absender war zahlungsunwillig und so versandte er den Brief unfrankiert.

Reflektieren müssen wir hier, dass die süddeutschen Staaten zum 1.10.1852 (also auch Baden) einen Postvertrag mit der CH abgeschlossen hatten, der jedoch von Seiten der CH erst zum 15.10.1852 galt. Es gab nur wenige Verträge im 19. Jahrhundert, die 2 Wochen lang in mehreren Staaten galten, aber im Zielstaat noch nicht.

Jedenfalls machte man in Aachen alles richtig: 9 Kreuzer notierte die Aufgabepost für Briefe über 20 Meilen im Postverein über Baden in die CH und siegelseitig schrieb man den gleichen Wert, nun als 3 Silbergroschen, für sich als Forderung an die badische Postverwaltung an.

Baden übernahm den Brief und fügte einen Schrägstrich und 3 (Kreuzer) in schwarzer Tinte hinzu (E.B. Curs I mit Punkt für "südwärts" vom 19.10.1852 der badischen Bahnpost bei der Übernahme des preussischen Briefepakets in Heidelberg (Laufweg Aachen - Köln - Düsseldorf - Dortmund - Hamm - Hannover - Braunschweig - Magdeburg - Köthen - Halle - Erfurt - Kassel - Gießen - Frankfurt am Main - Heidelberg, alles auf der Schiene, wenn auch ein riesiger Umweg).

Dieser Kurs I nordwärts (mit Stern, dem sog. Nordstern) und südwärts wie hier war eigens am 1.10.1852 für die Nord-Süd-Transite koordiniert worden und so bis 30.4.1853 fahrplanmäßig gültig.

Über Karlsruhe - Baden Baden - Kehl - Freiburg im Breisgau - Haltingen lief er nach Basel (leider ohne Stempel), wo er innerschweizerisch distribuiert wurde, hier in den Aargau, wo er am 20.10.1852 in Wohlen ankam (Ankunftsstempel vorne, wie fast immer in den frühen 1850er Jahren).

Aber 9 Kr. für Preussen und 3 Kr. für den 1. Rayon der Schweiz waren 12 Kreuzer und 12 Kreuzer (ab 1.1.1852 waren 10 Rappen nur noch 3 Kreuzer wert, davor deren 4!) entsprachen 40 Rappen. Notiert wurden aber 45 Rappen. Hätte man ihn für einen Brief in den 2. Schweizer Rayon gehalten, wären für die CH 20 Rappen anzusetzen gewesen, also total dann 50 Rappen, aber niemals 45 Rappen.

Aber ich habe einen Lösungsversuch: Innerschweizerisch gab es ab dem 1.1.1852 3 Rayons: Bis 2 Wegstunden (eine WS war 4,8 km lang), über 2-10 WS und über 10 WS). Die innerschweizerischen Tarife waren aber nach halblöthigen Gewichtsstufen gestaffelt, während der neue Postvertrag mit der Schweiz das Loth exklusive mit 15g vorsah, also andere Gewichts- und Rayonstaffelungen.

Die Entfernung von Basel nach Wohlen betrug 11,83 Wegstunden und Briefe über bis 1/2 Loth innerschweizerisch kosteten 15 Rappen. Addiert man diese 15 Rappen zu den DÖPV-9 Kreuzern = 30 Rappen dazu, erhält man genau 45 Rappen.

Witz der Postgeschichte: Bis zur Einführung der Rappen am 1.1.1852, also in der langen Kreuzerzeit des Aargaus, weigerte sich die Post dort stets, ungerade Kreuzer zu kassieren und rundete stets auf, machte also aus 21 Kreuzern Porto immer 22, aus 37 Kreuzern Porto immer 38 usw.. Hier, wo es nur 40 Rappen bzw. bei Falschberechnung 50 Rappen hätte kosten können, haben sie die ungerade Zahl von 45 Rappen angesetzt.

Generell: Briefe aus dem Oktober 1852, also dem 1. Monat dieses sehr bedeutenden Postvertrages, sind Schätzchen, hin wie her. Briefe vom 1.10. bis zum 14.10.1852 sind von Bayern genau 3 Stück bekannt und auch für den Rest des Oktobers ist die Anzahl von Briefe rein/raus nur eine Handvoll und alle davon sind in "guten Händen".

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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