Thema: Elsass-Lothringen: Vignetten
mimach Am: 01.09.2022 23:58:58 Gelesen: 3494# 16@  
Zu der Thematik kann ich eine bisher nicht gezeigte Marke mit englischer Inschrift beitragen.



Oben links die Wertzahl "50".

Oben und unten die englische Inschrift: ALSACE-LORRAINE | REQUIRES PLEBISCITUM (Elsass-Lothringen benötigt die Volksabstimmung)

Im Vertrag von Versailles wurde festgelegt, dass in einigen Grenzgebieten Volksabstimmungen zur staatlichen Zugehörigkeit geführt werden sollten. Speziell zu Elsass Lothringen wurden eine Volksabstimmung abgelehnt und das Gebiet Frankreich zugeschlagen, so wie es z.B. in einer 14-Punkte-Erklärung vom amerikanischen Präsident Woodrow Wilson zu einem möglichen Waffenstillstand mit den Mittelmächten vom 08. Januar 1918 lautete:

„Alles frz. Gebiet sollte befreit und die besetzten Teile sollten wiederhergestellt werden, und das Frankreich von Preußen 1871 hinsichtlich Elsaß-Lothringens angetane Unrecht, das den Weltfrieden während eines Zeitraums von nahezu 50 Jahren in Frage gestellt hat, sollte wiedergutgemacht werden, damit erneut Friede im Interesse aller gemacht werde.“

Die deutsche Reichsregierung ging erst im September 1918 auf den Punkteplan Wilsons ein, als die Niederlage des deutschen Heeres bereits unabwendbar war. Eine Verhandlung zu Thema Volksabstimmung Elsass-Lothringen war für die deutsche Friedensdelegation im April bis Juni 1919 in Versailles zwecklos. Es wurden entsprechende Richtlinien den Unterhändlern mitgegeben, dass bei einem vollständigen Verlust des Gebiets:

"...sind unsere wirtschaftlichen Interessen im Lande durch geeignete wirtschaftliche Vereinbarungen zu wahren. Dabei ist besonderes Gewicht auf die Verwertung der Kalilager sowie darauf zu legen, daß wir Minette [Eisenerze] aus dem Lande bekommen. Vereinbarungen über Schiffbarmachung des Rheines bis Basel sowie über die Schiffahrt auf dem Flusse und die Wassernutzungsrechte daran sind anzustreben."

In der Folge wurden durch den französischen Staat bis Dezember 1920 ca. 200.000 "Alt-Deutsche" aus dem Gebiet vertrieben.

Diese Spendenmarken können somit nur Ursprung einer privaten Initiative sein, deren Ursprung nach dem Frieden von Versailles und dem Ende der Hoffnung des Verbleibs Elsass-Lothringen im Deutschen Reich zu suchen ist. Die bisher gezeigten Belege auf den Philaseiten zeigen Datumsstempel von 1921 und 1922, somit ein durchaus passender Zeitraum für die Emission. Auf den Marken werden die wirtschaftlichen und kulturellen "Werte" Lothringens aufgeführt: Kali, Eisen, Kohle, Petrol, Kirche, Tracht usw.

Die englischsprachige Marke zeigt, dass ein breiteres Publikum als nur das der aus dem Gebiet Vertriebenen und darin verblieben Deutschen angesprochen werden sollte.

Zwei Vermutungen über die Herausgeber der „Volksabstimmungsmarken“:

A) Sie dienten dem Zweck für eine deutsch-nationale Partei oder Bewegung im In-und Ausland Geld aufzutreiben. Der Herausgeber blieb bewusst unsichtbar um den Marken einen allgemein gültigen Charakter zu geben und sich vor einer möglichen Strafverfolgung in Frankreich zu schützen.

B) Man darf auch private Profitgier für die Herausgabe dieser Marken nicht ausschließen. In der Zeit nach dem Weltkrieg stand das "Deutsche" in den Philatelisten-Vereinen stark im Vordergrund, wie man bei der Lektüre alter Sammlerzeitungen herauslesen kann. So heißt es z.B. ein einem Bericht des Vereins für Briefmarkenkunde aus dem Jahr 1924: „So nahm die Festsitzung am Sonnabend abend … einen ehrhebenden Verlauf, besonders durch die Anwesenheit deutscher Brüder aus dem Auslande und die dadurch hervorgehobene
Betonung des deutschen Gedankens.“ Die Volksabstimmungspostkarten und die dazu passende Marken entsprachen dem Zeitgeist und sollten Absatz generieren.

Das eine der gezeigten gestempelten Postkarten mit den Motiv der „Volksabstimmungsmarken“ vom Verlag ELKO in Berlin und die andere vom „Elsass-Lothringischen Autonomistencomite“ stammt, und dass deren „Volksabstimmungsmarken“ auf der Postwertzeichenausstellung am 21.10.1922 in Berlin gestempelt wurden, spricht für beide Möglichkeiten gleichermaßen [1].

Ähnliche Fälle von privaten "Volksabstimmungsmarken" in dieser Zeit sind aus Salzburg bekannt. Dort wurden für eine „inoffizielle Volksabstimmung“ reguläre Briefmarken der kurzlebigen Republik Deutschösterreich mit dem Text „Volksabstimmung in Salzburg 29. Mai 1921“ überdruckt. In der Sammler-Woche vom März 1923 meldete die österreichische Postsektion des Bundesministeriums für Verkehrswesen: "Es ist uns zur Kenntnis gelangt, daß anläßlich des Jahrestages der Volksabstimmung in Salzburg eine zweite Auflage der 'Salzburger Volksabstimmungsmarken' im Briefmarkenhandel aufgetaucht ist. Wir beehren uns mitzuteilen, daß auch die 'zweite Auflage' dieser Marken gleich den ersten jedes amtlichen Charakters entbehrt und daß sie niemals die amtliche Genehmigung oder Anerkennung durch die österreichische Postverwaltung gefunden hat."

Es ist zu baudauern, dass bis auf wenige Indizien keine konkreten Informationen zu diesen Propagandamarken vorliegen.

[1] https://www.philaseiten.de/cgi-bin/index.pl?ST=2607&CP=0&F=1#M1
 
Quelle: www.philaseiten.de
https://www.philaseiten.de/thema/6356
https://www.philaseiten.de/beitrag/301218