Thema: Altdeutschland Bayern Markenverwendung nach dem 31. März 1920
bayern klassisch Am: 27.09.2022 12:45:34 Gelesen: 6270# 12@  
@ jpvde [#10]

Hallo Jean-Paul,

interessante Fragen, die ich versuchen möchte zu beantworten.

Bayern wollte als phil. Abschiedsgruß, ehe das Postregal zum 1.4.1920 vom Deutschen Reich übernommen wurde, noch eine letzte Frei- und Dienstmarkenausgabe nachschieben, obwohl die Zeiten nach dem Verlust des 1. Weltkrieges alles andere als günstig waren (Not in der Bevölkerung, Mangel an vielen Dingen, politische Instabilität usw.). Aber es war der politische Wille und ein bischen Geld konnte man vlt. auch noch verdienen, kosten Marken doch in der Herstellung nur ein Bruchteil ihrer späteren Nominale und Geld brauchte der bayer. Staat damals wie heute.

Als im März 1920 die letzten beiden Markenausgaben peu a peu an die Schalter bzw. Dienststellen kamen, waren noch in der Regel Bestände der Vorgängermarken hinreichend vorhanden, teils aber nicht bei allen Wertstufen, so dass man sagen kann, es gab einen gewissen Bedarf.

Das die Gültigkeit dieser Marken zum 30.6.1920 endete, war vielen Postbenutzern nicht bewußt, oder es hat sie nicht interessiert, sie verklebten weiterhin Bayernmarken, nicht nur diejenigen der Abschiedsserien.

Bei den Privaten war nach dem 30.6.1920 noch viel Material vorhanden und wir sehen auch dort noch Verwendungen bis ins Jahr 1921 hinein. Teils wurden diese Briefe nachtaxiert, weil die Marken nicht mehr gültig waren, teils ließ man die Post mit ihnen untaxiert. Die Gründe hierfür können Stress sein (viele Männer waren auf den Schlachtfeldern Europas geblieben oder verkrüppelt und die Aushilfen waren Frauen ohne große Ausbildung oder andere Hilfskräfte, die ihren Job so gut machten, wie es eben ging). Andere waren akkurat und taxierten nach Vorschrift nach.

Bei den Behörden, womit wir jetzt zu den Dienstmarken kommen, sah es ein bisserl anders aus - dort waren viele gegen das Reich, gegen die "feindliche Übernahme" und pro bayerisch und konnten sich nur schlecht mit Marken anfreunden, die einen Überdruck "Deutsches Reich" hatten. Darüber hinaus hatten sie noch größere Mengen von alten Dienstmarken Bayerns, den "neuen" Dienstmarken Bayerns der Abschiedsausgabe und evtl. schon den überdruckten Dienstmarken. Wir kennen eine große Zahl an Mischfrankaturen, teils mit allen 3 Gattungen und sie sind in der Regel bedarfsgerecht und nicht philatelistisch inspiriert zustande gekommen.

Deine Dienstmarke zu 3 Mark war keine Marke, die jeder Beamte jeden Tag brauchte, sondern die praktisch nur für Wertbriefe und Pakete sinnvoll war. Hatte man also einen Vorrat an diesen hohen Werten (2 1/2, 3 und 5 Mark), benötigte sie aber im Tagesgeschäft nur vereinzelt, und man wollte sie auch nicht umtauschen, so verblieben sie an Ort und Stelle und konnten, obwohl nicht mehr gültig, noch lange Zeit nach dem 30.6.1920 echt und bedarfsgerecht verwendet werden.

Deine Marke halte ich für echt gestempelt - ob sie bedarfsgerecht verwendet wurde, kann anhand einer losen Marke schwer nachvollzogen werden, ich denke aber doch. Sie ist nicht sauber gestempelt, was gerade beim Dienst-Abschied prinzipiell ein gutes Zeichen ist, weil viele Fälschungen und Gefälligkeitsabstempelungen oft sehr sauber und akkurat ausgeführt wurden, wenngleich nicht alle.

Eine Einteilung gäbe es also wie folgt:

1. Bedarf bis 31.3.1920, also unter bayer. Posthoheit,
2. Bedarf ab 1.4.1920 bis 30.6.1920 unter Gewährung der Gültigkeit nach der Postübernahme durch das Deutsche Reich,
3. Bedarf ab 1.7.1920 nach Außerkurssetzung.

Zu 1. gab es viele Marken noch gar nicht an den Schaltern, vor allem die hohen, kaum benötigten Werte, während die oft benutzten Nominalen schon lange vorrätig waren.

Zu 2. das war eher die Regel, weil jetzt praktisch alle Nominalen vorrätig waren und legal verwendet werden konnten.

Zu 3. ist es nicht so selten und zeigt, dass das Vorhandensein von Vorschriften und die Kenntnis derselben nicht immer die von oben gewünschte Wirkung hatte und ist sammlerisch/politisch interessant.

Der Markt goutiert 1. als die seltenste Variante ein bischen höher, 2. ist die Regel und dafür stehen die Katalogpreise (nach erfolgter Prüfung wegen der vielen Stempelfälschungen und Nachstempelungen) und 3. wäre mir am liebsten, allerdings nur auf aussagekräftigem Ganzstück, auch wenn die Preise hierfür unter 2. liegen, aus oben genannten Gründen.

Ich würde generell die bayer. Abschiedsausgabe nur auf Ganzstücken sammeln - alles andere ist viel gewagt bis sinnarm, weil es etliche Stempel in echt und nachgestempelt gibt und die Unterscheidung mühevoll ist.

Liebe Grüsse von bayern klassisch
 
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