Thema: Gedanken zum Briefmarkensammeln
Bendix Gruenlich Am: 14.01.2023 22:11:40 Gelesen: 4296# 57@  
Wir Briefmarkensammler haben ja nicht den besten Ruf. Wir sind ja angeblich erbsenzählende verschrobene Langeweiler, die kleine Papierzettelchen horten, nach für Außenstehende kaum nachvollziehbaren Kriterien sortieren und Tage und Nächte damit verbringen.

Das geht selbst durch Familien. Ein amerikanischer Sammler, sagte einmal in einer Diskussion, dass er glaube, wenn seine Frau nach Hause käme und Einbrecher beim Wegschleppen der Sammlung ihres Mannes erwischen würde, sie diesen wahrscheinlich beim Einpacken helfen würde.

Kunstsammler hingegen gelten als feinsinnige Wohltäter und geschäftstüchtige Connaisseurs. Für Kunst werden tempelartige Museen errichtet.

Abendgesellschaften mit Kunstpräsentationen werden von erlesenen Weinen und aufs Angenehmste hergerichtete schöne Frauen begleitet und gelten als gesellschaftliche Höhepunkte.

Wir Briefmarkensammler hingegen werden bei Ausstellungen auf die lokalen Örtlichkeiten der Kirchengemeinde, Schulen oder zugige Zweckbauten in Form von Messehallen reduziert.

Jetzt blättere ich durch eine ältere Ausgabe einer Tageszeitung, in der ein Rückblick auf den Kunstmarkt 2022 geworfen wird. Gepriesen werden die 10 teuersten Umsätze bei Versteigerungen.

Was wurde denn da so verkauft: darunter 2 Warhols (dabei die bekannte farblich verfremdete Marylin Monroe-Fotografie für USD 170.000.000,00, Größe 102x 101 cm), Cézanne (65x81 cm - USD 120.000.000,00), Gauguin (95x61 cm – USD 92.000.000,00) und, und, und. Platz 10 war Magritte (115x146 cm – USD 69.000.000,00).

Also alles in allem über USD 1.000.000.000,00 für 10 Werke. Ein hübsches Sümmchen!

Ich habe diese Woche auch auf dem Kunstmarkt mitgemischt, und das locker überboten! Über die ppa-Auktion. Dort habe ich 63 Gemälde und Skulpturen gekauft, viele davon weltbekannt. Dabei handelt es sich um die hervorragenden Kunstdrucke der französischen Post aus den 1960-er und 1970-er Jahre. Darunter Manet, Cézanne, Chagall usw. usw.



Und wieviel hat mich das gekostet? Nun, EUR 0,11 das Stück incl. Versand.

Postfrisch sind sie auch noch. Wenn ich also die Lust daran verliere, packe ich die Dinger einfach auf meine Post, wenn ich mal in Frankreich bin.

Schrauben-Würth hat eine der größten Kunst-Sammlungen Deutschlands (und es sei ihm gegönnt), Ihr und ich habt aber wahrscheinlich eine vielfach größere (bei mir würden das bestimmt alleine 5.000 Stück an verschiedenen Werken gestalteter Kunst auf Briefmarke sein, wobei ja eigentlich jede Marke für sich alleine schon ein Gebrauchskunstwerk ist). Mir geht es so, dass ich manchmal durch eine Ausstellung im Museum gehe und feststelle, dass ich das ein oder andere Werk seit Jahren kenne und vor allem auch besitze (mir also jederzeit anschauen kann).

Darüber reden wir Briefmarkensammler nicht häufig. Auf dem Kunstmarkt ist das anders, wobei die Gespräche und Soireen um die Kunst herum ja in Wahrheit Marketingmaßnahmen / Verkaufsveranstaltungen sind.

Tatsächlich sind Briefmarken (aufgepasst liebe Kapitalismuskritiker, die seit Jahrzehnten die systematische Beschwörung einer planmäßigen Verdummung durch das „System“ herbeireden) echte „Volks-“kunst und bei derzeitigen Preisen - insbesondere bei schwacher Erhaltung - wirklich jedermann zugänglich. Man muss halt wollen, aber wenn man Dschungelcamp (Schadenfreude) oder wochenlanges Computerspielen (man ist von der ersten Sekunde an Held) bevorzugt, kann man nichts machen. Briefmarkensammeln ist ja auch nicht in jedem Aspekt produktiv (aber wehe denen, die mit uns irgendwelche Wissenspielchen spielen wollen).

Jeder wie er mag, das ist Freiheit. Die sollten wir uns weder von moralinsauren Predigern noch Autokratenanbetern nehmen lassen.

Nun, die Ware (die gekauften Briefmarken, übrigens 5x4 cm) wird mich wohl nächste Woche erreichen. Ich kann ja schon mal einen Schaumwein kaltstellen (schließlich habe ich bei dem Kauf ca. USD 6.300.000.000,00 gespart). Vielleicht wird es auch ein schwerer Roter aus Frankreich.

Außerdem würden die Originale bei mir zu Hause einfach zu viel Platz wegnehmen, es gibt einfach Grenzen.

Ob ich dann beim Einsortieren / Betrachten zusätzlich Canapées esse oder Austern schlürfe und endlose Lobreden auf die Kunstwerke halte (Soiree), entscheide ich, wenn die Dinger da sind.

Luxusgut Briefmarke sage ich dazu nur.

Ja, wir (Kultur-)Sammler wissen Bescheid, aber reiben das nicht jedem unter die Nase, sondern genießen still. Mit meinem Beitrag durchbreche ich heute mal diese Regel, aber wir sind ja hier auch unter uns.
 
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